Ausgabe März 2011

Not in Nadelstreifen

Erst Horst Köhler und nun auch noch Axel Weber – unter Deutschlands Staatsbankern grassiert die Rücktritteritis. Was aber mag die Herren des Geldes bloß reiten, ihrer Gönnerin im Kanzleramt derart schnöde die Brocken vor die Füße zu schmeißen?

„Tja“, soll der scheidende Chef der Deutschen Bundesbank laut vertraulicher Insiderinformation gesagt haben, „wer weiß denn, ob es die EU morgen noch gibt? Und da soll ich den Chef der Europäischen Zentralbank machen? Da bin ich dann nur der primus inter pares, alle anderen im EZB-Rat können mir reinreden, und wahrscheinlich werde ich da zum Gelddrucken gezwungen, obgleich ich das nicht will.“ Und so lehnte Axel Weber denn auch alles ab: Die Verlängerung seines Vertrages mit der Bundesbank und die Kandidatur für die EZB, die seine persönliche Kanzlerin für ihn angestrebte hatte.

„Ich“, so Weber weiter, „ich werde mir doch jetzt von einer Ost-Physikerin kein schlechtes Gewissen machen lassen. Von wem hat die Dame denn das bisschen Kenntnis der Ökonomie, mit der sie auf CDU-Parteitagen nur so rumprotzt? Von meinem Ex-Abteilungsleiter für Geldpolitik, dem Jens Weidmann, den ich ihr für das Kanzleramt generös überlassen habe. Soll sie den doch gleich zu meinem Nachfolger machen! Und im Finanzministerium habe ich schon vor Jahren einen meiner Studenten, den Jörg Asmussen, untergebracht. Ist jetzt Staatssekretär, der Asmussen, und war sehr, sehr nützlich, um den Abbau ‚überflüssiger Regulierungen’ des Finanzmarktes voranzutreiben. Hat sich auch in der Krise bewährt, als wir die paar Staatsmilliarden locker gemacht haben, damit die Banken nicht in Haftung genommen werden mussten. War ein prima Deal.“

„Nein, nein“, fuhr Weber dann fort, „die in Berlin, wenn die eins und eins zusammenzählen, kommt immer zwei raus. Völlig unkreativ, wie mein Freund Ackermann sagt, unter 25 Prozent läuft bei dem gar nix. Also, nach Berlin oder Brüssel? Mit mir nicht! Schön, da gab es noch dieses verlockende Angebot aus Rom. Aber der Vatikan kommt mal gerade auf acht Mrd. Euro Umsatz. Und dann noch der Zölibat. Allerdings hat der CEO in dem Heiliger-Geist-Laden keinen Aufsichtsrat. Da redet einem wenigstens keiner rein.

Trotzdem: Deutsche Bank bleibt Deutsche Bank. Da weiß man, was man hat. Nehmen Sie zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate: eine Deutsche Botschaft, aber zwei Deutsche-Bank-Büros! Übrigens: In den Emiraten gibt es keine Parteien und Gewerkschaften, aber eine dynamische Wirtschaft, da könnte sich der Brüderle mal ne Scheibe von abschneiden. Ja denken Sie, das Auswärtige Amt hätte eine Vertretung in Guernsey oder auf den Kaiman-Inseln? Aber die Bank, die Deutsche, die hat überall welche.

‚Die ganze Welt’, habe ich mal vor Zuhörern der Universität Hohenheim zur Krise gesagt, ‚hat gewissermaßen über ihre Verhältnisse gelebt, und jetzt ist dafür die Rechnung zu bezahlen.’ Und das stimmt noch immer! Da steckten doch die ganzen Nichtstuer monatlich mehr ein, als ich in derselben Zeit für Strafmandate ausgebe. Gleichzeitig mussten Kollegen von mir ein, zwei Jahre auf ordentliche Boni verzichten. So mancher hat die neue Yacht erst ein volles Jahr später auf Kiel legen können. Einer meiner engen Freunde hat sogar den Kauf des eigenen, privaten Golfplatzes verschieben müssen. Man stelle sich das vor! Aber das kann ich Ihnen versprechen, solche Not werde ich nicht mehr zulassen, wenn ich denn erst Chef der Deutschen Bank geworden bin!“

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