Ausgabe Juni 1996

Muslimisch-kroatische Mesalliance

Darf man Friedensabkommen kritisieren? Verträge, die zum Inhalt haben, daß vom Tag der Unterschrift an Frieden herrscht statt Krieg? Wenn der Bürgermeister von Tuzla heute sagt, mit dem Friedensabkommen von Washington 1994 sei "alles noch schlimmer" geworden, ist das dann nicht unverantwortliches Geschwätz? Der Mann ein gefährlicher Spinner? Kann denn Friede Sünde sein? Selim Beslagic, der Bürgermeister von Tuzla, beschreibt aber einfach nur die Situation in seiner Stadt. Der "Krieg im Kriege" zwischen Muslimen und Kroaten, der mit dem Washingtoner Abkommen beendet wurde, ist in Tuzla niemals ausgebrochen, was auch für etliche andere Gemeinden in der nördlichen Landeshälfte gilt. Zwar haben diese Orte arg unter dem Krieg gelitten, weil sie de facto Enklaven wurden, abgeschnitten von den Versorgungswegen durch kroatisches Territorium, aber gekämpft wurde hier nicht.

Anders als der Krieg ist der Friede aber flächendeckend. Seit dem Abkommen von Washington vom März 1994 ist Tuzla Bestandteil der "Föderation". Das heißt: Für die friedlichen Kroaten von Tuzla sprechen jetzt die Extremisten aus Mostar, dem kroatischen Hauptquartier, die ihre Muslime unter ein zehnmonatiges Dauerfeuer genommen haben und an ihrem Ziel, ein homogenes kroatisches Territorium in Bosnien-Herzegowina dem Nachbarland Kroatien zuzuschlagen, erkennbar festhalten.

Juni 1996

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema