Der wirklich heiße Sommer 1999 hat es noch deutlicher gemacht: In für ernsthaft denkende Menschen fast unerträglicher Weise werden in der SPD substantielle inhaltliche Fragen auf eine personenzentrierte Ebene verschoben. Dabei entstehen bei manchem sozialdemokratischem Politiker offensichtlich die Gedanken im Mund und nicht, wie es sein sollte, zuerst im Kopf; da redet man drauflos und so lange, bis man den Gegner endlich im eigenen Lager entdeckt hat, statt sich mit der Opposition, deren ungeordneter Nachlaß kaum mehr zur Kenntnis genommen wird, auseinanderzusetzen. Auf diese vordergründige Weise wird die Komplexität gesellschaftlicher Veränderungsprozesse verdeckt, die fast umwälzende Umorientierung in den Wertewelten nicht angemessen begriffen und schon gar nicht begreifbar gemacht. Leichtfertig fällt man in die gewohnten Zuordnungen zurück: links/rechts, Traditionalist/Modernisierer, weil's griffiger zu sein scheint.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.