Ausgabe Januar 2021

Team Biden: Grüne Wende im Weißen Haus?

Die Schlüsselposten in seinem Team will der designierte US-Präsident Joe Biden mit regierungserfahrenen Verbündeten zu besetzen, den ehemaligen Außenminister John Kerry gar zum Sonderbeauftragten für das Klima berufen. Die Hoffnung, dass die USA damit eine grüne Kehrtwende hinlegen, dämpft jedoch die Journalistin Kate Aronoff. Denn gerade in Umwelt- und Energiefragen steht das alte wie neue Spitzenpersonal für einen gefährlichen Schlingerkurs.

Die Auswahl des außen- und sicherheitspolitischen Spitzenpersonals, das Joe Biden für seine Administration ins Auge gefasst hat, entspricht in etwa dem, was zu erwarten war: Alte Verbündete des künftigen Präsidenten bekommen im Weißen Haus eine neue Chance, wobei viele von ihnen nach Jahren in der Privatwirtschaft kräftige Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Antony Blinken, ehemals Undersecretary im Außenministerium, soll Chef dieses Ressorts werden; Jake Sullivan, einst in Hillary Clintons Diensten, ist als Nationaler Sicherheitsberater vorgesehen, und Avril Haines, unter Obama stellvertretende CIA-Direktorin, gilt als künftige Geheimdienstchefin. Angekündigt ist zudem, dass der frühere Außenminister John Kerry einen neuen Posten erhält: Er soll als hochrangiger Klimabotschafter dem Nationalen Sicherheitsrat angehören.

Der linke Flügel der US-Demokraten konnte – so sehr ihnen die Schaffung des neuen Postens für Kerry gefiel – die Gemeinsamkeit nicht übersehen, die die genannten Kandidaten miteinander verbindet: Sie alle haben lukrative Sabbaticals im Privatsektor hinter sich. Blinken, Haines und andere, weniger bekannte Experten beim Thema Innere Sicherheit, die jetzt in Bidens Team Führungspositionen übernehmen sollen, haben die Trump-Jahre damit verbracht, mit ihren Beziehungen aus Obamas Zeiten durch Beratungsjobs Kasse zu machen.[1] Von dem, was sie früher in amtlicher Funktion gemacht haben, ist bisher weniger die Rede. Doch was beispielsweise die Klimapolitik angeht, verdient dieser Abschnitt ihrer Karriere durchaus nicht weniger Aufmerksamkeit als das, was sie in ihren Auszeiten gemacht haben.

Denn die Obama-Administration sah zwischen dem Festhalten an fossilen Energieträgern und der Aufgabe, CO2-Emissionen zu drosseln, im Grunde keinen Widerspruch. In Sachen Klima und Energie verfolgte man einen Kurs des Sowohl-als-auch und förderte erneuerbare wie auch herkömmliche Energiequellen gleichermaßen, insbesondere aber Schiefergas-Fracking. So unterzeichnete Obama beispielsweise nur wenige Tage nach der Aushandlung des Pariser Abkommens 2015 ein Gesetz zur Aufhebung des Rohölexportverbots und ermöglichte damit, dass die enormen Mengen fossiler Energieträger, die hierzulande gefördert werden, über amerikanische Häfen in alle Welt fließen.

»Die Erhaltung und Förderung des fossilen Energiesektors gehörte lange zum Kernbestand amerikanischer Staatskunst.«

Die Erhaltung und Förderung des fossilen Energiesektors in den Vereinigten Staaten gehörte lange zum Kernbestand amerikanischer Staatskunst – ja, für Generationen von Diplomaten waren Energiesicherheit und National Security so ziemlich ein und dasselbe. Und die Obama-Administration hat mit der Verbundenheit zwischen State Department und Öl- oder Gasindustrie ganz gewiss nicht gebrochen. So enthüllte das Magazin „Mother Jones“ 2014 in einem umfangreichen Report Einzelheiten über die sogenannte Schiefergasinitiative des Ministeriums, die das hohe Lied vom Erdgas in alle Welt hinaustragen sollte.[2] In Dokumenten des State Departments aus dieser Zeit finden sich zahlreiche Belege dafür, dass das Amt außerordentlich daran interessiert war, den Erdgasboom diversen Zwecken dienstbar zu machen: die beschleunigte Erschließung von Schiefergas im Ausland; der Öffnung neuer Märkte für US-amerikanische Erdgasfirmen; und vor allem dazu, das Gas als geopolitisches Instrument einzusetzen – insbesondere als Mittel dafür, Europas Bedarf an russischem Gas zu vermindern.

