Umfassende Wechsel innerhalb der Regierung sind in Rußland, wie übrigens auch in westlichen Demokratien, nichts ungewöhnliches an sich. So wurden erst im Februar die Minister für Atomenergie, Transport und Bildung ausgetauscht. Wesentlich umfangreicher und einschneidender verlief dagegen die Kabinettsumbildung im März 1997. Damals sollten Anatolij Tschubais, ehemaliger Vorsitzender der Privatisierungsbürokratie sowie einstiger Erster Stellvertretender Premierminister, und Boris Nemzow, ehemals Gouverneur in der Musterregion Nischnij Nowgorod, dem Technokraten Tschemomyrdin schwungvoll und unorthodox unter die Arme greifen. Die nun, ein Jahr später, verfügte Entlassung Tschernomyrdins sowie die komplette Auswechslung der Administration verlangen hingegen tiefe Beweggründe und eine gründliche Erklärung. Jelzin jedoch teilte der Öffentlichkeit nichts dergleichen mit. So verbleiben im Endeffekt zwei Deutungsmöglichkeiten: Nach Variante A wollte der Präsident den von einem Mißtrauensvotum bedrohten Premier aus der Schußlinie der Kritiker entfernen und dessen Absetzung durch die Deputierten zuvorkommen. Gedanklicher Hintergrund ist dabei, daß der von der Duma geforderte Rechenschaftsbericht der Regierung anstand: Am 9. April sollte Tschernomyrdin vorstellen, was er zur Begleichung der Lohnschulden unternommen hatte, die mittlerweile auf 54 000 Mrd.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.