Ausgabe Dezember 2002

Das wunderbare Überleben

1939: Die deutschen Truppen erreichen die polnische Hauptstadt Warschau. Der Pianist Wladyslaw Szpilman spielt gerade im Rundfunkstudio, als eine Bombe das Haus trifft. Am Beispiel dessen gut situierter Familie entfaltet Roman Polanski die unmenschliche Logik des Holocaust. Juden dürfen ihre Berufe nicht mehr ausüben, ihr Besitz wird beschlagnahmt, sie werden gedemütigt und schließlich ins Ghetto verschleppt. Von dort fahren täglich die Züge ins Vernichtungslager. Polanski inszeniert die Szenen des Terrors so klar, schonungslos und überzeugend, dass sie für den Zuschauer den Rang von eigenen Erlebnissen annehmen können. Ihre Glaubwürdigkeit ist an die Lebendigkeit der Bilder nationalsozialistischer Unterdrückung gebunden, die das kollektive Bewusstsein (immer noch) bereithält. Dass Der Pianist sie nachhaltig reaktiviert, ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst.

Polanski erzählt die Geschichte des wirklichen Szpilman. Der gehörte, wie Polanski selbst, zu den 20 – von 360000 Bewohnern –, die das Ghetto und den Krieg überlebt haben. Es fällt auf, dass im Mittelpunkt neuerer Filme zum Thema, so etwa Das Leben ist schön oder Steven Spielbergs Schindlers Liste, stets gerettete Opfer stehen – und „anständige“ Deutsche. Beide waren historische Ausnahmen, die fiktive Welt des kommerziellen Spielfilms scheint jedoch auf sie angewiesen zu sein.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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