Inwieweit der designierte Außenminister Blinken selbst an diesem Projekt beteiligt war, ist nicht geklärt. Aber noch 2015 pries er die Entwicklung fossiler Energiequellen in osteuropäischen Ländern und rief nach mehr davon. „Als Präsident Obama sein Amt antrat, war die Sicherheit der Energiezukunft Amerikas nicht gerade ein Quell der Zuversicht“, tönte er. „Aber sieben Jahre weitsichtiger Investitionen beginnen sich für die Bürger der Vereinigten Staaten und der ganzen Welt auszuzahlen. Wir haben die Produktion, wie Sie alle wissen, wesentlich gesteigert“, brüstete sich Blinken, unter Verweis auf fossile Brennstoffe, bevor er sich auch der Entwicklung von Wind- und Solarenergie zuwandte.

»›Öl werden wir so oder so noch auf viele Jahre hinaus verwenden.‹«

Die Ankündigung, dass John Kerry künftig als eine Art international operierender Klima-Zar fungieren solle, löste angesichts seiner Rolle bei der Aushandlung des Pariser Klimaabkommens verbreitet Begeisterung aus. Erst kürzlich hatte er eine mit Vertretern beider Kongressparteien besetzte Initiative gegründet, die sich einem „Weltkrieg“ namens „World War Zero“ widmet. Allerdings zählte Kerry auch einmal zu den Einerseits-Andererseits-Politikern. „Ausschlaggebend ist für mich“, sagte er noch 2015, „dass es beim Öl meines Erachtens kurzfristig keine wesentlichen Veränderungen geben wird, und die meisten Marktleute, mit denen ich spreche, sehen das, glaube ich, auch so. Wer weiß, ob sich das überhaupt jemals ändert – das hängt von anderen Marktsignalen und davon ab, wie sich die Leute entscheiden. Wie dem auch sei, Öl werden wir so oder so noch auf viele Jahre hinaus verwenden.“

In seinen letzten Amtsjahren als Außenminister setzte Kerry sich auch für die Trans-Pacific-Partnership (TPP) ein, die es – wie viele andere Handelsabkommen auch – Unternehmen und Investoren gestattet hätte, souveräne Staaten zu verklagen, wenn diese ihre Profite schmälern, beispielsweise durch Umweltschutzvorschriften.[3]

Derartige Handelsvertragsklauseln dienen Unternehmen als wenig bekanntes, aber überaus wirksames Instrument, unliebsame Entscheidungen der Politik zu blockieren.[4] Nach Einschätzung der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen hätte die entsprechende TPP-Klausel – das Investor State Dispute Settlement System (ISDS) – die Zahl solcher Verfahren, die sich meist gegen energiepolitische Maßnahmen richten, mehr als verdoppeln können.[5]

»Es erscheint durchaus möglich, dass eine Biden-Administration die janusköpfige Klimapolitik der Obama-Ära fortsetzen könnte.«

Zu erwähnen wäre auch Vizepräsident Bidens Caribbean Energy Security Initiative, die seinerzeit besonders von Kerry, Blinken und dem damaligen Energieminister Ernest Moniz betrieben wurde. Sie sollte die „sichere und verantwortungsbewusste Entwicklung von Offshore-Kohlenwasserstoffen“ – im Klartext: von fossilen Brennstoffen – in der Karibik ausweiten und, unter anderem, technische Unterstützung für die „Implementation saubererer Energieformen durch die Nutzung von Solar- und Windenergie, Erdwärme, Bioenergie und Naturgasvorkommen“ bereitstellen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es als durchaus möglich, dass eine Biden-Administration die janusköpfige Klimapolitik der Obama-Ära fortsetzen könnte, nämlich zuhause in saubere Energie zu investieren, gleichzeitig aber wenig zur Einschränkung der inländischen Förderung fossiler Energieträger zu unternehmen. Das könnte sich in Sachen Erderwärmung katastrophal auswirken. Selbst wenn Anreize zur vermehrten Nutzung von Sonnen- und Windenergie sowie von Elektroautos die Inlandsnachfrage nach fossilen Energieträgern ernstlich zu beschneiden vermögen, würde dies nicht notwendigerweise dazu führen, dass Öl- und Gasunternehmen ihre Produkte nicht weiter exportieren – womöglich mit diplomatischer Unterstützung eines Außenministeriums, das fossile Brennstoffe nur zu gern als geopolitisches Druckmittel einsetzt. Die Ausfuhr könnte sogar beschleunigt weitergehen, selbst wenn die Regierung offiziell Klimaneutralität bis 2050 anstrebt und dem Pariser Abkommen wieder beitritt.

