Ausgabe November 2020

Make America again

Unsere letzte Chance, die Demokratie von den Toten aufzuerwecken

12. Oktober 2020, Sanford, Florida, Vereinigte Staaten: US-Präsident Donald Trump veranstaltet am internationalen Flughafen Orlando Sanford eine "Make America Great Again"-Rallye, seine erste Wahlkampfkundgebung seit der Unterzeichnung des COVID-19.

Bild: imago images / ZUMA Wire

Es gibt in der Geschichte, wie der Philosoph Gershom Sholem einmal sagte, so etwas wie plastic hours, „formbare Zeiten“ also, „historische Augenblicke, in denen es möglich wird zu handeln. Wenn man sich dann bewegt, geschieht etwas.“ In solchen Momenten erweist sich eine versteinerte Gesellschaftsordnung plötzlich als veränderbar, fortwährende Starre weicht der Bewegung und die Menschen wagen zu hoffen. Doch „plastic hours“ sind rar. Sie setzen die richtige Konstellation zwischen öffentlicher Meinung, politischer Macht und Ereignissen voraus – für gewöhnlich eine Krise. Sie erfordern gesellschaftliche Mobilisierung und Führungsstärke. Es kann sein, dass sie eintreten, aber unbemerkt vergehen oder vertan werden. Wenn du dich nicht bewegst, geschieht gar nichts.

Erleben wir gerade einen solchen Moment? Mir will es so scheinen.

Jenseits der trostlosen partisan wars, in denen die feindlichen Lager einander bekriegen, stimmen die meisten Amerikaner in Grundfragen des Landes überein. Große Mehrheiten sagen, der Staat solle in irgendeiner Form die medizinische Versorgung aller garantieren; er solle mehr gegen die Erderwärmung tun; die Reichen sollten höhere Steuern zahlen; die durch Rassismus begründete Ungleichheit sei ein ernstes Problem; Arbeiter sollten das Recht haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren; Einwanderer täten Amerika gut; die Bundesregierung sei korrumpiert. Diese Mehrheiten bestehen seit Jahren.

November 2020

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