Ausgabe Juli 2006

Bikini - die unglücklichen Inseln

„[D]ie vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“ (Dialektik der Aufklärung)

Rassistisches Einfühlungsvermögen kann tödlich sein. Zur Dialektik der Aufklärung gehört, dass es dort, wo es vermeintliches Glück imaginiert, latente Aggressionen entwickelt. Unverhüllt offenbart das der Name Bikini, den westliche Einbildungskraft und Erfindergeist zur perversen sprachlichen Verbindung paradiesischen Insellebens, verführerischer Weiblichkeit, imperialer Willkür und atomarer Verseuchung gemacht haben.

Am 1. Juli 1946 (Ortszeit) fand auf Bikini der erste von 23 Kernwaffenversuchen statt. Die Bewohner des Atolls hatten zuvor der ihnen vom amerikanischen Militärgouverneur der Marshall-Inseln unterbreiteten Aufforderung zugestimmt, ihre Insel „zum Wohle der Menschheit“ vorübergehend zu verlassen. Der Zynismus dieses Ansinnens stand in einer langen Tradition imaginierter glücklicher Inseln und ihrer Bewohner. Die Vorstellung, andere lebten in nicht entfremdeten Verhältnissen, erlaubte einerseits Bilder unbeschwerten Vergnügens; andererseits wurde denen, die solcher Zuschreibung unterlagen, ihr paradiesisches Dasein solange mit Dummheit, Faulheit und Geilheit verrechnet, bis sie geschichtslos, kulturlos und nutzlos erschienen.

Solche Bilanz findet sich schon in der triebökonomischen Buchführung Immanuel Kants. Sie betrachtet den Menschen als Wilden, der sich durch Arbeit zur Zivilisation emporarbeitet.

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