Ausgabe September 2022

Ghana: Die ausgebremste Energiewende

Proteste in Ghanas Hauptstadt Accra gegen Strompreiserhöhungen, 10.2.2022 (IMAGO/Shengolpixs)

Bild: Proteste in Ghanas Hauptstadt Accra gegen Strompreiserhöhungen, 10.2.2022 (IMAGO/Shengolpixs)

Die russische Invasion in der Ukraine lässt in vielen Teilen der Erde die Energie- und Lebensmittelpreise ansteigen und verschärft damit schwelende sozioökonomische Krisen – so auch im westafrikanischen Ghana. Im Vergleich zu Ländern wie Deutschland erreicht die Inflation hier jedoch ganz andere Sphären; im Juli stieg sie gar auf 31,7 Prozent und war damit so hoch wie seit 19 Jahren nicht mehr.

Und das Ende der Fahnenstange ist vor allem im Energiesektor noch nicht erreicht. Bereits im Mai hatte die Electricity Company of Ghana Strompreiserhöhungen von satten 148 Prozent gefordert, um die klaffende Lücke bei den Einnahmen zu schließen. Im September wird die Regulationsbehörde des öffentlichen Stromversorgers erstmals seit 2017 die Preise erhöhen – im Schnitt um 27,15 Prozent. Auch die Quersubventionierung privater Haushalte durch die Industrie wird schrittweise zurückgefahren, obwohl soziale Verwerfungen für die einkommensschwache Mehrheit der Bevölkerung zu erwarten sind und Energiepreise in Ghana eine hohe politische Sprengkraft besitzen. Erst Ende Juni waren Hunderte unter dem Slogan „Arise Ghana“ auf den Straßen der Hauptstadt Accra, um auf die wirtschaftlichen Nöte der Bevölkerung aufmerksam zu machen. Dass die Regierung diesen Schritt dennoch wagte, offenbart die vertrackte Lage im Energiesektor, in die sich das Land in den letzten Jahren hineinmanövriert hat und die zudem im krassen Widerspruch zu den internationalen Bemühungen steht, saubere Energie und Klimaschutz ganz oben auf die Entwicklungsagenda zu setzen.

Denn Ghana, das eigentlich über ein enormes Potenzial für erneuerbare Energien verfügt, bezieht seinen Strom vorwiegend aus fossilen Energien. Das wiederum ist paradoxerweise auch eine Folge des Klimawandels. Lange hatte das Land seinen Strom von drei großen Wasserkraftanlagen bezogen. Der neueste dieser Staudämme, der Bui Dam, wurde 2006 mit einem Kredit der chinesischen Regierung am Volta River erbaut.

Dürre schwächt Wasserkraft

Doch zwischen 2014 und 2016 setzten immer zähere Dürreperioden dem auf Wasserkraft ausgerichteten Energiesektor Ghanas schwer zu; der gleichzeitig wachsende Energiebedarf konnte nicht mehr gedeckt werden. Die damalige Regierung suchte händeringend nach alternativen Energiequellen und schloss schließlich teure Langzeitverträge mit fossilen Energieunternehmen aus dem Öl- und Gassektor ab. Dabei beging sie jedoch einen gewaltigen Fehler. Denn sie vereinbarte feste Abnahmemengen von insgesamt 2300 Megawatt. Bei einer Peak-Nachfrage von 2700 Megawatt und einer vorhandenen Kapazität von 5124 Megawatt – inklusive der aus Wasserkraft gewonnenen Energie – mündete dies in einer kostspieligen Energie-Überkapazität. Die Folge: Laut dem ehemaligen Geschäftsführer der Energiekommission zahlt Ghana jährlich etwa 1,2 Mrd. US-Dollar für Strom und Gas, die überhaupt nicht benötigt werden.[1]

