Deutschland im Krisenwahljahr
Stehen wir im September vor einem Regierungswechsel? Haben wir mit einer schwarz-gelben Koalition zu rechnen? Treten wir also in eine neue bürgerliche Ära der Berliner Republik? Oder bekommen wir doch eine komplexe Dreier- oder Viererkoalition? Ist die Fortsetzung der großen Koalition trotz aller artifiziellen Zerwürfnisdebatten im Wahljahr wirklich ausgeschlossen? Wie auch immer: Allianzen – ob groß, klein oder vielfach komplex – brauchen eine Idee der Kooperation. Sie benötigen, wenn sie Handlungsfähigkeit und Bestand herstellen wollen, zudem ein spezifisches Ethos, einen politischen Fluchtpunkt, eine verbindende Norm. Bündnisse werden zusammengehalten entweder durch einen starken gemeinsamen ideologischen Gegner oder eben eine affine Wertehaltung, auch durch den Mythos einer kollektiv geteilten großen Vergangenheit. Ratsam jedenfalls ist, dass Koalitionen nicht allein arithmetisch erzwungene Gegenwartsallianzen von sich sonst misstrauisch beäugenden Partnern sind, sondern Ziele vereinbaren, die in die mittlere Zukunft reichen und so etwas wie ein Sinnzentrum besitzen. Pure Realpolitiker pflegen sich darüber lustig zu machen, aber eben an diesem Mangel an Begründungsfähigkeit scheitern sie deshalb in schöner Regelmäßigkeit. Das galt am Ende für Schröder; das traf spätestens seit dem Herbst 2008 auch auf Angela Merkel zu.