Ausgabe Mai 1993

Wenn weniger gelogen würde

Vier Fragen haben Sie gestellt - sie verdienen wirkliche Antworten, nicht noch mehr staatstragenden Dampf, an dem das Land schon lange zu ersticken droht. Ich bin bürgerlich-konservativ erzogen worden und erlebte - 1945 noch ein Knabe - das Kriegsende als deutsche Niederlage, nicht als Befreiung vom Nazi-Joch; von Widerwillen oder gar Widerstand gegen das Regime hatte ich nie und nirgendwo etwas erfahren, in Stuttgart nicht, und auch nicht in Berlin.

Zwar war ich später als Student - Anhänger einer modifizierten Kollektivschuldthese, aber noch bis in die späten 50er Jahre bereit, über die verlorene Nation Tränen zu vergießen. Über welche Nation? Über den Bismarckschen Torso? In den USA, nicht zuletzt wegen eines Auftritts unseres Kanzlers Adenauer vor den Studenten in Berkeley im Jahre 1959 und einer sich daran anschließenden, nicht enden wollenden Kontroverse über die Oder-Neiße-Grenze, begann ich mich öfter zu fragen, welches Deutschland ich eigentlich meinte, wenn ich von "reunification" redete? Da zerrann mir die "Nation" um so mehr unter den Händen, als wir jungen, angeblich aufgeklärten Menschen damals schon - oder noch? - für ein vereintes Europa waren.

Mai 1993

Sie haben etwa 19% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 81% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.