Im Bereich der Humanwissenschaften beherrscht ein Buch den literarischen Spätsommer in Frankreich: La mémoire, l’histoire, l’oubli – Erinnerung, Geschichte, Vergessen – von Paul Ricoeur.[1] Der 87jährige Philosoph hat auf knapp siebenhundert Seiten noch einmal ein weitausholendes Werk vorgelegt. Von einer Phänomenologie der Erinnerung führt ein langer Weg über eine Erkenntnistheorie der Geschichtswissenschaft, eine Betrachtung über die condition historique des Menschen und über das Vergessen zu den abschließenden, religionsphilosophischen Überlegungen zur Vergebung. Die Zeitschriften „Esprit“ und „Magazine littéraire“ haben das Ereignis mit Sondernummern begleitet, und mehrere andere („Le Monde des débats“, „Philosophie“) brachten „Dossiers“ mit Vorabdrucken und Kommentaren; Alain Finkielkrauts Rundfunkreihe „Répliques“ widmete ihre erste Sendung nach der Sommerpause Paul Ricoeur. Der Auslieferung des Buches Anfang September gingen am 13. Juni ein stark applaudierter, zusammenfassender Vortrag im großen Auditorium der Sorbonne (in der Reihe der von der École des hautes études en sciences sociales veranstalteten Marc Bloch-Vorlesungen) und eine leicht gekürzte Veröffentlichung des Vortragstextes in „Le Monde“ (15. Juni) voraus.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.