Ausgabe Mai 1993

Apropos Adenauer - Zum Umgang mit einem ambivalenten Erbe

Zum Umgang mit einem ambivalenten Erbe

Deutschland vereint und dennoch ohne jeden Abstrich im westlichen Bündnis: Hat der "Alte" also doch recht behalten: Rudolf Augstein, zu Lebzeiten des ersten Bundeskanzlers sein schärfster publizistischer Kritiker, hat sich zu Beginn des Vereinigungsprozesses zu dieser Überzeugung durchgerungen, und alte und neue Anhänger der Adenauerschen Politik haben sich ihm mit sichtlicher Erleichterung, bisweilen auch triumphierend angeschlossen. Die Verlockung, so zu argumentieren, ist in der Tat übermächtig. Jahrzehntelang war die Politik der Westintegration mit dem Stachel behaftet, das Wiedervereinigungsversprechen nicht einlösen zu können, und dann tritt mit einem Mal die DDR mit dem Segen Moskaus der Bundesrepublik bei. Was liegt da näher, als darauf hinzuweisen, daß die Politik der Westintegration letztlich doch mit dem Ziel der Wiedervereinigung vereinbar war - und im gleichen Atemzug zu unterstellen, das konsequente Festhalten an der Westintegration sei auch der einzig mögliche Weg - zur Wiedervereinigung - gewesen? Die Beruhigung, die von der Einigung des Jahres 1990 ausgeht, ist freilich sehr oberflächlicher Natur.

Da "post hoc" bekanntlich nicht gleich "propter hoc" bedeutet, bleibt die Frage, ob diese Einigung nicht etwa wegen, sondern trotz der Weichenstellungen Adenauers möglich war.

Mai 1993

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die Rückkehr des Besatzers

von Sergej Lebedew

Vor fünfzig Jahren, am 1. August 1975, wurde mit der Unterzeichnung des Abkommens von Helsinki die Unverletzlichkeit der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Grenzen anerkannt. Wie wir wissen, dauerte die Ordnung von Helsinki etwa fünfzehn Jahre. Die Sowjetunion hörte auf zu existieren, und die Länder Ost- und Mitteleuropas fanden ihren Weg zu Freiheit und Eigenstaatlichkeit.