Am 24. März verkündete das Appellate Committee des britischen Oberhauses, das höchste Gericht im Rechtssystem Großbritanniens, sein Urteil im Fall Pinochet: Der Senator auf Lebenszeit und ehemalige Militärdiktator Chiles, Augusto Pinochet, darf an Spanien ausgeliefert werden, um dort wegen Folter vor Gericht gestellt zu werden. 1) Weitere Anklagepunkte im spanischen Auslieferungsgesuch - einschließlich Mord, versuchter Mord und Geiselnahme ließ die Mehrheit der Richter nicht gelten. Das Urteil wurde zunächst von Anhängern und Gegnern des ehemaligen Generals gleichermaßen als Triumph gefeiert - eine verblüffende Reaktion, die einige Kommentatoren dazu veranlaßte, von einem salomonischen Urteil zu sprechen. Konfus wäre eine treffendere Bezeichnung; als Meilenstein in der Entwicklung des internationalen Schutzes der Menschenrechte wird das Urteil gewiß nicht in die Rechtsgeschichte eingehen. Trotz der hervorragenden Bedeutung dieses Präzedenzfalles ist es schwer vorstellbar, daß die Rechtssprechung der Lordrichter Einfluß auf Entscheidungen ausländischer Gerichte ausüben wird - obwohl die internationale Rechtssprechung eine wichtige Quelle des Völkerrechts darstellt und gerade im Fall Pinochet starke Berücksichtigung fand. Britische Gerichte, die an das Urteil gebunden sind, werden Mühe haben, es umzusetzen.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.