Der wirklich heiße Sommer 1999 hat es noch deutlicher gemacht: In für ernsthaft denkende Menschen fast unerträglicher Weise werden in der SPD substantielle inhaltliche Fragen auf eine personenzentrierte Ebene verschoben. Dabei entstehen bei manchem sozialdemokratischem Politiker offensichtlich die Gedanken im Mund und nicht, wie es sein sollte, zuerst im Kopf; da redet man drauflos und so lange, bis man den Gegner endlich im eigenen Lager entdeckt hat, statt sich mit der Opposition, deren ungeordneter Nachlaß kaum mehr zur Kenntnis genommen wird, auseinanderzusetzen. Auf diese vordergründige Weise wird die Komplexität gesellschaftlicher Veränderungsprozesse verdeckt, die fast umwälzende Umorientierung in den Wertewelten nicht angemessen begriffen und schon gar nicht begreifbar gemacht. Leichtfertig fällt man in die gewohnten Zuordnungen zurück: links/rechts, Traditionalist/Modernisierer, weil's griffiger zu sein scheint.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.