Ausgabe November 1997

Die Gesellschaft aus der Zwangsjacke befreien

Vorstellung des Gesetzesentwurfs Neue Dienstleistungsbereiche - Neue Arbeitsplätze durch die französische Ministerin für Beschäftigung und Solidarität, Martine Aubry, am 15. September 1997 (Auszüge)

Innerhalb von fünf Jahren 700 000 Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen, das hat Lionel Jospin im Wahlkampf versprochen. Nachdem Verantwortliche aus zehn Ministerien gemeinsam mit Fachleuten nach neuen Beschäftigungsfeldern gesucht haben, wurde eine Liste mit zunächst 22 neuen Berufsbildern erstellt. Am 20. August beschloß der Ministerrat das Beschäftigungsprogramm für junge Stellensuchende, durch das innerhalb der kommenden drei Jahre 350 000 Vollzeit-Arbeitsplätze entstehen sollen. Es werden neue Dienstleistungen angeboten, die bisher weder der öffentliche Dienst noch die Privatwirtschaft erbringen.

So will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und den Widerspruch auflösen helfen, der darin besteht, daß trotz enorm hoher Arbeitslosigkeit notwendige Arbeiten nicht ausgeführt werden, weil sie nicht oder noch nicht marktfähig sind. In Deutschland steckt die Diskussion um diesen sog. Dritten Sektor noch in den Anfängen - und wird durch den Vorwurf des Staatsinterventionismus tabuisiert. Entsprechend beklagt die FAZ (21.8.1997) am französischen Versuch, neue Wege zu gehen, "die alte sozialistische Illusion" und warnt vor "Arbeitsplätzen per Dekret" sowie "faulen Früchten des Dirigismus". In Frankreich dagegen äußern auch führende Konservative, daß es nicht sinnvoll sei, am Mythos der Vollbeschäftigung (durch Entfesselung der Marktwirtschaft) festzuhalten - und fordern politische Konsequenzen. (Vgl. Philippe Séguin, Auf der Suche nach einer anderen Gesellschaft, in: "Blätter", 12/1996, S. 14631473.) Martine Aubrys Programm wurde allerdings auch von den französischen Konservativen heftig angegriffen, nicht zuletzt, da es den bisher größten finanziellen Aufwand des französischen Staates für Beschäftigungsprogramme bedeutet. - D. Red.

Herr Präsident meine Damen und Herren Minister,

meine Damen und Herren Abgeordneten,

ich habe die Ehre, diese außerordentliche Sitzung des Parlaments zu eröffnen und Ihnen einen Text über das staatliche Engagement zur Förderung von Arbeitsplätzen für Jugendliche vorzustellen, einen Gesetzesentwurf, der am 20. August dieses Jahres vom Ministerrat beschlossen wurde. Hier vor Ihnen betonte bereits der Premierminister bei seiner Regierungserklärung am 19. Juni, daß die Regierung der Beschäftigungspolitik Priorität einräumt.

Denn wir können nur dann auf eine durch mehr Solidarität geprägte Gesellschaft hoffen und unserem Land Vertrauen zurückgeben, wenn wir in der Lage sind, die Arbeitslosigkeit dauerhaft zu senken. Dazu müssen wir gemeinsam ein neues Wachstumsmodell entwickeln, das mehr Arbeitsplätze schafft. Der Text, über den wir ab heute beraten werden, ist ein Teil des Programms und Engagements der gesamten Regierung für mehr Arbeit. Auch wenn wir alles tun müssen, um ein möglichst großes Wachstum zu erzielen, so können wir darauf doch nicht unsere ganze Hoffnung setzen. Bei einem Wachstum von 3% würde die Arbeitslosenrate in den kommenden Jahren bei rund 12% stagnieren. Der erste Schwerpunkt unserer Politik ist die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, die heute hauptsächlich durch eine Zunahme des Verbrauchs erreicht wird: man muß vor allem denjenigen Kaufkraft zurückgeben, die sie am dringendsten brauchen. Das machen wir nun schon seit Juni, indem wir den dynamischen Mindestlohn für alle Berufssparten zum 1. Juli um 4% anhoben, die Unterstützungen zum Schuljahresanfang vervierfachten und das Wohngeld erhöhten. Außerdem werden wir in den nächsten Tagen die Sozialabgaben auf die Sozialsteuer umlegen. Der zweite Schwerpunkt, der in wenigen Tagen, im Rahmen der Lohnkonferenz mut den Sozialpartnern in Angriff genommen wird, betrifft die Senkung der Arbeitszeit.

