Ausgabe Mai 2023

Auf dem Weg zur »Dritten Republik«?

Die Ukraine zwischen Kriegswirtschaft und europäischer Integration

Während der Sondersitzung des Parlaments in Kiew, in der über Änderungen des Staatshaushalts der Ukraine für 2022 abgestimmt wurde, 23.2.2022 (IMAGO / Ukrinform / Pavlo Bahmut)

Bild: Während der Sondersitzung des Parlaments in Kiew, in der über Änderungen des Staatshaushalts der Ukraine für 2022 abgestimmt wurde, 23.2.2022 (IMAGO / Ukrinform / Pavlo Bahmut)

Russlands Krieg, der auf die Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit und Nation abzielt und Elemente eines Völkermords aufweist, hat nicht nur fatale Auswirkungen auf die Menschen und Infrastruktur der Ukraine. Er ist auch eine Triebkraft für de- wie konstruktive Veränderungen in der ukrainischen Gesellschaft: Wirtschaft, Kultur und das Gemeinwesen der Ukraine wandeln sich derzeit rasant. Welche Herausforderungen, Fortschritte und Probleme sind damit verbunden?

Im Februar dieses Jahres schlug der Rechtsexperte des renommierten Kyjiwer Rasumkow-Zentrums, Petro Stezjuk, vor, von einer „dritten Republik“ in der modernen Geschichte der Ukraine zu sprechen. Stezjuk bezieht sich auf die Ukrainische Volksrepublik zwischen 1918 und 1921 als erste und den postsowjetischen ukrainischen Staat von 1991 bis 2022 als zweite Republik. Heute entstehe eine neue Republik, da Umfragen auf tiefgreifende Veränderungen in der ukrainischen Gesellschaft im Jahr 2022 hinweisen.[1] Insbesondere hätten sich das traditionelle Ost-West-Gefälle bei den Einstellungen zur außenpolitischen Ausrichtung des Landes, in den normativen Präferenzen der Ukrainer und bezüglich ihres historischen Gedächtnisses bis Anfang 2023 deutlich abgeschwächt. Die einst gravierenden Meinungsverschiedenheiten waren bereits in den Jahren vor der Großoffensive Russlands zurückgegangen, aber bis Anfang 2022 immer noch zu erkennen.

»Blätter«-Ausgabe 5/2023

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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