(Wortlaut) Bei einem gemeinsamen Auftritt der beiden ehemaligen US Spitzengenerale Lee Butler (vgl. die deutsche Erstveröffentlichung seines Beitrags im Artikelteil dieses Heftes) und Andrew Goodpaster wurde auch eine "Erklärung internationaler Generale und Admirale zur Frage der Atomwaffen der Öffentlichkeit unterbreitet. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Text, den nachstehend in eigener Übersetzung dokumentieren, von 80 Generalen und Admiralen aus Ländern unterzeichnet worden, darunter zwei andere ehemalige NATO-Oberkommandiende (SACEUR), die US-Generale Bernard W. Rogers und John R. Galvin, und von russischer Seite u.a. die Ex-Generale Boris Gromow und Alexander Lebed. D. Red. Wir, Berufssoldaten, die ihr Leben der nationalen Sicherheit ihrer Länder und Völker gewidmet haben, sind der Überzeugung: Das Verbleiben von Kernwaffen in den Arsenalen der Nuklearmächte und die ständige Bedrohung, daß andere solche Waffen erlangen könnten, gefährden Weltfrieden und -sicherheit. Sie bedrohen die Sicherheit und das Überleben der Menschen, deren Schutz wir uns verschrieben haben. Durch die Vielfalt unserer Verantwortungsbereiche und Erfahrungen mit Waffen und Kriegen in den Streitkräften vieler Nationen haben wir eine intime und vielleicht einzigartig Kenntnis davon erworben, wie es gegenwärtig um Sicherheit und Unsicherheit unserer Land und Völker besteht ist. Wir wissen, daß Nuklearwaffen, obwohl sie seit Hiroshima und Nagasaki nie mehr angewendet worden sind, eine deutliche und präsente Gefährdung der Menschheit in ihrer nackten Existenz darstellen. Ein immenses Risiko eines Supermacht-Holocaust gab es während des Kalten Krieges. Zumindest einmal stand die Zivilisation am Rande einer katastrophalen Tragödie. Diese Bedrohung ist jetzt gewichen, jedoch nicht für alle Zeiten - außer, die Nuklearwaffen werden abgeschafft. Das Ende des Kalten Krieges schuf günstige Bedingungen für nukleare Abrüstung. Die Beendigung der militärischen Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten ermöglichte es, die Zahl der strategischen und taktischen Kernwaffen zu verringern und Mittelstreckenraketen völlig abzuschaffen. Ein deutlicher Meilenstein auf dem Wege zu nuklearen Abrüstung war der Verzicht Weißrußlands, Kasachstans und der Ukraine auf ihre Kernwaffen. Wichtige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt waren auch die unbegrenzte Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags 1995 und die Zustimmung der UNO-Vollversammlung zum umfassenden Teststop-Abkommen 1996. Wir erkennen die Arbeit an, die geleistet wurde um diese Ergebnisse zu erzielen. Leider ist trotz dieser positiven Schritte keine echte nukleare Abrüstung erreicht worden. Die Verträge sorgen nur für die Zerstörung der Trägersysteme, nicht der nuklearen Sprengköpfe. Dies erlaubt es den USA und Rußland, ihre Sprengköpfe in Reserve zu halten, und schafft damit ein "reversibles Nuklear-Potential". In der Sicherheitslandschaft nach dem Kalten Krieg sind jedoch die normalerweise postulierten atomaren Drohungen unempfänglich gegenüber Abschreckung oder schlichtweg nicht glaubwürdig. Daher meinen wir, daß Business as usual bei nuklearen Fragen kein annehmbarer Weg für die Welt ist. Nach unserer tiefen Überzeugung ist das Folgende dringend nötig und muß jetzt angegangen werden: - Erstens: Die gegenwärtigen und geplanten Kernwaffenarsenale sind exzessiv groß und sollten jetzt stark verkleinert werden. - Zweitens: Die verbleibenden Nuklearwaffen sollten schrittweise und auf transparente Weise aus den Gefechtsstellungen genommen und ihre Bereitschaft sowohl von den Nuklearmächten als auch den De-facto-Atommächten wesentlich herabgesetzt werden. - Drittens: Die langfristige internationale