Nach der jüngst erfolgten Einigung über Eckpunkte der "Gesundheitsreform" 1 nahm Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) für sich in Anspruch, eine "eindeutig sozialdemokratische Reform" in die Wege geleitet zu haben, während die CDU-Vorsitzende Angela Merkel behauptete, der Kompromiss trage "die Handschrift der Union". Ein offenkundiger Widerspruch? Mitnichten. Denn die Vorstellungen der beiden großen "Volksparteien" darüber, wie der deutsche Sozialstaat nach dessen Umbau auszusehen habe, sind sich mittlerweile so ähnlich, dass beide Parteien mit Fug und Recht behaupten dürfen, dies sei "ihre" Reform. Die große christsozialdemokratische Koalition der "Modernisierer" hat – mit freundlicher Unterstützung der beiden kleinen, wirtschaftsliberalen Parteien – eine "sorgsam ausgewogene Balance" (Bundeskanzler Gerhard Schröder), sprich: einen "tragfähigen Kompromiss" (Unionsunterhändler Horst Seehofer) zur Aushöhlung des solidarischen Krankenversicherungswesens gefunden.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.