Ausgabe November 1997

Amerikanische Altlasten

Wohl kein Präsident seit Lyndon Johnson hat sich so intensiv mit dem Thema Rassismus beschäftigt wie Bill Clinton, ein Sohn des Südens, der als Kind die amerikanische Apartheid mit ihren rassengetrennten Restaurants und Parkbänken hautnah miterlebt hatte. Clintons und Johnsons Rassismusinitiativen unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt: Johnson hat in den 60er Jahren Bürgerrechtsgesetze unterzeichnet, Clinton redet den Bürgern ins Gewissen. Er hat seine Landsleute schon ein halbes Dutzend mal angefleht, in sich zu gehen, und Abschied zu nehmen von Vorurteilen. "Wir haben die gesetzlichen Barrieren der Diskriminierung und des Rassismus niedergerissen", erklärte Clinton bei seiner Grundsatzrede in San Diego im Juni zum Auftakt eines "nationalen Dialoges über Rassenfragen". "Jetzt müssen wir die Barrieren in unseren Köpfen und Herzen niederreißen". In einem Fernsehinterview gab Clinton sogar kund, daß er die Nachkommen der afrikanischen Sklaven möglicherweise im Namen der USA um Verzeihung bitten werde.

Der Zeitpunkt für eine "offene Aussprache" über Rassismus sei günstig, da in den USA derzeit keine "Krisenatmosphäre" herrsche wie vor dreißig Jahren. Damals hatte Johnson nach Aufständen in den Gettos eine nationale Rassismuskommission unter Vorsitz von Gouverneur Otto Kerner einberufen.

November 1997

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

80 Jahre UNO: Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

von Jan Eijking

Am 24. Oktober feiern die Vereinten Nationen ihr 80. Jubiläum – doch Anlass zum Feiern gibt es kaum. Das UN-System befindet sich in einem bespiellos schlechten Zustand. In der aktuellen Krise zeigen sich strukturelle Probleme, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der UN ziehen.