Ausgabe Oktober 2004

Stolperstein Siedlungen

Kaum ein Thema wird in Israel derzeit so heftig diskutiert wie die Zukunft der israelischen Siedlungen, die nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und der israelischen Okkupation der Westbank und des Gazastreifens errichtet wurden. Über 400000 Israelis leben heute in den Palästinenser-Gebieten, das arabische Ost-Jerusalem eingeschlossen. Das sind nahezu acht Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung Israels. Ihr Zweck: Eine Realität zu schaffen, an der jeder Versuch der Weltmächte scheitern sollte, Israel eine Friedensregelung mit den arabischen Konfliktbeteiligten aufzuzwingen. Ihr größter Förderer: Ariel Scharon.

Die Ironie der Geschichte: Eben jene Siedlungen, die einst jede Israel nicht genehme Regelung des Konflikts verhindern sollten, drohen nun die von Scharon avisierte einseitige Räumung des Gazastreifens zum Scheitern zu verurteilen. Obwohl es sich bei der Mehrheit der Siedler um loyale Bürger des jüdischen Staates handelt, wird allenthalben mit gewaltbereitem Widerstand gerechnet.

Déjà vu?

Kommt es also zu einer Neuauflage jener Szenen, die als kollektives Trauma in die israelische Geschichte eingingen? Bereits im April 1982, unmittelbar vor der Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten, die Menachem Begin und Anwar Sadat 1978 in Camp David vereinbart hatten, befand sich Israel am Rande eines Bürgerkrieges.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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