Hinzu kommt, dass Strom zwar in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, es trotzdem immer wieder Stromausfälle gibt. Denn die Überkapazität trifft auf ein sehr altes und marodes Stromnetz. Als der Strom in Teilen Accras im Mai dieses Jahres für einige Tage ausfiel, fühlten sich viele in die Zeit der Energiekrise von 2014 bis 2016 zurückversetzt, als der Betreiber den Strom immer wieder abgeschaltet hatte, um die Netzstabilität nicht zu gefährden. Viele wohlhabendere Haushalte, die Industrie und der Dienstleistungssektor installierten Dieselgeneratoren, um die technischen Engpässe zu kompensieren. Das ist teuer und ungemein schädlich für die Klimabilanz, aber für viele der einzige Weg, um Strom zuverlässig zu beziehen. Zwar machte die Electricity Company of Ghana, eines der zwei großen Energieunternehmen im Land, die flutartigen Unwetter für die Stromausfälle im Mai verantwortlich. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass das in öffentlicher Hand liegende Stromnetz dringend runderneuert werden muss.

Regierung in der Bringschuld

Doch erst im Oktober 2019 ist eine durch den US-amerikanischen Millennium Challenge Fund finanzierte Liberalisierung des Energiesektors am Widerwillen der ghanaischen Regierung gescheitert. Die geplante Veräußerung der Electricity Company of Ghana an ein philippinisches Konsortium wurde im letzten Moment gekippt und das mit 190 Mio. US-Dollar bestückte Entwicklungsprogramm eingestampft. Zu groß waren die Bedenken, dass der universelle Zugang der Ghanaer*innen zu Energie durch die Profitinteressen privater Konzerne gefährdet werden würde. Nun befindet sich die Regierung in der Bringschuld.

Zwar verfügen etwa 86 Prozent der ghanaischen Bevölkerung über Zugang zu Strom. Das sind wesentlich bessere Werte als die der direkten Nachbarn, aber spätestens seit der Energiekrise von 2014 bis 2016 hat Ghana auch den höchsten Strompreis in der Region. Neben fehlerhaften Tarifstrukturen und der ineffizienten Energieinfrastruktur entpuppen sich Lieferverträge für teure fossile Energieträger als zusätzliche Preistreiber. Nachdem der politisch festgelegte Strompreis für Endverbraucher*innen über Jahre nicht annähernd die Kosten deckte, sollen diese nun über die Tariferhöhung an sie durchgereicht werden.

Hinzu kommt: Angefacht von Russlands Invasion der Ukraine, stieg der Preis für Treibstoffimporte zwischen Januar und Mai dieses Jahres von 250 Mio. US-Dollar auf fast das Doppelte, nämlich auf 450 Mio. US-Dollar. Die in Ghana insgesamt verfügbaren Auslandsdevisen, um an den internationalen Märkten unter anderem diese fossilen Treibstoffe zu erwerben, sind zwischen Januar und Ende April hingegen um 1,46 Mrd. Dollar auf 8,34 Mrd. Dollar geschrumpft. Damit diese Reserven nicht zu schnell versiegen, rationierte die Zentralbank die Ausgabe von Fremdwährung auf monatlich 100 Mio. Dollar, was den Bezug von Treibstoff aus dem Ausland zusätzlich erschwert.[2]

Bremsklötze für eine nachhaltigere Energieversorgung

Dabei verfügt Ghana eigentlich selbst über Öl: Mit dem Jubilee Oil Field wurden bereits 2007 signifikante Vorkommen vor der Küste Ghanas entdeckt, die dann mit Hilfe internationaler Konsortien ausgehoben und innerhalb weniger Jahre kommerzialisiert wurden. Doch dem Land fehlen funktionierende Raffinerien für das eigene Rohöl, weshalb es auf Importe raffinierten Öls angewiesen ist.

