Wenige Wochen vor seinem Tod hat Ignatz Bubis mit seinem letzten Interview viele Menschen verstört. Im Grunde nichts erreicht habe er in seinen Jahren als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: Die Deutschen würden sich stolz zu Beethoven bekennen, aber gar nicht zu ihrer Verantwortung für Himmler, Juden würden als Fremde betrachtet, und er selbst wolle sich in Israel bestatten lassen, damit es nicht zu einem Sprengstoffanschlag auf sein Grab komme wie auf das seines in Berlin beerdigten Vorgängers. Gerade in der Trauer um Bubis lohnt sich ein Blick auf die Reaktionen, die seine pessimistischen Äußerungen hervorriefen. Die Walsers, die den kranken Ignatz Bubis zu Worten der Verzweiflung provoziert hatten, blieben still. Wohlmeinende deutsche Nichtjuden, die üblichen Verdächtigen unter den Leitartiklern voran, stimmten Bubis zu - mit dem Basso continuo der Selbstanklage, trotz allem irgendwie ritualisierten Gedenken ziehe doch niemand wirklich Lehren aus den Schrecken von Auschwitz.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.