Wie die Justiz gewalttätige Väter begünstigt

Bild: Symbolbild: Mutter und Kind, im Hintergrund sieht man eine erhobene Faust auf orangefarbenem Hintergrund (IMAGO / Ikon Images / Neil Webb)
Für einen Tag im Jahr, am 25. November, findet sie weltweit Aufmerksamkeit: Gewalt gegen Frauen. Doch trotz der alljährlich geäußerten Bekundungen, jetzt endlich für Schutz sorgen zu wollen, ändert sich an den strukturellen Ursachen für die Gewalt wenig. Das zeigt sich hierzulande besonders eindrücklich am Umgang deutscher Familiengerichte mit von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern. Im April 2022 erschien dazu eine Untersuchung von Wolfgang Hammer, Soziologe und Experte für Kinder- und Jugendhilfe, die über Twitter und in der Presse sehr viel Resonanz gefunden hat. Hammer beleuchtet darin die teils mütterfeindliche Praxis deutscher Familiengerichte und warnt vor davon ausgehenden Kindeswohlgefährdungen. Personen und Verbände, die seine Untersuchung öffentlich verbreiteten, bekamen starken Gegenwind bis hin zu Hassbotschaften und Drohungen. Nachdem ich selbst auf Twitter darauf hingewiesen hatte, erhielt auch ich E-Mails an meine berufliche Adresse, in denen mir mit Vergewaltigung und Vernichtung gedroht wurde. Daran zeigt sich: Das Thema mütter- und frauenfeindliche Familiengerichte trifft offensichtlich einen Nerv in Deutschland. Insbesondere Männer- und Väterrechtler fühlen sich angegriffen.
Um die Rolle der Familiengerichte im System der Gewalt gegen Frauen zu verstehen, muss man wissen, welche Grundannahmen dort sehr häufig vorherrschen. Sie finden Eingang in Schriftsätze von Anwält:innen der Gegenseite, aber sie werden auch von Jugendämtern, Verfahrensbeistandschaften und Richter:innen vertreten und in Empfehlungsschreiben, Stellungnahmen und Gerichtsurteilen reproduziert. Noch immer dominiert der Mythos, Mütter hätten bessere Chancen vor dem Familiengericht. Sie würden immer das Sorgerecht erhalten, könnten den Vater „einfach“ vom Umgang mit dem Kind ausschließen, gleichzeitig aber Unterhaltszahlungen für das Kind einfordern. Die Familiengerichte würden davon ausgehen, dass die Mutter die geeignetere Person für die Betreuung sei.
Dieser Mythos ist unter anderem zurückzuführen auf das in unserer Gesellschaft vorherrschende Mutterbild: Frauen werden in Deutschland als Mütter wahrgenommen, die sich „von Natur aus“ gern aufopfern, die gern ihre kostenlose Care-Arbeit anbieten, weil es ihrem „Wesen“ entspricht und „sie selbst glücklich macht“. Die Mutter, so die Vorstellung, gibt ihr Leben für ihre Familie, ihre Kinder, ihren Partner auf und ist in dieser Rolle dankbar und glücklich. Insofern erscheint es nur logisch, dass sie das Sorgerecht erhält oder dass das Kind weiterhin hauptsächlich in ihrem Haushalt lebt.
Neben diesem Bild der Übermutter steht das Bild der vergeltungssüchtigen Medea, der rachsüchtigen Expartnerin, die aufgrund einer Kränkung die Kinder gegen den Mann instrumentalisieren und ihn „ausnehmen“ möchte. Dieses Bild ist deshalb interessant, weil der Vorwurf gegen die Mütter in meiner Praxis insbesondere bei den Fällen vorgebracht wird, in denen die Frauen sich für die Trennung aus der Gewaltbeziehung entschieden haben und die Männer aufgrund der Trennung einen Kontroll- und Machtverlust und dadurch eine immense Kränkung erleben. Wenn die Frau es wagt, sich aus einer solchen Beziehung zu lösen, sich und ihre Kinder zu schützen oder sich gar zu wehren und sich nicht auf Vereinbarungen mit dem gewalttätigen Expartner einzulassen, ihre Rolle als harmonieschaffende Frau aufzugeben, droht ihr schnell der Vorwurf, sie setze ihre Kinder als Waffe gegen den Vater ein, sie entfremde sie bewusst, um sich zu rächen, sie benutze die Kinder, um möglichst viel Geld aus ihrem Expartner herauszuholen.