Nuklearpolitik muß auf dem erklärten Prinzip kontinuierlicher, vollständiger und unwiderruflicher Abschaffung der Kernwaffen gründen. Die Vereinigten Staaten und Rußland sollten - ohne irgendeine Verringerung ihrer militärischen Sicherheit - die Reduzierung vorantreiben, die durch START begonnen worden ist; sie sollten jeweils auf 1000 bis 1500 Sprengköpfe heruntergehen, möglicherweise auf weniger. Die anderen drei Atomstaaten und die drei Schwellenstaaten sollten in die Verringerung einbezogen werden, wenn über noch tiefere Einschnitte auf eine Größenordnung von Hunderten verhandelt wird. Verteidigung der territorialen Integrität einzelner Staaten und Fortschritt in Richtung Abschaffung aller Kernwaffen sind nicht unvereinbar. Die genauen Umstände und Bedingungen, die das Fortschreiten zur vollständigen Abschaffung schließlich ermöglichen werden, können jetzt noch nicht vorhergesehen oder vorgeschrieben werden. Eine offensichtliche Vorbedingung wäre eine weltweites Überwachungsund Inspektions-Programm, einschließlich Aufzeichnung und Kontrolle der Inventare kernwaffenfähigen Materials. Das wird Sicherstellen, daß keine Verbrecher oder Terroristen heimlich nukleare Kapazitäten zu erlangen versuchen, ohne im Frühstadium entdeckt zu werden. Unbedingt notwendig ist ein vereinbartes Vorgehen für eine gewaltsame internationale Intervention im Falle verdeckter nuklearer Anstrengungen sowie eine sichere und rechtzeitige Unterbrechung derselben. Ebenfalls wichtig für die Schaffung einer atomwaffenfreien Welt sind: - die Schaffung kernwaffenfreier Zonen in verschiedenen Teilen der Erde, - vertrauensbildende und Transparenz schaffende Maßnahmen im Verteidigungsbereich allgemein, - die strikte Durchsetzung aller Abrüstungs- und Rüstungskontrolverträge und - gegenseitiger Beistand bei der Abrüstung. Die Entwicklung regionaler Systeme kollektiver Sicherheit, einschließlich praktischer Maßnahmen zur Kooperation, Partnerschaft, Interaktion und Kommunikation, ist unbedingt notwendig für lokale Stabilität und Sicherheit. Es kann nicht entschieden werden, in welchem Grade Kernwaffen und die Furcht vor ihrem Einsatz Krieg verhindert haben mögen - in einer Welt, die allein in diesem Jahr [1996] 30 Militärkonflikte gesehen hat. Klar ist jedoch, daß Nationen, die heute Kernwaffen besitzen, diese nicht aufgeben werden, bevor sie davon überzeugt sind, über verläßlichere und weniger gefährliche Sicherheitsinstrumente zu verfügen. Folglich werden die Kernwaffenmächte - das ist ebenfalls klar - jetzt keinem festen Fahrplan für die vollständige Abschaffung zustimmen. Ähnlich klar ist, daß einige der Nationen, die heute keine Nuklearwaffen besitzen, nicht auf ewig ihrem Erwerb und Einsatz abschwören werden, außer, sie erhalten ebenfalls Mittel zur Garantie ihrer Sicherheit. Ebensowenig werden sie auf den Erwerb verzichten, falls die gegenwärtigen Nuklearmächte ihr Atomwaffenmonopol bis in alle Ewigkeit zu erhoffen suchen. Die Bewegung in Richtung Abschaffung muß eine gemeinsame Aufgabe sein, vor allem der erklärten Kernwaffenstaaten - China, Frankreich, Rußland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten -, der De-facto-Kernwaffenstaaten Indien, Israel und Pakistan sowie größerer Nicht-Nuklearmächte wie Deutschland und Japan. Alle Nationen sollten sich gemeinsam in Richtung auf dasselbe Ziel bewegen. Wir stehen vor einer Herausforderung von höchstmöglicher historischen Bedeutung: vor der Schaffung einer kernwaffenfreien Welt. Das Ende des Kalten Krieges macht sie möglich. Die Gefahren der Weiterverbreitung, des Terrorismus und eines neuen nuklearen Wettrüstens machen sie nötig. Wir müssen unsere Chance ergreifen: Es gibt keine Alternative.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.