Ausgabe April 2011

Eine reanimierte Sozialdemokratie

Nun ist es endlich erschienen, das neueste und gleichzeitig letzte Buch Tony Judts, der am 6. August 2010 verstorben ist. Bereits die Entstehung dieses Buches ist anrührend, fiel sie doch in eine Zeit, da der Autor bereits an einer unheilbaren Nervenkrankheit litt, die immer mehr Körperteile lähmte. Bewegungsunfähig, auf ein Beatmungsgerät angewiesen, diktierte er das Manuskript. Ausgangspunkt war seine letzte große Vorlesung,[1] herausgekommen ist ein Buch der moralischen Unruhe und der Empörung, das bereits im Zeitpunkt seiner Genese den Trend der Zeit vorwegnahm.

Nach 20 vergeudeten Jahren schwebte dem bekennenden Sozialdemokraten, der ein inspirierender Hochschullehrer war, eine Orientierungshilfe vor allem für junge Leute vor, die keine andere Welt kennen und „Einwände gegen unsere Lebensweise artikulieren wollen. Als Bürger einer freien Gesellschaft haben wir die Pflicht, die Welt mit kritischen Augen zu betrachten. Und wenn wir sehen, dass etwas nicht in Ordnung ist, müssen wir handeln.“ In diesen Zeilen wird seine Position als die eines Westeuropäers kenntlich, der in den USA arbeitete und sich mit den Spielarten der Demokratie diesseits und jenseits des Atlantiks identifizierte und diese verbessern wollte. Für ihn gewann der Westen den Kalten Krieg – und verlor den Frieden.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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