Bild: Der britische Premierminister Boris Johnson während eines Besuchs in Estland, 1.3.2022 (IMAGO / Scanpix)
Manchmal sind es kurze, scheinbar nebensächliche Momente, die Verschiebungen in der politischen Landschaft einer Nation blitzartig aufzeigen. Die per Videolink übertragene Rede von Wolodymyr Selenskyj Anfang März im britischen Unterhaus war so ein Moment. Das galt ganz besonders für Selenskyjs Satz zum Schluss, mit dem er sich auf die bereits im Januar begonnene frühe militärische Unterstützung durch Großbritannien bezog: „Ich bin Dir sehr dankbar, Boris.“ Der ukrainische Präsident, zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Höhepunkt seiner Popularität, bedankte sich per Du bei Boris Johnson, dem Mann, der noch wenige Wochen zuvor im selben Unterhaus skandalumwittert kurz vor der Abwahl durch die eigene konservative Partei stand.
In diesem Moment aber war auch dem letzten der versammelten Abgeordneten im bis unters Dach vollbesetzten britischen Unterhaus klar, dass die Schlagzeilen um Johnsons illegale Weihnachtsfeiern von nun an den heimischen Medien kaum mehr eine Titelseite wert sein würden. Der tosende Applaus, der unmittelbar nach dem Ende der Selenskyj-Ansprache ausbrach, galt zwar zuallererst dem Redner selbst, diesem zum politischen Helden gewandelten ehemaligen Komödianten. Johnsons enges, fast freundschaftliches Verhältnis zu Selenskyj aber färbt auch auf ihn selbst ab. Selenskyj zitierte Churchill, Johnsons so oft bemühtes Vorbild, und wenn es so etwas wie politische Osmose gibt, dann fand sie hier statt.