Ausgabe Juni 2006

Mit dem starken Staat gegen Rechts?

Als am Ostersonntag in Potsdam zwei offensichtlich rechtslastige Männer einen schwarzen Deutschen schwer, ja fast tödlich verletzten, wurde wieder einmal schlagartig die wohl verheerendste aller Vereinigungsbilanzen ins Gedächtnis gerufen: Seit 1990 sind mehr als 100 Menschen von Neonazis und anderen fremdenfeindlich eingestellten Tätern erschlagen, erstochen, aus fahrenden Zügen geworfen, zu Tode gehetzt oder verbrannt worden. Die Zahl der zum Teil schwer Verletzten geht in die Tausende.

Die Täter sind mitten unter uns und die sozial Schwächsten und Ausgegrenzten dieser Gesellschaft ihre bevorzugten Opfer – wobei es auch voll integrierte Migranten treffen kann, wie der Überfall von Potsdam zeigt. Heute sind neonazistische Aufmärsche und Attacken gegen (vermeintliche) Ausländer, gegen Schwarze, Obdachlose und Behinderte, Angriffe gegen jüdische Einrichtungen, Friedhofsschändungen und Treibjagden gegen Migranten in Teilen des Landes an der Tagesordnung. Doch der Nährboden, auf dem die Saat dieser Gewalt wächst, existiert nicht erst seit den 90er Jahren – schon in den 80ern kamen in Westdeutschland 35 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben. Der fremdenfeindliche Humus reicht weit in die Mitte einer nach rechts driftenden Gesellschaft – es handelt sich keineswegs allein um ein Randphänomen „extremistischer“ Gewalttäter.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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