Ausgabe Juni 2006

Mit dem starken Staat gegen Rechts?

Als am Ostersonntag in Potsdam zwei offensichtlich rechtslastige Männer einen schwarzen Deutschen schwer, ja fast tödlich verletzten, wurde wieder einmal schlagartig die wohl verheerendste aller Vereinigungsbilanzen ins Gedächtnis gerufen: Seit 1990 sind mehr als 100 Menschen von Neonazis und anderen fremdenfeindlich eingestellten Tätern erschlagen, erstochen, aus fahrenden Zügen geworfen, zu Tode gehetzt oder verbrannt worden. Die Zahl der zum Teil schwer Verletzten geht in die Tausende.

Die Täter sind mitten unter uns und die sozial Schwächsten und Ausgegrenzten dieser Gesellschaft ihre bevorzugten Opfer – wobei es auch voll integrierte Migranten treffen kann, wie der Überfall von Potsdam zeigt. Heute sind neonazistische Aufmärsche und Attacken gegen (vermeintliche) Ausländer, gegen Schwarze, Obdachlose und Behinderte, Angriffe gegen jüdische Einrichtungen, Friedhofsschändungen und Treibjagden gegen Migranten in Teilen des Landes an der Tagesordnung. Doch der Nährboden, auf dem die Saat dieser Gewalt wächst, existiert nicht erst seit den 90er Jahren – schon in den 80ern kamen in Westdeutschland 35 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben. Der fremdenfeindliche Humus reicht weit in die Mitte einer nach rechts driftenden Gesellschaft – es handelt sich keineswegs allein um ein Randphänomen „extremistischer“ Gewalttäter.

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Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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