Als sich kurz nach dem letzten Weltkrieg der Rowohlt-Verlag entschloß, seine "rororo"-Reihe durch eingeschobene Reklameseiten finanziell abzusichern, sprach aus den locker-intellektuell formulierten Werbetexten noch die Selbstironie und gönnerhafte Unabhängigkeit des neue Wege erschließenden Taschenbuch-Pioniers. Dabei konnte es geschehen, daß kongeniale Stil-Replikate die nicht in die Pagination einbezogene Seite tatsächlich mitlesbar machten: "Paß besser auf beim Fernsehen", sagt die Mutter. "Der Apparat war teuer" (rororo 5880: Elfriede Jelinek: Michael.) Das klassische Kulturgut Buch konnte zwar - als Bestseller oder durch Druckkostenzuschüsse finanziert - seine Unschuld bewahren und enthält, außer für die weiteren Produkte des Verlags, keine Werbung mehr. Das Fernsehen aber, in vieler Hinsicht sein Fortsetzungs- und Nachfolgemedium, ist inzwischen vom Gastwirt zum Kunden der Werbung mutiert. Die von ihren Werbeeinnahmen abhängigen privaten Sender sind die öffentlich akzeptierte Präfiguration einer Gesellschaftsordnung, in der der kommerzielle jeden anderen Grundkonsens verdrängt. Wenn in Italien eine Mehrheit der Bürger für die Medienkonzentration in der Hand des großen Geschäfts und für die Zulassung von Werbeunterbrechungen in jedem Film stimmte, so mag dies als Erfolg skrupelloser Medienmachtausübung interpretiert werden.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.