Ausgabe Oktober 1996

Das UN-Votum zum Atomteststoppvertrag und die indische Kritik

Erklärung des Ständigen Vertreters Indiens bei den Vereinten Nationen Prakash Shah vor der Generalversammlung in New York am 9.September 1996 (Auszüge)

3. Die 50. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist aufgefordert worden, die Befassung mit dem Tagesordnungspunkt Nummer 65 - dem Atomteststoppvertrag - wieder aufzunehmen. Unseres Erachtens sollte die Generalversammlung den CTBT in seiner grundsätzlichen Perspektive betrachten, das ist die Perspektive der atomaren Abrüstung und des Fortschritts auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Es erfüllt uns mit tiefer Sorge, daß die wiederaufgenommene Sitzung sich mit einem Text befassen soll. Dies bedeutet, sich über die nicht zu leugnende Tatsache hinwegzusetzen, daß das verhandelnde Gremium über diesen Text keinen Konsens erzielen konnte, ja daß der Text noch nicht einmal vom ad hoc-Komitee Atomteststopp an das Plenum der Abrüstungskonferenz weitergeleitet worden ist. Dieses Verfahren untergräbt die Autorität der Abrüstungskonferenz. Verträge werden aufgrund freiwilliger Vereinbarungen und der legitimen Ausübung eines freien Willens geschlossen, nicht aufgrund von Verfahrenstricks und politischer Überredungskünste. [...]

9. Herr Präsident, unsere sicherheitspolitisches Umfeld hat uns dazu gezwungen, die atomare Option beizubehalten. Wir haben bezüglich unserer atomaren Option beispiellose Zurückhaltung geübt. Offen oder heimlich führen Länder um uns herum ihre Waffenprogramme fort. In einem solchen Umfeld können wir nicht zulassen, daß unsere Option in irgendeiner Weise eingeengt oder ausgehölt wird, solange die Atommächte ihre Verpflichtung zur Vernichtung aller atomaren Arsenale nicht akzeptieren wollen. Die indischen Sicherheitsinteressen, wie die aller Staaten, können nur in einer atomwaffenfreien Welt gewährleistet werden. Diese Position war immer im völligen nationalen Konsens begründet, und sie wird es immer bleiben. [...]

10. Wir waren von den Ergebnissen der Verhandlungen enttäuscht, aber uns war auch bewußt, daß andere diesen Vertrag trotz seiner Mangel weiterbetreiben wollen. Wir hätten uns zurückhalten und einem Konsens nicht in den Weg treten können; wir hätten beiseite stehen können, um den Vertrag zur Annahme durch diejenigen passieren lassen, die das wünschen. Aber in voller Kenntnis unserer Entscheidung, dem Vertrag nicht zuzustimmen, wurde eine Bestimmung aufgenommen, wonach neben anderen Staaten auch Indien den Vertrag unterzeichnen und ratifizieren muß, damit er überhaupt in Kraft treten kann. Das wird von unserer Seite als ein Versuch wahrgenommen, ein freies souveränes Recht Indiens einzuschränken.

Eine solche Bestimmung hat es in der Praxis multilateraler Verhandlungen noch nie gegeben, sie widerspricht dem internationalen Gewohnheitsrecht, nachdem ein Vertrag keine Verpflichtungen für ein drittes Land ohne dessen Zustimmung schaffen kann. Herr Präsident, Indien hat die Abrüstungskonferenz wiederholt dazu gedrängt, diese Position zu ändern und sogar eine alternative Bestimmung vorgeschlagen, die sich am Inkraftsetzungsverfahren der Chemiewaffenkonvention orientiert. Andere Vorschläge waren nur kosmetischer Natur und haben Indiens Anliegen nicht aufgegriffen. Schließlich wurde uns erklärt, daß jede Änderung den Text ausfasern lassen würde. Dennoch wurde eben dieser Text geändert, um den Bedenken eines anderen Landes gerecht zu werden. Wir erwarteten, daß unser souveränes Recht, den Vertrag nicht zu unterzeichnen, genauso respektiert werden würde wie wir das Recht anderer respektieren, ihn zu unterzeichnen. Die Weigerung einer sehr kleinen Ländergruppe, Änderungen in dem das Inkrafttreten des Vertrages betreffenden Artikel zu erlauben, ließ uns keine andere Wahl, als unsere Ablehnung auszudrücken und den Konsens in der Abrüstungskonferenz zu verweigern. Wir haben nicht versucht, die Abrüstungskonferenz an der Verabschiedung eines Texts zu hindern, auch wenn wir nicht mit einem solchen Text einverstanden gewesen wären. Aber wir wurden absichtlich in eine Position gedrängt, in der wir keine andere Wahl hatten, als einen Text zu stoppen, der eine im Gegensatz zu internationalem Recht stehende Bestimmung enthält, eine Bestimmung, die wir weiterhin als Nötigung betrachten. [...]

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