Anlässlich des Prozesses gegen Michail Chodorkowski, den ehemaligen Chef des Ölkonzerns Jukos, wurde massive Kritik an der russischen Justiz geübt.1 Kaum Beachtung fand demgegenüber, dass auch die anderen beim Kreml in Ungnade gefallenen Großunternehmer – vor Chodorkowski bereits Wladimir Gusinski und Boris Beresowski – jüdischer Abstammung sind. Offensichtlich bedient sich Präsident Wladimir Putin ganz gezielt antisemitischer Ressentiments in der Bevölkerung, um die ohnehin vorhandene Zustimmung zu seiner Politik gegen einzelne Oligarchen zusätzlich zu erhöhen. Zugleich nimmt der Kreml antisemitische Vorstöße von Parlamentariern und ehemaligen Regierungsmitgliedern in Kauf.
"Grundlose Beschuldigungen"
Das in dieser Hinsicht wohl prägnanteste Beispiel ereignete sich als Reaktion auf den Anfang des Jahres veröffentlichten "Report on Global Anti-Semitism" des US-Außenministeriums.2 Dieser Bericht enthielt auch einige kritische Anmerkungen zur Lage in Russland. Nicht einmal eine Woche nach der Veröffentlichung reagierte das Moskauer Außenministerium mit einer Verlautbarung, in der die Besorgnis Washingtons, wonach es in mehreren russischen Parteien Erscheinungen erheblicher Intoleranz gäbe, als "künstlich" abgetan wurde. So gäbe es Skinheads nicht nur in Russland (ihre Zahl wird auf 30000 bis 70000 geschätzt),sondern überall. "Schulmeisterei und grundlose Beschuldigungen" der USA seien überhaupt "unzulässig".