Drittens suchen und unterstützen wir Berufe von morgen, ob sie nun im Bereich der neuen Technologien wie der Informatik zu finden sind oder eine Antwort auf neue Bedürfnisse darstellen. Dieser Gesetzesentwurf zielt exakt darauf ab, neu auftretende oder nicht befriedigte Bedürfnisse durch die Schaffung von Berufen auf sozialem, kulturellem und sportlichem Gebiet sowie in den Bereichen Umweltschutz oder Nachbarschaftshilfe zu befriedigen. Er wird es ermöglichen, 350 000 Jugendliche dauerhaft in das Erwerbsleben einzugliedern und an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist, wie jeder weiß, äußerst besorgniserregend. Mehrere Faktoren bestätigen dies: die zeitlich nach hinten verschobene Eingliederung der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt, eine schwierige Arbeitsmarkt- und Einkommenssituation sowie ein besorgniserregender Anstieg der Armut.

Heute sind mehr als 25% der erwerbsfähigen Jugendlichen unter 27 Jahren arbeitslos. Es herrscht der Eindruck vor, die französische Gesellschaft sei nicht mehr fähig, den Jugendlichen einen Platz einzuräumen und ihnen eine kollektive Lösung vorzuschlagen. Arbeitslosigkeit, eine auf internationaler Ebene unsichere und unbeständige Umwelt, AIDS und ein Anstieg des Rassismus - dies alles löst bei vielen Jugendlichen eine Angst aus, die sie zwingt, sich gegen die Außenwelt zu verschließen. Für die jungen Menschen wird es immer schwieriger, sich ihren Platz in der Zukunft vorzustellen und einen persönlichen Lebensentwurf zu schaffen - ein Zeichen dafür, daß unsere Gesellschaft zu ihrem Rhythmus finden muß. Deshalb muß die Volksvertretung heute unserer Jugend ein deutliches Signal geben. Auf dem Spiel steht auch das Modell einer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesellschaft, die wir schaffen wollen. Der soziale Zusammenhalt basiert auf der Fähigkeit einer Gemeinschaft, zwischen Gemeinwohl und wirtschaftlichem Konkurrenzkampf zu trennen. Heute ist diese Grenze in vieler Hinsicht verschwommen. Um die Zukunft insbesondere der jungen Menschen zu sichern und mehr Solidarität in unsere Gesellschaft zu tragen, müssen wir das soziale Gefüge vor allem durch die Schaffung neuer Berufe, durch die unbefriedigte Bedürfnisse gestillt werden, wieder aufbauen. [...]

Der zweite Grund für die Ausarbeitung dieses Entwurfs über neue Berufssparten ist ein in unserem Land nach wie vor vorhandenes Paradoxon: Unser Land ist reich, und dennoch werden Grundbedürfnisse unzureichend oder gar nicht befriedigt. Die Menschen in unserm Land haben Bedürfnisse. Grundbedürfnisse wie Wohnung, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, deren Befriedigung hauptsächlich in den Zuständigkeitsbereich des Staates fällt.

Aber sie haben auch neuartige Bedürfnisse, die von der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft herrühren, und zwar in Form von Dienstleistungen am Menschen selbst Umweltschutz und Schutz des Kulturgutes sowie Lebensqualität. Das Ziel der Regierung ist es, diesen Bedürfnissen durch den Ausbau des Dienstleistungsbereichs zu entsprechen, um ein besseres Gemeinschaftsleben, ein besseres Zusammenleben zu erreichen und dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen. Wie ich schon zu Beginn meiner Rede sagte, fügt sich dieses Programm zur Erschließung neuer Tätigkeitsfelder und Arbeitsplätze für Jugendliche in das Gesamtkonzept der Regierung ein, das darin besteht, insgesamt mehr Stellen zu schaffen. Heute ist dieses "Nebeneinander" zweier Erscheinungen inakzeptabel: auf der einen Seite eine massive Arbeitslosigkeit - 5 Mio. Menschen sind mehr oder weniger auf der Suche nach Arbeit - und auf der anderen Seite die nicht befriedigten Bedürfnisse.

