Zeitzeugenschaft und Deutungskonflikte nach dem Ende der DDR
Als ich im April 1987 mit Lutz Niethammer und Alexander von Plato in die DDR ging, um dort lebensgeschichtliche Interviews mit der Aufbaugeneration des sozialistischen Staates durchzuführen, kamen wir in ein Land, dessen Kultur uns einerseits unheimlich vertraut, andererseits aber auch verwirrend unverständlich war. Schnell wurde uns klar, wie wenig wir über die Voraussetzungen der Erzählungen wussten, denen wir zuhörten.
Zu diesen Voraussetzungen gehörte, dass in der DDR eine bestimmte Form der Zeitzeugenschaft durchgesetzt worden war, die sicherstellen sollte, dass der öffentlich bestellte Zeitzeuge auch wirklich parteilich sprach, dass seine Erzählung also nicht in Widerspruch geriet zu offiziellen Darstellungen der Geschichte, und dass er sich darauf beschränkte, diese Darstellung durch persönliche Details beeindruckend, glaubwürdig und authentisch zu gestalten. Diejenigen unter unseren Interviewpartnern, die durch ihre berufliche Stellung und die damit verknüpfte SED-Mitgliedschaft lang andauernd politisch diszipliniert worden waren, hielten sich auch zunächst strikt an diese Regeln, indem sie von ihrer proletarischen Herkunft, den Schrecken des Krieges, ihrer Bekehrung zum Sozialismus und ihrem beruflichen Aufstieg, den sie der Partei zu verdanken hatten, sprachen.