Als ich zum ersten Mal den Begriff "europäische jüdische Identität" hörte, war ich verblüfft, dann begeistert. Es war kurz nach dem Mauerfall 1989. Ich kam aus Ostberlin und war auf einer jüdischen Tagung in London, fühlte mich urplötzlich in eine große, mir unbekannte und doch vertraute Familie aufgenommen, deren angereiste Mitglieder auch aus den USA und Israel kamen, die meisten aber Europäer waren.
Obgleich seit Jahren in der DDR in jüdischen Belangen in und außerhalb der Religionsgemeinde aktiv, hatte ich mich einem eingefahrenen, schier ausweglos rückwärts gewandten Denken angeschlossen, das auch ich - mangels besseren Wissens - für das einzig denkbare, ja wahrhaftig Jüdische hielt. Ich hatte Anfang der 70er Jahre begonnen, dem nachzuspüren, was man damals modisch als "jüdische Wurzeln" bezeichnete. Die westliche Identitätssuche war auf uns übergeschwappt, und doch ging die eigene Debatte zunächst in die falsche Richtung. Wir, die Intellektuellen aus jüdischen Familien, hatten andere Themen verinnerlicht, die vom Ende des Kolonialismus bis zu den unbeantworteten Fragen an den Aufbau des Sozialismus reichten. Unsere jüdische Identität war in der deutschen Vergangenheit begraben. Ihr war schwer auf die Spur zu kommen. Wer etwas wusste, hielt sich zurück.