Nun genügt es aber sichtlich nicht, alles einfach auf sich zukommen zu lassen oder darauf zu warten, daß der Markt die legitimen Ansprüche eines jeden befriedigt. Seit dem Zweiten Weltkrieg und vor allem während der dreißig "glorreichen Jahre" wurde das Wachstum hauptsächlich durch den Verbrauch der Haushalte an individuellen Gebrauchsgütern - Wohnung, Kleidung, Auto, Haushaltsgegenstände und neuerdings audiovisuellen Zubehörs - angekurbelt. "Mehr zu haben" trieb die Franzosen damals an. Heute geben die meisten Haushalte ihr Geld lediglich für Neuerungen aus, nicht mehr für Grundgüter, deren Markt ein großes Entwicklumgspotential beinhaltet, selbst wenn neue Produkte auf den Markt kommen wie zum Beispiel im Bereich der Mikro-Informatik, der multimedialen Technik usw. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse allein kann daher kein genügend großes Wirtschaftswachstum mehr auslösen. Die Befriedigung unserer vorrangigen Bedürfnisse erfolgt nunmehr hauptsächlich durch Dienstleistungen. Das gilt ebenso für die Dienstleistungen am Menschen selbst.

Lassen Sie mich hier einige Beispiele nennen: Die Bevölkerungsentwicklung und die medizinischen Fortschritte führen zu einem sehr starken Anstieg der älteren Bevölkerung, die gleichzeitig eine höhere Lebenserwartung hat. Dadurch steigt der Bedarf der älteren Menschen an Versorgung mit all ihren Aspekten wie Gesundheit, Bewältigung des tägliches Lebens, Freizeit usw. eine Aufgabe, die von den Familien alleine nicht mehr bewältigt werden kann. Dasselbe gilt für den Umweltschutz. In einer Gesellschaft mit einer größeren Bevölkerung und einem höheren Verbrauch ist die Natur bedroht. Umweltschutz und Müllaufbereitung zum Beispiel sind kein Luxus, sondern unbedingte Voraussetzung dafür, den zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen zu können. Gleichermaßen erfordert der Unterhalt sozialer Beziehungen in der Stadt, in der Schule und zwischen den Generationen den Ausbau neuer Tätigkeitsfelder in den Bereichen Kontaktvermittlung, Animation usw. Und schließlich braucht der Mensch für seine Entfaltung, zur Beherrschung einer immer komplexer werdenden Welt sowie zur Ausübung der Demokratie sein ganzes Leben lang einen verbesserten Zugang zu Information, Bildung und Kultur. In all diesen Bereichen haben bereits Vereine, Gebietskörperschaften und Unternehmen Initiativen entwickelt. Zahlreiche Gebietskörperschaften haben Versuchsprojekte durchgeführt. Erlauben Sie mir, hier die Stadt Lille als Beispiel anzuführen, wo wir durch die Erschließung neuer Tätigkeitsfelder zur Befriedigung neuartiger Bedürfnisse gemeinsam mit Pierre Mauroy einige Initiativen gestartet haben.

Aber genauso gut konnte ich Straßburg, Rennes, Marseille, Epinal oder Amiens nennen. Um aus all diesen Erfahrungen zu lernen, müssen wir uns vor Augen halten, daß es hierbei oft zwei Schwierigkeiten gibt: das Angebot organisatorisch umzusetzen und die Nachfrage zu finanzieren. [...]

Wir müssen logisch vorgehen und die Bedürfnisse unserer Mitbürger erst einmal identifizieren, dann ein Angebot schaffen, das diese Bedürfnisse befriedigen kann, und schließlich diesem Angebot durch die Schaffung neuer Berufe einen konkreten Inhalt geben. Der zweite Schwerpunkt des Regierungsprogramms ist die Finanzierung dieser Bedürfnisse. Es sind nämlich unmittelbar keine Gelder vorhanden, und es findet somit auch keine Finanzierung durch den Markt statt. Die Regierung hat daher beschlossen, die Schaffung von 350 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich durch eine beispiellose Finanzspritze von 92 000 Franc pro Arbeitsplatz und pro Jahr fünf Jahre lang zu fördern. Diese auf den Arbeitsmarkt wirkende Hebelwirkung wird zur Entstehung neuer Tätigkeitsbereiche und neuer Berufszweige führen, für die schrittweise Ausbildungs- und Qualifikationszweige geschaffen werden müssen. In den neu entstehenden Dienstleistungszweigen wird es natürlich eine ganze Reihe von Qualifikationsstufen geben, wie es in der Industrie und in den traditionellen Dienstleistungsbereichen heute schon der Fall ist. Wir brauchen Beschäftigte, Tätigkeitsbeschreibungen, anerkannte Abschlüsse, zuweilen neue Auswahlverfahren und Bewertungsgrundlagen. Neben einfachen Funktionen wird es hochqualifizierte Berufe geben. Dieses Programm richtet sich in erster Linie an Jugendliche, egal welche Qualifikation sie haben. Es wird den jungen Menschen zwischen 18 und 26 Jahren sowie den unter 30jährigen, sofern diese kein Arbeitslosengeld beziehen, ermöglichen, an der Entwicklung neuer Tätigkeits- und Berufszweige mitzuwirken und ihre Energie und Kompetenz dabei zur Verfügung zu stellen. [...]

