Obwohl die eloquente Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) häufig in Funk und Fernsehen zu hören und zu sehen ist: Besonders viel zu sagen hat das Bundesumweltministerium (BMU) nach sieben Jahren großer Koalition nicht mehr. Stattdessen werden die wichtigen Felder der Umweltpolitik federführend im Verkehrs-, Agrar-, Wirtschafts- oder Innenministerium verhandelt. Und im ureigenen Thema des Umweltressorts, der Abfall- oder moderner, der Kreislaufwirtschaftspolitik, setzt das Ministerium schon lange keine eigenen, dem Umweltschutz verpflichteten Akzente mehr.
Vergeblich versucht der Gesetzgeber, wachsende Müllberge aus Verpackungen, Elektroschrott oder Bauschutt in den Griff zu bekommen. Dabei verheddert er sich im Klein-Klein – Stichwort: Plastiktütenverbot – oder setzt völlig falsche Anreize für Unternehmen und Verbraucher*innen. Jüngstes Beispiel dafür ist das novellierte Verpackungsgesetz.
Mitte November stellte das BMU einen Referentenentwurf dazu vor, der sich nun in der Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien befindet; in Kraft treten soll das Gesetz 2022. Der Impuls dafür kam einmal mehr aus Brüssel. Dort hat die Kommission in den vergangenen Jahren verschiedene Regulierungen zur Eindämmung der „Plastikflut“ beschlossen, die nach und nach in die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten einsickern. Mit dem Gesetzentwurf setzt das BMU nun Teile der Single Use Plastics Directive, der Einwegkunststoffrichtlinie, um. Er greift mehrere Probleme auf, die sich in den vergangenen Jahren im Verpackungsbereich aufgetürmt haben, wie den beständig wachsenden Onlinehandel, die Zunahme von Essen und Getränken „to go“ oder die inzwischen völlig unübersichtlichen Regelungen für Getränkeverpackungen.
Onlinehandel im Visier
Konkret sieht der Gesetzentwurf zum einen vor, den Onlinehandel mit seinem rasant wachsenden Verpackungsaufkommen stärker in die Pflicht zu nehmen. Denn in den vergangenen Jahren hat sich der Versandhandel fast verdoppelt: Wurden im Jahr 2000 noch knapp 1,7 Mrd. Sendungen verschickt, waren es 2017 schon knapp 3,4 Mrd. – im Corona-Jahr dürfte diese Zahl noch einmal kräftig angestiegen sein. Verpackt wurden die verschickten Waren 2017 in insgesamt rund 850 Tonnen Pappe, Papier und Kartonagen, Chips aus PE-Schaum, Luftpolstern, Schaumstoffen und Seidenpapier. Zudem wächst durch den steigenden Distanzhandel auch das Verpackungsaufkommen insgesamt: Da Hersteller etwa von Elektronikprodukten nicht mehr wissen, auf welche Weise ihre Ware verkauft wird und ob sie verschickt wird, packen sie diese vorsichtshalber gleich stoßfest und damit ressourcenaufwändiger ein. Schon jetzt müssten sie, wie auch der Handel, Verpackungen bei der „Zentralen Stelle Verpackungsregister“ in Osnabrück anmelden und für die Entsorgungskosten zahlen – wirklich kontrolliert wird das aber nicht. Künftig sollen nun Amazon und Co. überprüfen, ob die Unternehmen, die auf ihren Plattformen Handel treiben, dieser Verpflichtung tatsächlich nachkommen. Das wird erst einmal für mehr Gerechtigkeit im Wettbewerb mit dem stationären Handel sorgen. Ob dies jedoch auch eine relevante ökologische Wirkung entfaltet, ist mehr als unklar: Schließlich hat es das System der Herstellerverantwortung mit dem Grünen Punkt auch im herkömmlichen Handel in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft, den Verpackungsmüll zu reduzieren – ganz im Gegenteil.