Verdrehte Tatsachen: Das kraftvolle Narrativ der Väter-Benachteiligung
Es gibt bei diesen gesellschaftlich verbreiteten Mutterbildern kaum Zwischentöne zwischen der Überhöhung der Mutter als sich aufopfernde Frau und der egoistischen Frau, die sich gegen die „klassische“ Familie nach konservativem Ideal entscheidet. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt in unserer Gesellschaft fast ausschließlich auf dem Verhalten der Mutter, der Frau. Das Urteil, das sie gesellschaftlich erfährt, ist erbarmungslos hart und ihr Verhalten unentschuldbar. Es wäre naiv zu denken, dass sich dieser strenge Blick nicht auch in der familienrechtlichen Praxis niederschlägt, denn egal, was die Frau und Mutter tut, es ist am Ende falsch: Wenn sie sich nicht rechtzeitig vom gewalttätigen Partner trennt, „gefährdet sie das Kindeswohl“; wenn sie sich trennt und den Kontakt zum gewalttätigen Vater nicht zulässt, weil sie sich und die Kinder schützen will, „gefährdet sie das Kindeswohl“, weil sie das Kind vom Vater „entfremdet“.
Meist versuchen gewalttätige Väter, sich in familiengerichtlichen Verfahren als strukturell unterlegene Partei zu präsentieren. Diese Strategie ist deshalb so perfide, weil sie sich als Widerstand gegen eine Übermacht der Frau in der Familie darstellt. Aber diese vermeintliche Dominanz ist eine Konstruktion. Die Frau als fürsorgende, liebende Mutter und Ehefrau ist ein Korsett, in das Frauen seit Jahrhunderten gezwängt werden. Väterrechtler greifen diese gesellschaftlich aufgezwungene Rolle auf, die keineswegs tatsächliche Macht im Rahmen der partnerschaftlichen Verhältnisse mit sich bringt, sondern für viele Frauen mit Unfreiheit und Abhängigkeit verbunden ist. Sie wird in familiengerichtlichen Verfahren nun als dankbarer Vorwurf und Argument gegen die Mütter genutzt. Die Väter argumentieren mit einer „Rückeroberung“ von Macht in der familiären Sphäre. Damit verleihen sie ihrem Kampf um patriarchale Vorherrschaft einen progressiven Anschein. Sie behaupten, selbst eine schlechte Ausgangslage im Streit um das Sorgerecht für die Kinder zu haben, weil Männern weniger zugetraut werde. Sie bezichtigen die Partnerin der Lüge, wenn sie von Partnerschaftsgewalt erzählt. Die vermeintliche Opferrolle, die sie sich damit geben, hilft ihnen, die Macht und Herrschaft über die Frau in der Familie zu verteidigen und in das Aufbrechen tradierter Rollenmodelle zu kleiden. Benachteiligt sind Männerrechtler nach eigener Ansicht aufgrund der übermächtigen Rolle der Mutter als natürlicher Caretakerin in der Gesellschaft. Gerne benutzen sie beispielsweise den Begriff „Gender Empathy Gap“, um zu behaupten, dass die Gesellschaft mit Frauen mitfühlender umgeht und ihrem Leid mehr Bedeutung zumisst als dem von Männern, obwohl dies wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist. Andere – wissenschaftlich erwiesene – Gender Gaps streiten sie dagegen ab. Dieses Narrativ der Benachteiligung von Männern verdreht die Tatsachen. Strukturell bleibt es die Frau, die in familienrechtlichen Verfahren in der schwächeren Ausgangssituation ist. Die Frau ist es, die durchschnittlich weniger finanzielle Ressourcen hat, um sich anwaltlichen Beistand zu leisten oder Gutachtenkosten zu tragen. Und Sexismus und Mütterfeindlichkeit machen auch vor Gerichten nicht halt. Das Narrativ der Väterrechtler ist, sosehr es die Tatsachen auch verdreht, dennoch kraftvoll. Sein progressiver Anschein macht es anknüpfungsfähig, und es ist mittlerweile so verbreitet, dass es in familiengerichtlichen Verfahren teilweise unhinterfragt übernommen wird. Ich würde sogar noch weiter gehen: Meiner Erfahrung nach neigen Familienrichter:innen häufig sogar dazu, sich in Verhandlungen auf die Seite der Männer zu schlagen, ihre Bedürfnisse und Perspektiven stärker wahrzunehmen und ihnen gegenüber offener zu sein.
