"Schon seit langem suche ich verlässliche Studien darüber, dass die Todesstrafe abschreckend wirkt. Ich habe noch nichts dergleichen gefunden". So Janet Reno im Januar 2000. Reno ist amerikanische Justizministerin. Ihr Chef hat vor vier Jahren ein "Gesetz zur Effektivierung" der Todesstrafe durchgesetzt, um Berufungsverfahren zu beschleunigen. Ob Reno wenigstens bei Kabinettssitzungen Zweifel angemeldet hat, ist nicht bekannt. Öffentlich interveniert hat sie jedenfalls nicht. Und wie könnte sie auch: Clinton ist ein engagierter Verfechter der Todesstrafe; in der Bibel stehe nichts dagegen. Als Gouverneur von Arkansas unterzeichnete er mehrere Hinrichtungsbefehle, darunter einen für den geistig schwer behinderten Rickey Ray Rector. Im Jahr 2000 stellen die USA sicher wieder einen neuen Hinrichtungsrekord auf. 1999 waren 98 Menschen von Staats wegen getötet worden, mehr als jemals zuvor seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976. Allein im Januar 2000 wurden zwölf Menschen hingerichtet, darunter drei zur Tatzeit erst 17-jährige Mörder. Nach Einschätzung des renommierten Todesstrafeninformationszentrums in Washington könnte die Zahl der Hinrichtungen dieses Jahr 150 erreichen. Das geschieht freilich nicht wegen zunehmender Blutrünstigkeit des amerikanischen Volkes; die Termine diktiert die Justiz, und die kommt schon jetzt nicht mehr nach.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.