Ausgabe September 2004

Der Nationalsozialismus in transnationaler Perspektive

2004 hat sich in Deutschland und in Europa eine Tendenz fortgesetzt, die bereits seit einiger Zeit zu beobachten war: der Trend zur Europäisierung des öffentlichen Gedenkens an die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit an eine Vergangenheit, für die radikale Ideologien, zwei Weltkriege, Massenmord und Vertreibung die Leitmotive bilden. Die Erklärung zur Bildung eines europäischen Netzwerkes zu Flucht und Vertreibung, Gerhard Schröders Teilnahme an den Gedenkfeiern in der Normandie im Juni und in Warschau im August sowie die Fortentwicklung der Erinnerung an den Holocaust zum Bestandteil einer europäischen Identität verdeutlichen diese Entwicklung.

Auf den ersten Blick scheint sich Europa so im gemeinsamen Erinnern an sein trennendes Erbe zu vereinigen. Gleichzeitig hat das Gedenken an die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts viel spaltende Kraft, sowohl innerhalb europäischer Staaten als auch zwischen ihnen: Litauen ringt mit dem doppelten Erbe von Nationalsozialismus und Stalinismus und der Frage der Vergleichbarkeit; in Frankreich, Norwegen und anderswo blitzt die Debatte über das Verhältnis von Widerstand und Kollaboration immer wieder auf; der Streit um Flucht und Vertreibung belastet bis heute das Verhältnis zwischen Tschechen, Polen und Deutschen. Alte Konfliktlinien werden so offensichtlich, und häufig ist es die europäische Erfahrung mit der NS-Zeit, an der sich die Auseinandersetzungen entzünden.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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