Zwar stehen schon seit einer Weile innovative Unternehmen mit Mehrweglösungen für den Versand in den Startlöchern. Doch sie benötigen einen politischen Rahmen, der ihnen den Markt öffnet – und den wird auch das Verpackungsgesetz künftig nicht setzen. So ist abzusehen, dass die Unternehmen lieber höhere Entsorgungskosten in Kauf nehmen, als in logistisch aufwändigere Mehrwegsysteme zu investieren.
Bambus statt Plastik?
Zum zweiten sieht der Entwurf vor, dass Restaurants und Cafés, die Essen und Getränke in Einwegkunststoffverpackungen anbieten, ihren Kund*innen künftig Mehrwegalternativen zur Verfügung stellen müssen. 28 Mrd. Kaffeebecher jährlich sind nicht nur dem Umweltbundesamt, sondern auch den Städten und Gemeinden, die sich mit überquellenden Mülleimern oder verdreckten Parks herumschlagen müssen, schon lange ein Dorn im Auge. Welche ökologische Wirkung eine Mehrwegvorschrift allerdings entfalten wird, ist noch nicht abzusehen und wird davon abhängen, wie Unternehmen und Verbraucher sie umsetzen. Steigen sie stattdessen auf Einweggeschirr aus Holz oder Bambus um, ist ökologisch genauso wenig gewonnen, als wenn die eiligen Kaffeetrinker oder gemütlichen Pizza-im-Park-Esser künftig ressourcenintensives Geschirr zu Hause stapeln, mit der festen, aber niemals umgesetzten Absicht, es irgendwann einmal zurückzubringen. Umweltfreundlich sind die Mehrwegverpackungen nämlich nur dann, wenn sie tatsächlich mehrfach benutzt werden.
In den Supermärkten soll das Verpackungsgesetz schließlich dafür sorgen, das Pfandsystem auf Einwegplastikflaschen und Dosen einfacher zu gestalten, indem auf alle Getränke in Einwegverpackungen Pfand erhoben wird. Bislang bestimmte der Inhalt darüber, ob ein Getränk mit einer Pfandpflicht belegt war oder nicht, das soll sich nun ändern.
Mit etwas Pech aber wird das Einkaufen im Supermarkt künftig sogar noch umweltschädlicher als bisher, denn der Gesetzentwurf setzt einen gefährlichen Anreiz: Weil er vor allem Einwegplastik verdrängen will, fordert er Verpackungsindustrie und Handel geradezu heraus, schädliche Innovationen mit grünem Anstrich zu etablieren. Denn wenn Verpackungen aus Pappe oder Papier lebensmittelecht sein sollen, müssen sie in vielen Fällen mit Kunststoff beschichtet werden. Darum fluten schon jetzt beschichtete Kartons und Schächtelchen aus Holzspänen oder Pappe die Märkte, die zwar das Label „aus nachwachsenden Rohstoffen“ oder gar „plastic-free“ tragen, das Müllproblem aber noch vergrößern. Denn damit entsteht ein riesiger neuer Stoffstrom aus wertvollem Material – Pappe und Papier aus Holz[1] –, der sich dennoch nicht recyceln und nicht wiederverwerten lässt.
Gunda Rachut, Vorstand der Zentralen Stelle Verpackungsregister, moniert, dass der Trend zu Verbundverpackungen klar zu Lasten des Recyclings gehe: Auch wenn eine Verpackung hauptsächlich aus Papier bestehe, sei ihr Recycling begrenzt, sobald eine Kunststoffbeschichtung hinzukomme. Wer also eine Verpackung aus einem sortenreinen Kunststoff durch eine beschichtete Pappe ersetzt, erweist der Umwelt einen Bärendienst im Namen eines vermeintlichen Ressourcenschutzes. Weit sinnvoller sind da schon die Inputquoten, die der Gesetzentwurf im Bereich der Getränkeflaschen erstmals einführt: Die Hersteller von Einwegkunststoffverpackungen müssen ab 2026 eine bestimmte Menge an sogenannten Rezyklaten, also recyceltem Plastik, einsetzen, um den darniederliegenden Markt für das Sekundärmaterial anzukurbeln. Das hatte die Recyclingbranche seit Jahren vergeblich gefordert.
