Ausgabe September 1996

Kommerz vs. Bürgertugend

Das Bild, das die Vereinigten Staaten während der Olympischen Spiele in Atlanta von sich entwarfen, entsprach weder dem, das die Stadt präsentieren wollte, noch einem Bild, mit dem die Amerikaner zufrieden sein können. Ich spreche hier weder von den organisatorischen Problemen in Atlanta noch von dem krassen Chauvinismus, der die Anwesenheit von 196 Delegationen anderer Länder völlig zu ignorieren schien. Beides war bloß ärgerlich. Die meisten Länder sind chauvinistisch, Nicolas Chauvin, den der Begriff unsterblich werden ließ, stammt aus Frankreich. Was die Welt am meisten schockierte, war die Überflutung alles anderen, des unauslöschlichen Sportsgeistes, der fairen Wettkämpfe, der Ideale der Olympischen Bewegung, durch die Geschäftstüchigkeit, die jede andere Sicht auf die Vereinigten Staaten als die einer Gesellschaft mit ausschließlich materialistischen Werten verstellte. Die Botschaft der Kommerzialisierung war nach Ansicht eines Kommentars im politisch konservativen, tatsächlich thatcheristischen Londoner "Sunday Telegraph" "der totale Krieg, siegen um jeden Preis, der Zweck heiligt die Mittel", eine Philosophie, die "im Grunde genommen kaum vom Credo einer durchschnittlichen Terroristengruppe zu unterscheiden ist".

So wurden ausländische Vorurteile und sogar ausländische Haßgefühle bestätigt.

September 1996

Sie haben etwa 17% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 83% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Waffenruhe und Repression

von Katajun Amirpur

Die Schadenfreude in der iranischen Bevölkerung über die Tötung einiger verhasster Anführer der Revolutionsgarden währte nur kurz. Denn als Israel am 13. Juni Anlagen des iranischen Atomprogramms, militärische Einrichtungen und hochrangige Kommandeure der iranischen Militärführung angriff, wurde schnell klar: Benjamin Netanjahu hielt nicht, was er versprochen hatte.

Donald Trump und die moderne Konterrevolution

von Bernard E. Harcourt

Mit einer Flut von Präsidialdekreten und Notstandserklärungen hat Donald Trump die Axt an den US-amerikanischen Regierungsapparat und die globale Ordnung gelegt. Er zerschlägt den Verwaltungsstaat, schließt Behörden und entlässt Bundesbedienstete.