Ausgabe Oktober 1992

Wiedergeburt des Leviathan?

Zu Uwe Kremers Entwicklungsagentur Staat

I

Wäre das Ergebnis politischer Handlungsunfähigkeit nicht so dramatisch, dann hätte der Zustand der politischen Klasse in diesem Land schon etwas Komisches: desolater als das aktuelle Kabinett Kohl kann eine Regierung wohl kaum sein, und die oppositionelle Sozialdemokratie gibt sich alle Mühe - nein, nicht etwa nach der Macht zu greifen, sondern in opportunistischer Orientierungslosigkeit bloß nicht aufzufallen. Wo keine(r) mehr so recht weiter weiß, darf jede(r) ungestraft laut denken - und sei es auch der größte Blödsinn, es fragt ja eh niemand, ob wenigstens der Gegenstand der Debatte (von den Argumenten ganz zu schweigen) wirklich relevant ist. Wer will schon hören, daß die soziale Katastrophe in den neuen Ländern nun wirklich gar nichts mit der Anzahl der Asylbewerber zu tun hat; daß die Dauer des Balkankrieges viel eher auf transatlantische Interessenkonflikte denn auf die eingeschränkte "Zuständigkeit" der Bundeswehr zurückzuführen ist; daß weder die europäische Integration noch gewerkschaftliche Lohnforderungen die Rekordzinsen der Bundesbank bewirken, sondern eine Finanzpolitik, die diesen Namen nicht verdient.

Oktober 1992

Sie haben etwa 2% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 98% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Ukraine: Zwischen Korruption und Diktatfrieden

von Yelizaveta Landenberger

Anfang Dezember herrschte rege Pendeldiplomatie, während die Bombardierung ukrainischer Städte und die russischen Vorstöße an der Front unvermindert weitergingen. Völlig unklar ist, ob der im November bekannt gewordene US-»Friedensplan« auch nur zu einem Waffenstillstand führen kann.

Vom Einsturz zum Aufbruch: Die Protestbewegung in Serbien

von Krsto Lazarević

Rund 110 000 Menschen füllen am 1. November die Fläche vor dem Hauptbahnhof in Novi Sad, um der Opfer zu gedenken, die ein Jahr zuvor unter dem einstürzenden Vordach starben. Für die seit Monaten Protestierenden steht der Einsturz nicht für ein bauliches, sondern für ein politisches und gesellschaftliches Versagen: ein sichtbares Symbol für Korruption und ein zunehmend autokratisches System.

Der Kampf um Grönland: Versöhnung als Geopolitik

von Ebbe Volquardsen

Die Stadt Karlsruhe könnte schon bald vor einem Dilemma stehen. Im Januar 2025 zeichnete sie ihren langjährigen Stadtvertreter Tom Høyem (FDP) mit der Ehrenmedaille aus. In den 1980er Jahren war der gebürtige Däne, mittlerweile auch deutscher Staatsbürger, Dänemarks letzter Minister für Grönland – ein Amt aus der Kolonialzeit.