Es muss aber nicht zwangsläufig so kommen. Jeder der genannten Politiker hielt sich bis zu einem gewissen Grad lediglich an den damals herrschenden Konsens. Darin galt Gas als eine Brückenenergie, auch wenn Klimaaktivisten diese Vorstellung schon lange in Frage gestellt hatten. Grün eingefärbter Gas-Enthusiasmus war in den Jahren der Obama-Administration angesagt, aber die Zeiten haben sich geändert.

Welche Argumente auch immer dazu verleitet haben mögen, eine erweiterte Entwicklung fossiler Energien als den besten Weg in eine kohlenstoffarme Zukunft zu betrachten – ihre Plausibilität ist buchstäblich dahingeschmolzen. Alarmierende Berichte über Methangasausbrüche und -brände haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass mit Erdgas die Treibhausgaseinsparungen im Vergleich zur Kohle, die Energie-Enthusiasten sich von ihm versprachen, wohl nicht zu erreichen sind. Darüber hinaus droht ein Festhalten an der Schaffung neuer Gasinfrastrukturen – ob in Gestalt neuer Gaskraftwerke oder von Exportfazilitäten – umweltverschmutzende Infrastrukturen zu verewigen, die so schnell wie möglich abgebaut werden sollten.[6] Die Erkenntnisse der Klimaforschung sind seit Obamas Abtritt nur noch alarmierender geworden, und Untersuchungen wie der U.N. Production Gap Report zeigen, wie dringlich es ist, die Exploration und Förderung fossiler Energieträger zurückzufahren – und zwar schnellstmöglich.[7]

Es mag durchaus sein, dass Bidens außenpolitische Insider sich mittlerweile den Zeitläuften angepasst haben. Doch während die pandemiegeplagte, sich rapide erwärmende Welt dem 20. Januar – Bidens Amtsantritt – entgegenschlingert, sollte es der Mühe wert sein, sich hierüber schleunigst Gewissheit zu verschaffen. Die Obama-Administration verstand Klimapolitik als ein Thema, dass über mutmaßlich ergiebigeren Themen wie Jobs und Wirtschaft sozusagen in der Luft hing. Zuhause vages Gerede über eine Zukunft mit sauberer Energie und draußen das Pariser Abkommen gingen mit Handels- und Investitionsabkommen einher, die Rechtsgarantien für Umweltverschmutzer festschrieben, die Klimakrise weiter anzufachen. Wenn die Biden-Administration irgendwie vorankommen will, wird sie mit dieser kohlenstofflastigen Arbeitsteilung brechen müssen.

Deutsche Erstveröffentlichung eines Textes, der am 24.11.2020 auf www.newrepublic.com erschienen ist. Die Übersetzung stammt von Karl D. Bredthauer.

[1] Vgl. Jonathan Guyer, What You Need to Know About Tony Blinken, www.prospect.org, 23.11.2020.

[2] Vgl. Mariah Blake, How Hillary Clinton’s State Department Sold Fracking to the World, in: „Mother Jones“, 9-10/2014.

[3] Vgl. Todd Tucker, The TPP has a provision many will love to hate: ISDS. What is it, and why does it matter?, www.washingtonpost.com, 6.10.2015.

[4] Vgl. dazu: Pia Eberhardt, Klagen ohne Scham: Die Profiteure der Pandemie, in: „Blätter“, 11/2020, S. 29-32.

[5] Vgl. TPP Investment Map: New Privileges for 29,000 Companies, www.citizen.org.

[6] Vgl. Nicholas Kusnetz, Is Natural Gas Really Helping the U.S. Cut Emissions?, www.insideclimatenews.org, 30.1.2020.

[7] Vgl. Production Gap Report 2019, www.unenvironment.org, 20.11.2019.

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