1. Wenn die Vereinigung während der letzten drei Jahre nicht so gründlich verdorben worden wäre, dann gäbe es heute kein "Begründungsdefizit" für die Einheit. Nicht das Fehlen einer Konzeption oder Idee, wie Jens Reich und Friedrich Schorlemmer meinen, ist der Grund für unsere Misere, sondern das Fehlen von Politik. Nationen sind nicht das Ergebnis von Konzeptionen, und daß Staaten einer Idee bedürfen, erscheint sehr zweifelhaft. Historische Erscheinungen entstehen oder werden manchmal auch gewaltsam zusammengefügt - die Sinngebung kommt meistens erst hinterher.
Obwohl sich Ost- und Westdeutsche viel weiter auseinandergelebt haben, als bewußt wurde, verbindet sie miteinander immer noch mehr als mit anderen Völkern - jeder Ausländer, der durch Europa reist, kann es bestätigen. Und nachdem durch einen Willensakt einer Mehrheit der Ostdeutschen und dann durch die Politik der Bundesregierung nunmehr Deutschland ein Staat geworden ist, muß man von diesem, nicht mehr revidierbaren Sachverhalt ausgehen. Nicht die Einheit zu begründen ist daher jetzt wichtig, sondern sie zu vollziehen.
2. Die Politikverdrossenheit hat ältere, weiterreichende und von der Vereinigung unabhängige Ursachen.