Die wesentlichen Grundzüge des Gesetzentwurfs

Aus diesen Gründen hat die Regierung beschlossen, für die Entwicklung solcher Aktivitäten den Anstoß zu einem völlig neuen Programm zu geben, das zur Schaffung von 350 000 Arbeitsplätzen für Jugendliche führen soll. - Es geht hier nicht darum, Jugendliche in ungesicherte Arbeitsverhältnisse zu bringen, um sie mit geringfügigen Aufgaben in der Verwaltung oder in Vereinen zu beschäftigen oder gar darum, ordentliche Beschäftigte zu ersetzen. Ich sage hier ganz deutlich - nachdem ich einige, bisher jedoch sehr wenige Kritiken gehört habe: Wir haben nicht vor, Jugendliche in bereits bestehenden öffentlichen Stellen unterzubringen. Bürgermeistern, die versucht sein könnten, in den Ruhestand gehende Mitarbeiter durch Jugendliche zu ersetzen oder Jugendliche einzustellen, um den Service in den Stadtverwaltungen zu verbessern, sage ich ganz klar, daß es darum nicht geht. Es geht vielmehr darum, den neuen Bedürfnissen zu entsprechen, für die ich Beispiele genannt habe, indem echte Arbeitsplätze angeboten werden, die auf Dauer angelegt und als neue Berufe eingeführt werden sollen. Die Stellen sollen von Körperschaften, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und Vereinen getragen werden. Mit Ausnahme der Hilfskräfte bei der Polizei wird der Staat nicht als Arbeitgeber auftreten. Vorgesehen ist auch, daß Betriebe, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, wie die Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau oder die städtischen Verkehrsbetriebe, Jugendliche im Rahmen dieses Programms einstellen können, sofern es sich wirklich um neue Aktivitäten im Zusammenhang mit den ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben handelt. - Die Stellen sollen auf Dauer angelegt sein. Ich möchte zwei Möglichkeiten aufzeigen.

Erstens können viele dieser Stellen, wenn erst einmal das Dienstleistungsangebot richtig strukturiert und professionalisiert wurde, durch die Benutzer finanziert werden, d.h. Einrichtungen die eine zusätzliche Dienstleistung anbieten (Beispiele: sozialer Wohnungsbau, Zusatzversicherungen, Altenheime, Betriebsausschüsse) oder aber von Privatunternehmen (Beispiele: städtische Verkehrsbetriebe, Dienstleistungsunternehmen usw.).

Zweitens müssen wir die Wirksamkeit unserer Sozialausgaben erhöhen. Das liegt im Interesse sowohl der Gemeinschaft als auch unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es ist besser die Betreuung älterer Menschen zu Hause als in Heimen zu finanzieren. Es ist besser, vorbeugende Maßnahmen als Gefängnisaufenthalte zu finanzieren. Es ist besser, ein lobenswertes Umfeld zu erhalten als die Wiederherstellung von Lebensraum zu bezahlen. Man könnte noch viele Beispiele nennen. In ebendiesem Sinne kann man sich wünschen, daß die im Zusammenhang mit der beruflichen Eingliederung oder der Arbeitslosigkeit entstehenden Kosten bei dieser Gelegenheit aktiviert werden. Viele von Ihnen verlangen das. - Diese Stellen müssen zu richtigen Berufen gemacht werden. Es geht natürlich nicht darum eine begrenzte Liste mit Berufen vorzuschlagen. Vielmehr ist Vorstellungskraft gefragt um neue Berufe zu erfinden. In Ergänzung müssen, wenn erforderlich, Anstrengungen bezüglich der Ausbildung der Jugendlichen gemacht werden, damit sie anerkannte Abschlüsse erlangen können. Die Regionalräte sollten, da die Berufsausbildung in ihre Zuständigkeit fällt, aktiv werden und direkt an der Umsetzung dieses Programms mitwirken; das wünsche ich mir sehr. Ich freue mich, daß mehrere Regionalratsvorsitzende mir mitgeteilt haben, daß sie ein Rahmenabkommen mit dem Staat unterzeichnen wollen. - Der vorgeschlagene Arbeitsvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag, auf den alle im Arbeitsrecht vorgesehenen Bestimmungen anwendbar sind. Und er soll in der Regel unbefristet sein.

