In Libyen, dem Land mit den reichsten Ölvorkommen Afrikas, herrscht bis heute je nach Blickwinkel ein exaltierter Autokrat oder ein skrupelloser Diktator. Es ist derselbe, den die Regierungen Europas in ihren Hauptstädten mit protokollarischen Ehren hofierten, den sie an repräsentativen Stätten sein Beduinenzelt aufschlagen ließen, mit dem sie Handel trieben und Geschäfte schlossen und dessen modernste Waffen europäischer Produktion entstammen. Anders als in Tunesien und Ägypten hat die Aufstandsbewegung den alten Machthaber bislang nicht aus dem Amt zu drängen vermocht. Gaddafis Anhänger kontrollieren den bedeutenderen, die Oppositionellen den übrigen Teil des Landes. Um Größe und Grenzen der jeweiligen Besitzstände wird gekämpft.
Nach UN-Kriterien zählt Gaddafis Libyen zu den hochentwickelten Ländern der Erde. Der Human Development Index, eine Art Messlatte für Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung, erfasst die Lebenserwartung, den Bildungsgrad und das Jahreseinkommen eines durchschnittlichen Einwohners. Auf der globalen Länderliste belegt Libyen Platz 53. Damit überragt es alle anderen afrikanischen Staaten. Die Platzierung verrät zwar nichts über den Charakter des politischen Systems, nichts über Rechtsstaatlichkeit und persönliche Freiheiten.