Zusammengefasst bedeutet das neue Verpackungsgesetz auf der Positivseite mehr Pfandflaschen und -Dosen, mehr Gerechtigkeit im Wettbewerb zwischen stationärem und Onlinehandel und bessere Marktchancen für Recyclingmaterial, auf der Negativseite aber falsche Anreize für schlechte Alternativen zum Plastik und ein in seinen Wirkungen schwer abzuschätzendes Mehrwegwesen für „To-Go“-Lebensmittel. Insgesamt ist der Entwurf für das neue Verpackungsgesetz nicht schlecht, einiges wird besser. Man könnte also achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, weil es durchaus brennendere Umweltprobleme und größere Herausforderungen der notwendigen ökologisch-sozialen Transformation gibt als den Verpackungsmüll.
Gegen die Macht der Konzerne
Allerdings verbirgt sich hinter dem stetig wachsenden Berg an Folien, Schachteln, Dosen und Tüten – 1991 waren es laut Umweltbundesamt 20,5 Kilogramm pro Person, 2017 mit 38,5 Kilogramm fast das Doppelte – ein weitaus größeres Problem, weshalb es doch eine genauere Betrachtung verdient. Die steigenden Mengen an Verpackungsmüll werden in der Regel – und zwar seit den 1960er Jahren – mit dem gesellschaftlichen Wandel erklärt: mit den kleineren Haushalten einer sich fragmentierenden Gesellschaft, mit berufstätigen Frauen, die weniger kochen und häufiger vorverarbeitete und daher aufwändiger verpackte Lebensmittel einkaufen.
Diesen gesellschaftlichen Prozess kann natürlich kein Umwelt- und kein Wirtschaftsminister aufhalten, er bietet höchstens Anlässe für wohlmeinende Appelle „an die Verbraucher“. Es ist aber schon merkwürdig, dass die Strukturen der Lebensmittelbranche – sowohl die der Erzeuger als auch des Handels – in der öffentlichen Debatte nur selten eine Rolle spielen. Dabei haben Supermärkte und Discounter in den vergangenen Jahrzehnten ebenso intensive Konzentrationsprozesse durchgemacht wie die landwirtschaftlichen Betriebe, die Schlachthöfe, Molkereien oder Mühlen.
Immer weniger Handelskonzerne teilen sich den Markt auf – neben Edeka, Rewe, Lidl und Aldi gibt es inzwischen nicht mehr viel. Mit ihrer Marktmacht wecken sie nicht nur den Zorn der Landwirte, die dem Preisdruck nicht mehr standhalten können. Sondern sie haben mit ihrer zentralisierten Logistik auch ein vitales Interesse an solchen Verpackungen, die Lebensmittel so lange wie möglich transport- und lagerfähig sowie genießbar halten. Die Lebensmittelkonzerne mit ihren zielgruppengenauen Marketingstrategien setzen dabei auf wiedererkennbare und damit jeweils unterschiedliche Hüllen für ihre industriell produzierten, sich gleichenden Lebensmittel.
Damit sind bewährte Mehrwegsysteme wie die Sprudelflasche mit den Glasnoppen oder die braune Bierflasche – Bestandteil sogenannter Pool-Lösungen für unterschiedliche Marken in einer einheitlichen Hülle – ins Hintertreffen geraten. Ohne grundlegend neue Rahmenbedingungen in der landwirtschaftlichen Erzeugung und im Handel werden sie immer weiter zurückgedrängt. Denn die Markenhersteller haben es mit ihrer Marketingmacht inzwischen sogar geschafft, die öffentliche Diskussion in ihrem Sinne zu beeinflussen. So werden Mehrwegverpackungen zunehmend in ein schlechtes Licht gerückt. Stattdessen werben die Hersteller von Kunststoffflaschen und sogar von äußerst energie- und ressourcenintensiven Alu-Dosen damit, dass ihre Verpackungen von geringem Gewicht seien. Dies wirke sich positiv auf die Treibhausgasemissionen während des Transports aus; zudem seien sie, zumindest im Falle des Metalls, quasi endlos recycelbar.