Dennoch ist für Körperschaften und juristische Personen des öffentlichen Rechts ein auf 60 Monate befristeter Vertrag vorgesehen, weil unbefristete Verträge in den Gebietskörperschaften in öffentliche Stellen umgewandelt werden könnten und weil gezeigt werden soll, daß nach fünf Jahren die meisten dieser Stellen von einer anderen Struktur getragen werden sollen. Vereinigungen von Bürgermeistern und viele Mandatsträger haben mir im Laufe des Sommers immer wieder mitgeteilt, daß für die Körperschaften befristete Verträge gelten sollten. Wir bieten also den jungen Leuten wirkliche Stabilität und echte Perspektiven für die Eingliederung in die Gesellschaft. Sie können planen, ihre Zukunft in die Hand nehmen, die mangelnde Stabilität und die unsichere soziale Lage, in der sie sich befinden, hinter sich lassen. - Damit diese Aktivitäten entwickelt werden können, damit eine starke Hebelwirkung auf die Beschäftigung ausgeht und neue Tätigkeitsbereiche und Berufssparten entstehen, stellt der Staat eine erhebliche Hilfe zur Verfügung: fünf Jahre lang eine Finanzierung von 80% eines Brutto-Mindestlohns (also heute 92.000 Franc jährlich, die zu jedem 1. Juli neubewertet werden). Noch nie hat sich der Staat mit einem solchen Betrag und für einen so langen Zeitraum für Arbeitsplätze eingesetzt. Diese Hilfe soll es ermöglichen, die Beschäftigung zu festigen und ihre Dauerhaftigkeit zu gewährleisten. Der Haushalt für 1998 wird bei 10 Mrd. Franc liegen. Außerdem sind begleitende Mittel vorgesehen für den technischen Ablauf, Fachpersonal und für Gutachten zur Qualitätssicherung der Projekte.

Die Umsetzung

Wie schon gesagt, hängt der Erfolg eines solchen Programms außer von den gesetzlichen Bestimmungen und Regelungen weitgehend von der Einstellung der Menschen und den Modalitäten seiner Umsetzung ab. Ich wünsche sehr - und verpflichte mich heute abend hier vor Ihnen dazu -, daß dieses Programm - in möglichst enger Zusammenarbeit mit Ihnen, den lokalen Handlungsträgern, - möglichst einfach und effizient umgesetzt wird. In einer ersten Phase müssen die Bedürfnisse erfaßt werden, müssen Projekte entwickelt und bearbeitet werden, muß geplant werden, wie man sie auf Dauer anlegt. Das muß mit den Zuständigen vor Ort geschehen: Mandatsträgern, Verantwortlichen von Vereinigungen, Partnern aus der Wirtschaft und den Verantwortlichen öffentlicher Unternehmen, die direkt in das lokale Leben einbezogen sind. Die Ausschreibung der Projekte muß auf der Ebene eines Beschäftigungsgebiets, eines Lebensbereichs, eines Ballungsraums, eines Gemeindeverbands oder einer Beschäftigungszone erfolgen. Ziel ist hier nicht, eine neue Zoneneinteilung festzuschreiben, sondern diejenige beizubehalten, die sowohl eine starke Mobilisierung der Beteiligten als auch die Strukturierung eines Angebots an ortsnahen Dienstleistungen erlauben.

Die Präfekte werden je Zone eine federführende Person benennen, die die Sache unterstützt, eine Person, die sich in die Projekte einschaltet und Partnerschaften knüpft. Wenn das Beschäftigungsgebiet eine Gemeinde ist, sollte unbedingt der Bürgermeister unser Gesprächspartner sein und für sich und die Beteiligten seiner Stadt sprechen. Ansonsten werden wir die Person finden, die am besten geeignet ist, die Beteiligten zu mobilisieren und die Projekte zu beurteilen. Wichtig ist auch die einfache Durchführung. Die Projekte werden dauerhaft ausgeschrieben, die Antworten müssen Gegenstand eines Antrags auf der Grundlage der allgemeinen Verdingungsunterlagen sein, in denen die Voraussetzungen für ein Projekt genannt sind. Ich wünsche in diesem Zusammenhang, daß das Parlament unsere Orientierung bestätigt, die auf einfache Verfahren und größtmögliche Flexibilität bei der Umsetzung der Projekte in größtmöglicher Nähe zu den örtlichen Gegebenheiten zielt - Voraussetzungen, die meiner Ansicht nach für den Erfolg dieses Programms unerläßlich sind. Die Gebietskörperschaften - Gemeinden, Regionalräte und Generalräte - können einen Zielvertrag mit dem Staat schließen, in dem die Quote der gewünschten Arbeitsplätze festgelegt ist.