Fest steht: Die staatlichen Energieunternehmen und ihre langfristigen Verträge entpuppen sich in Ghana als veritable Bremsklötze auf dem Weg in eine dezentralere und teil-privatisierte Zukunft mit erneuerbaren Energien. Bereits 2019 verhängte die Regierung aufgrund der Überkapazität im Energiesektor ein Moratorium auf Auktionen von privat finanzierten Großprojekten, auch im Segment der erneuerbaren Energien. Über solche Auktionen konnte der Anteil an Solar- und Windverstromung in Ländern wie Südafrika über die letzten Jahre erfolgreich angehoben werden. Obwohl Investoren auch in Ghana Schlange stehen, liegen diese Großprojekte aktuell auf unbestimmte Zeit auf Eis. Das schon im Strategic National Energy Plan 2006-2020 ausgegebene und nun im Renewable Energy Masterplan von 2019 wiederholte Ziel, zehn Prozent des Energiemixes aus erneuerbaren Energien – Solar- und Windenergie wie auch kleine Wasserkraftanlagen – zu speisen, bekam so einen entscheidenden Dämpfer. Trotz des großen Potentials insbesondere für Solarenergie wurden bis 2021 nur 49 Megawatt an Solarkapazitäten hinzugebaut.[3] 

In der Debatte um die Energiegewinnung ist zudem mit der Atomkraft ein weiteres Konfliktfeld hinzugekommen. Aufgrund der gestiegenen Ölpreise kokettiert das Energieministerium schon länger mit der Idee, Atomkraft im Energiemix zu etablieren. Bereits 2012 wurde deshalb die Ghana Atomic Energy Commission gegründet, die Firma Nuclear Power Ghana folgte 2018 mit dem Ziel, in enger Absprache mit dem Energieministerium ein eigenes Atomkraftwerk zu realisieren und mittelfristig in ghanaischen Besitz zu überführen. Und im April vergangenen Jahres schlossen die USA und Ghana eine Partnerschaft zum Ausbau kleiner Modularreaktoren mit dem Ziel, bis 2030 die Produktion von Atomkraft zu starten. Bis dahin sind aber wesentliche Fragen rund um die Finanzierung und Sicherheit dieses Projektes noch zu klären, ebenso wie die Einbindung lokaler Interessenverbände und zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Ghana vor dem Staatsbankrott

All das zeigt: Der Investitionsbedarf im ghanaischen Energiesektor ist enorm. Der Spielraum für zusätzliche Staatsausgaben ist nach den Belastungen durch die Coronakrise dagegen ungemein klein. Zwar liegt die öffentliche Verschuldung bei noch moderaten 84,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Jedoch fließen mit 45 Prozent knapp die Hälfte der Staatseinnahmen in Zinsen und Tilgungen bestehender Kredite, was auf erhebliche strukturelle Probleme deutet.

Und anders als in den Schuldenkrisen der 1980er Jahre in Lateinamerika sind es nun vor allem private Investoren, die Gelder an Länder des Globalen Südens verleihen, was nicht zuletzt durch multilaterale Akteure aktiv beworben wurde – auch vom unter deutscher G20-Präsidentschaft eröffneten Compact with Africa. Laut der Londoner Stiftung Debt Justice stammen rund 57 Prozent der Kredite Ghanas von privaten Investoren.[4] Neuverhandlungen bestehender Verträge oder gar ein Schuldenschnitt sind angesichts der Profitorientierung privater Investoren schwer vorstellbar. Darüber hinaus unterliegen private Anleihen erheblichen Preisschwankungen. Da sie zumeist in Auslandswährungen abgeschlossen werden, wirkt sich der Wechselkurs massiv auf die Kreditkosten aus. In diesem Jahr hat der Cedi, Ghanas Landeswährung, 22 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar verloren. Nach der Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch Moody’s im Februar 2022 kann Ghana diese Schulden kaum kostengünstiger an den globalen Kapitalmärkten refinanzieren. Laut dem Council on Foreign Relations befindet sich Ghana mittlerweile gar unter den Top 10 der Länder mit dem höchsten Risiko eines nahenden Staatsbankrotts. Wie bereits 2015 ersucht die ghanaische Regierung daher erneut die Hilfe des Internationalen Währungsfonds. Verhandlungen über einen Kredit in Höhe von 1,5 Mrd. Dollar begannen am 6. Juli in Accra. Zudem versprach Finanzminister Ken-Ofori Atta Einsparungen von 20 Prozent. Die öffentliche Versorgung dürfte darunter weiter leiden. Schon während Corona-Pandemie im Jahr 2020 schrammte das Land knapp an einer Rezession vorbei. Für das erste Quartal 2022 liegt das Wachstum Ghanas bei 3,3 Prozent und damit massiv unter der Rate, die nötig wäre, um den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen.