Allerdings wies der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, in einem Gutachten zur Kreislaufwirtschaft im Frühjahr 2020 darauf hin, dass solcherart Ökobilanzen die Mehrwegverpackungen häufig wesentlich schlechter darstellten, als sie tatsächlich seien. Verantwortlich dafür sind die Kriterien, die der Berechnung zugrunde gelegt werden: So ging etwa das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung von weiten Transportwegen aus und rechnete den Mehrweg(glas)flaschen die daraus resultierenden, hohen CO2-Werte an. Doch weite Transportwege – gefahren mit klimaschädlichen Diesel-Lkw – sind kein Naturgesetz, sondern Ergebnis der Konzentrationsprozesse in der Lebensmittelproduktion, die regionalen Strukturen entgegenstehen.
Wer nun leicht genervt abwinkt und meint, man könne nicht immer das große Ganze im Blick haben, der sollte sich die Herausforderungen in Erinnerung rufen, vor denen wir stehen: das Artensterben aufhalten und 40 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 ausstoßen, zwanzig Jahre später dann gar keine mehr. In den vergangenen dreißig Jahren haben wir, laut Bundesumweltamt, unsere Emissionen an Treibhausgasen um ein knappes Drittel reduziert. Wenn wir in den nächsten dreißig Jahren die restlichen zwei Drittel beseitigen wollen, müssen wir in allen Sektoren strukturelle Änderungen anstoßen und zulassen – also nicht nur eine Antriebs-, sondern eine Verkehrswende im Bereich des Transports, eine Agrarwende hin zu Strukturen, die biologische und ökonomische Diversität auf dem Land erhält, bis hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die Güter lange und immer wieder neu nutzt, erst dann recycelt und konsequent Abfall vermeidet.
Die politischen Instrumente dafür liegen vor. Da wäre beispielsweise die Ökodesign-Richtlinie: Ursprünglich entwickelt, um für mehr Energieeffizienz bei elektrischen Geräten zu sorgen, ist sie in den vergangenen Jahren vorsichtig weiterentwickelt worden und regelt inzwischen auch, inwiefern sich Waschmaschinen oder Kühlschränke reparieren lassen müssen. Sie ließe sich durchaus in eine umfangreiche Richtlinie für ein nachhaltigeres Produktrecht ausformen; die Grünen haben kürzlich Vorschläge dazu vorgelegt und fordern, aus der Ökodesignrichtlinie eine „Produktrahmen-Richtlinie“ zu entwickeln. Darin sollen etwa Mindeststandards für Langlebigkeit sowie ein Recht auf Reparier- oder Recyclebarkeit festgeschrieben werden.
Als ersten kleinen Schritt in diese Richtung könnte die Umweltministerin den Handelsketten und Herstellern endlich strenge und bußgeldbewehrte Mehrwegquoten vorschreiben und diese dann auch durchsetzen. Doch um sich gegen die Interessen der großen Markenkonzerne wie Coca-Cola oder der Handelsketten und gegen das marktliberale Bundeswirtschaftsministerium durchsetzen zu können, mangelt es der Umweltministerin in der großen Koalition schlicht an Einfluss. Für den Weg von der Wegwerfgesellschaft zu einer Kreislaufwirtschaft, so viel lässt sich jetzt schon sagen, war auch die zweite Legislaturperiode der schwarz-roten Koalition eine verlorene Zeit.
[1] Vgl. Heike Holdinghausen, Verdörrt und vernutzt: Das Drama des Waldes, in: „Blätter“, 9/2020, S. 9-12.