Ausgabe November 1990

Werbung als Schicksal

Wenn was nichts kostet, darf man nicht meckern. Auch wenn das nicht ganz stimmt (die Post kassiert in jedem Fall), so ist dieses Argument doch die gängige Entschuldigung, die die Betreiber der privaten Kanäle dafür vorbringen, daß sie ihr Programm immer wieder durch Werbung unterbrechen müssen. Es klingt einleuchtend: Gebühren dürfen sie nicht kassieren, Werbung ist die einzige Finanzierungs-Alternative. Wenn das Thema aufkommt, bekennen sie sich mit Bedauern zu diesem Z w a n g.

Die Praxis sieht anders aus. Jede Werbung muß, das liegt in ihrem Wesen, Optimismus ausstrahlen. Sie kann sich nicht damit begnügen, uns mitzuteilen, daß es uns gut geht, sie muß eine Steigerung für möglich erklären, weil eine solche sonst von den angepriesenen Waren nicht verheißen werden könnte. Aus der Not kauft niemand Luxusgüter, und fast nur für sie wird geworben. Der Mythos eines außerhalb ihres tatsächlichen Nutzens existierenden i d e e l l e n Gebrauchswerts (Glück, Liebe, Sinnlichkeit, Erfolg ...) wäre kompletter Unsinn und nicht nur konventionelle Marktschreierei, Ausfluß also des kategorischen Imperativs unserer Zeit: Steigere deinen Preis um jeden Preis.

Die Werbung ist notwendig immer ein Anfall von aufdringlicher Pseudo-Kindlichkeit im Programm, der etwa alle halbe Stunde passiert, eine Krankheit mit chronischem Verlauf.

November 1990

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