Eine ideologiekritische Zehnjahresbilanz
Man wird kaum irgendwo in zeitgeschichtlichen Darstellungen unserer Epoche so viel ideologisch Zurechtgebogenes, Geschöntes oder als unabänderlich Deklariertes1 finden wie in den Reden und Darstellungen zur Eingliederung der ehemaligen DDR in die westdeutsche Bundesrepublik; angefangen mit der Behauptung, Helmut Kohl sei der „Kanzler der Einheit“ gewesen.
Die vorherrschende Ideologieproduktion hat einen einfachen Grund: Es wird in den meisten Darstellungen2 vermieden, die Frage zu stellen: Wessen Interessen dienten die Vereinigungspolitiken? Die offiziellen „Erklärungen“ wurden und werden für bare Münze genommen. In Zehnjahresbilanzen nimmt die Geschichtsklitterung nun ein kaum noch erträgliches Ausmaß an. Der Bundestag gab dafür in einer Währungsunions-Gedenksitzung ein atemberaubendes Beispiel. Seine Fraktionen feierten am 30. Juni 2000 diesen ökonomisch katastrophalen Eingriff als „entscheidenden Meilenstein im Prozess der Wiedervereinigung“ (Theo Waigel). Nur der redliche Walter Romberg, damals Waigels Kontrahent, nannte im FR-Interview den Erpressungsdruck beim Namen, unter dem er damals, als Finanzminister der Noch-DDR, gestanden habe, und „machte die Haltung der Bonner Regierung ... bei den Verhandlungen über die Währungsunion für den wirtschaftlichen Niedergang Ostdeutschlands verantwortlich“.