Klimaverhandlungen als Ausweg?

Wie aber kann sich die ghanaische Regierung aus dieser Zwickmühle befreien und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern? Die Jahreshauptversammlung der African Development Bank, die Ende Mai in Accra stattfand, stand nicht ohne Grund unter dem Banner „Unterstützung für Klimaresilienz und eine faire Energiewende in Afrika“. Der gleichnamige Jahresbericht beinhaltet drei Kernaussagen: Er beleuchtet die dramatischen Folgen, die der Klimawandel auf dem afrikanischen Kontinent hervorruft; prangert die fehlenden Finanzhilfen für afrikanische Länder zur Anpassung und Abmilderung des Klimawandels an; und verweist auf das Recht auf eine eigene Entwicklung eines Kontinents, der weniger als drei Prozent zur globalen kumulativen CO2-Emission beigetragen hat.

Allein für die Umsetzung ihrer im Pariser Klimaabkommen festgelegten Beiträge zur Bekämpfung des Klimawandels benötigt Ghana etwa 9,3 Mrd. Dollar bis 2030.[5] Angesichts der verfahrenen Situation in Ghanas Energiesektor und den fehlenden öffentlichen Mitteln kann der Globale Norden hier Anreize für eine nachhaltige Wende setzen. Dazu zählt etwa, die Versprechungen der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen von 2009 einzulösen und insgesamt jährlich 100 Mrd. Dollar an Entwicklungsgeldern bereitzustellen. Gleichzeitig muss den Ländern der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen – in Ghanas Fall die bisher ungenutzten Ölvorkommen – finanziell schmackhaft gemacht werden.

Als Vorbild dafür kann der Just Transition Fund dienen, ein 8,5 Mrd. Dollar schwerer Fonds, der derzeit zwischen den G7-Staaten und Südafrika verhandelt wird und die Dekarbonisierung des auf Kohle basierenden südafrikanischen Energiesektors finanziell abfedern soll. Analog kann Ghanas Regierung im Rahmen der Africa Group of Negotiators on Climate Change bei der COP-27, die vom 7. bis 18. November 2022 in Sharm El Sheikh stattfindet, auf Finanzmittel pochen, um den Energiesektor nicht nur funktionstüchtiger, sondern auch nachhaltiger auszurichten.

Für Ghana wie für andere Länder des Globalen Südens kann eine gerechte Energiewende nur über Ausgleichszahlungen durch jene Länder funktionieren, die hauptverantwortlich für den Klimawandel sind. Denn ungeachtet der immensen lokalen Herausforderungen kann sich der ghanaische Energiesektor nur über zusätzliche Finanzmittel aus der fossilen Zwickmühle befreien – und so endlich eine ökonomisch wie klimatisch nachhaltigere Richtung einschlagen.

[1] Excess power, unutilized gas cost US$ 1.2 bn yearly, https://thebftonline.com, 27.11.2020.

[2] Ekow Dontoh, Ghana fuel shortage looms as central bank rations dollars, www.bloomberg.com, 21.6.2022.

[3] Installed capacity of solar power generation in Ghana, by facility, www.statista.com, 23.2.2022.

[4] Debt crisis looms for developing countries amid ‘perfect storm’. www.dw.com, 12.6.2022.

[5] African Development Bank, African Economic Outlook 2022 – Supporting Climate Resilience and a Just Energy Transition in Africa, https://www.afdb.org, S. 181.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema