Ausgabe Februar 2016

Nicht immer mehr, sondern ganz anders

Warum uns die Flüchtlingsbewegung die Systemfrage stellt

Seit langem sind Millionen von Menschen auf der Flucht. Das Besondere an der aktuellen Situation ist daher weniger die Anzahl der Geflüchteten. Neu ist, dass sie es zu „uns“ schaffen. Faktisch platzt mit den Flüchtlingsbewegungen die Systemfrage in unsere Gesellschaft. Das bisher Ausgeschlossene wird sichtbar und verschafft sich Gehör. Das bisher Verdrängte meldet sich zu Wort. Das Unterdrückte taucht auf.

Viele Flüchtende verbringen Jahre ihres Lebens auf dem Weg. Einigen gelingt die Ankunft in einem besseren Leben, die meisten jedoch bleiben unterwegs irgendwo hängen zwischen Unsicherheit, Kriminalisierung oder Prostitution. Nicht wenige Menschen verlieren erst ihre Heimat und dann ihr Leben. So ist davon auszugehen, dass allein zwischen 2000 und 2014 circa 23 000 Menschen auf dem Weg in die Europäische Union (EU) gestorben, im Mittelmeer ertrunken, in Containern erstickt oder in Wüsten verdurstet sind.[1] Dass sie dieses Risiko in Kauf nehmen, hat mit dem Leid und der Not in ihrer Heimat zu tun. Wo Bürgerkriege, Umweltzerstörung, rassistische Verfolgung und Hunger Gesundheit und Leben bedrohen oder zumindest ein gutes Leben verunmöglichen, werden Menschen in die Flucht getrieben.

Doch bisher vollzog sich all das Sterben und Leiden überwiegend jenseits unserer Wahrnehmungsschwelle. Kerneuropa wähnte sich gut abgeschirmt. Das Frontex-Grenzregime sollte verhindern, dass Menschen überhaupt nach Europa kamen.

Sie haben etwa 3% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 97% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Klasse statt Identität

von Lea Ypi

Die Aufklärung wird heutzutage oft geschmäht, sowohl von rechts als auch von links. Von der Rechten, weil kritisches Reflektieren, der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen (Kant), schon immer eine Bedrohung für die passive Unterwerfung gegenüber Autorität bedeutet hat, die für die Normalisierung von Ausgrenzungen erforderlich ist.

Mythos grüne Digitalisierung

von Ingo Dachwitz, Sven Hilbig

Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne.

Aliens unter uns?

von Ferdinand Muggenthaler

Es war ein dramatischer Appell an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping und Donald Trump, der Ende März in der „New York Times“ erschien. Es ging dabei jedoch nicht um die Klimakrise oder eine Friedenslösung für die Ukraine. Stattdessen forderte der Kommentator Thomas L. Friedman die beiden mächtigen Männer auf, die Künstliche Intelligenz einzuhegen.

Spanien: Das Land der armen Mieter

von Julia Macher

Es gibt nicht viele Themen, die in ganz Spanien Menschen auf die Straße bringen. Landesweite Demonstrationen prägen in der Regel den Weltfrauentag am 8. März, ansonsten vereint wenig das heterogene und politisch hochpolarisierte Land. Eine Ausnahme bildet das Thema Wohnraum.