Zum Umgang mit einem ambivalenten Erbe
Deutschland vereint und dennoch ohne jeden Abstrich im westlichen Bündnis: Hat der "Alte" also doch recht behalten: Rudolf Augstein, zu Lebzeiten des ersten Bundeskanzlers sein schärfster publizistischer Kritiker, hat sich zu Beginn des Vereinigungsprozesses zu dieser Überzeugung durchgerungen, und alte und neue Anhänger der Adenauerschen Politik haben sich ihm mit sichtlicher Erleichterung, bisweilen auch triumphierend angeschlossen. Die Verlockung, so zu argumentieren, ist in der Tat übermächtig. Jahrzehntelang war die Politik der Westintegration mit dem Stachel behaftet, das Wiedervereinigungsversprechen nicht einlösen zu können, und dann tritt mit einem Mal die DDR mit dem Segen Moskaus der Bundesrepublik bei. Was liegt da näher, als darauf hinzuweisen, daß die Politik der Westintegration letztlich doch mit dem Ziel der Wiedervereinigung vereinbar war - und im gleichen Atemzug zu unterstellen, das konsequente Festhalten an der Westintegration sei auch der einzig mögliche Weg - zur Wiedervereinigung - gewesen? Die Beruhigung, die von der Einigung des Jahres 1990 ausgeht, ist freilich sehr oberflächlicher Natur.
Da "post hoc" bekanntlich nicht gleich "propter hoc" bedeutet, bleibt die Frage, ob diese Einigung nicht etwa wegen, sondern trotz der Weichenstellungen Adenauers möglich war.