Dann wird ein Abkommen mit jedem Arbeitgeber formuliert, in dem der Beschäftigungsbereich, die Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze sowie die entsprechenden Arbeitsbedingungen genannt werden.

Aber mein Interesse gilt auch der wirksamen und schnellen Umsetzung des Programms. Die staatlichen Dienststellen müssen natürlich diese Projekte leiten und deren Übereinstimmung mit den Tätigkeitsbeschreibungen sicherstellen. Ich möchte, daß eine schnelle Entscheidung getroffen wird, deshalb sieht der Gesetzesentwurf keine obligatorische Beratung durch eine Kommission vor, die die Prozedur schwerfällig machen würde. Die Geschäftsstellen für Arbeit, Beschäftigung und berufliche Bildung der Departements werden jedoch auf die Ratschläge der zuständigen staatlichen Dienststellen und vor allem der Gebietskörperschaften angewiesen sein, wenn diese nicht die direkten Ansprechpartner sind. Die definitive Entscheidung obliegt dem jeweiligen Präfekten. Die Umsetzumg muß dezentralisiert erfolgen. Es geht jedoch nicht darum, daß der Staat hier alles kanalisiert, denn er würde damit zu viele Zwänge auferlegen. [...]

Dieses Programm muß uns alle mobilisieren. Es handelt sich nicht um irgendein Arbeitsmarktprogramm unter vielen, und es ist keineswegs ein "konjunkturbedingtes" Programm. Ich bin überzeugt, daß es uns ermöglichen wird, die Lebensqualität zahlreicher Mitbürger zu verbessern und die sozialen Bindungen zwischen den Generationen zu festigen, indem es den Jugendlichen echte Aussichten auf Arbeit und damit eine Zukunftsperspektive gibt. [...]

Jedes der direkt von diesem Programm betroffenen Ministerien benannte einen Verantwortlichen. Diese zehn qualifizierten Personen legten uns im Juli einen Zwischenbericht vor und werden in wenigen Tagen ihre endgültigen Stellungnahmen abgeben. Durch ihre Arbeit konnten wir zahlreiche, heute noch nicht befriedigte Bedürfnisse der Bevölkerung identifizieren. [...]

Wir beschreiten neue Wege und können derzeit nicht alles genau vorhersehen. Die Skeptiker dieses Programms sollten an die jungen Menschen denken, denen wir heute die Hand reichen müssen. Wenn man nicht nur die Statistiken, sondern auch die Verzweiflung der jungen Menschen so mancher Wohnviertel kennt, die sich seit Jahren mit Praktika und Gelegenheitsjobs über Wasser halten, die manchmal unfähig sind, ihre Zukunft mehr als ein paar Wochen oder gar Tage im voraus zu planen, oder die kriminell werden, dann sage ich mir: Wir dürfen nicht erneut versagen! Wir können uns keine Fehler mehr leisten! Ich bin die erste, die unser Versagen eingesteht. Wir müssen uns darüber klar werden, daß unsere kollektiven Maßnahmen in den letzten Jahren das Problem der Jugendarbeitslosigkeit nicht gelöst haben. Die von mir genannten Zahlen sind der Beweis für eine Mißbilligung dieser Situation. Dieser einfache und kurze Gesetzestext ist vielleicht nicht perfekt. Er kann nicht alles voraussehen. Er ist noch nicht in jeder Hinsicht hieb- und stichfest, denn wir befinden uns hier auf Neuland.

Nun, wir werden jedes Jahr Bilanz ziehen und gemeinsam das korrigieren, was nicht funktioniert. Und wir werden Initiativen unterstützen, die nicht von selbst auf die Beine kommen. Setzen wir auf Initiativen und befreien wir unsere Gesellschaft aus der Zwangsjacke, die ihre Energien blockiert. Nur so können wir unsere gesamte Gesellschaft mobilisieren. Nur so können wir wieder Solidarität herstellen. Dafür sind wir alle verantwortlich.

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