Zum Wechselmodell gedrängt – trotz Gewalterfahrung
Dazu gehört auch, dass sie ihnen glauben, wenn die Männer die Partnerin der Lüge bezichtigen, was Gewaltausbrüche angeht – oder zumindest auch hier von einem „normalen“ partnerschaftlichen Konflikt ausgehen. Einer der Gründe dafür ist, dass Familienrichter:innen wegen des Neutralitätsgedankens und des mittlerweile weit verbreiteten Narrativs der von Familiengerichten „benachteiligten“ Männer nicht in Verdacht geraten wollen, „immer nur die Seite der Frauen“ zu berücksichtigen. Sie steuern teils bewusst, teils unbewusst gegen, indem sie Männern bzw. Vätern entgegenkommen, und missverstehen dieses Entgegenkommen als „Neutralität“, die es herzustellen gelte. Ich erinnere mich an zahlreiche Verfahren, in denen Familiengerichte die Mütter zum Wechselmodell, also zur Betreuung der Kinder zu jeweils gleichen Teilen, gedrängt haben, obwohl die Mütter Gewaltvorwürfe gegen die Väter angebracht hatten und die Kinder den Vater nicht häufiger sehen wollten. Die Ablehnung der Kinder interpretierten die Gerichte als Ergebnis der „Manipulation“ durch die Mutter, die Beziehung zu ihr sei zu „symbiotisch“, da müsse gegengesteuert werden, indem der Vater noch mehr Betreuungszeiten bekomme. In einem Fall sagte der Richter im Gerichtsverfahren, mehr Kontakt zum Kind könne den Vater „stabilisieren“ und es gebe eine gute Chance, dass er dann aufhören werde, die Mutter weiter zu bedrängen (er stalkte sie seit Monaten), die ihm mit ihrer Blockadehaltung quasi keine andere Wahl lasse. Noch mal: Das Kind soll den Vater stabilisieren, damit er die Mutter nicht mehr stalkt, was er deshalb tut, weil sie den Umgang aus Angst nicht zulässt?
Selbst wenn Vorwürfe des Kindesmissbrauchs im Raum stehen und die Mutter deshalb einen Umgangsausschluss (also ein vollständiges Kontaktverbot für den Vater) beantragt, orientieren sich Gerichte teilweise an der Vorgabe, einen drohenden Rechtsverlust des Vaters zu verhindern, solange die Schuld nicht zweifelsfrei feststeht. So urteilte beispielsweise das Oberlandesgericht Karlsruhe 2013: „Der bloße Verdacht des sexuellen Missbrauchs und die daraus resultierende Möglichkeit eines psychischen Folgeschadens sind abzuwägen gegen die sicheren Schäden in der Entwicklung des Kindes, die ein Ausschluss des Umgangs nach sich zöge. Wird durch die gebotenen gerichtlichen Ermittlungen der Verdacht nicht bestätigt, so scheidet eine Einschränkung des Umgangsrechts – auch in Form der Anordnung eines begleiteten Umgangs – aus.“ Hier wird auf den Grundsatz der Unschuldsvermutung zurückgegriffen, der im Strafrecht natürlich gilt, aber nicht im Familienrecht. Denn das oberste Gebot in Kindschaftsverfahren und bei Entscheidungen zum Umgangsrecht oder Sorgerecht muss das Kindeswohl sein, und hierfür müssen andere Maßstäbe gelten als bei einer strafrechtlichen Verurteilung. Das Bündnis Istanbul-Konvention wirft der Rechtsprechung deshalb zu Recht vor, dass sie missbrauchsbetroffene Kinder „de facto ungeschützt“ lässt.
Die Rechtsprechung ist also geprägt vom Narrativ der Väter, die davor geschützt werden müssten, dass (teils gewaltbetroffene) Frauen ihnen ihre Rechte „nehmen“. Wie sehr dieses Narrativ an der Realität vorbeigeht, zeigt schon ein Blick auf die Fakten: Knapp 90 Prozent der Alleinerziehenden mit mindestens einem minderjährigen Kind sind Frauen. Jede zweite Alleinerziehende in Deutschland erhält keinen Kindesunterhalt vom anderen Elternteil.
Die meisten meiner Mandant:innen würden sich sehr wünschen, dass sie eine gute Beziehung zu ihrem Expartner hätten und dass er die Kinder regelmäßig betreuen würde, aber sie haben verständlicherweise Angst um sich und ihre Kinder, wenn der Expartner vor der Trennung damit gedroht hat, ihnen die Kinder „wegzunehmen“, oder bei jeder Begegnung damit droht, sie „fertigzumachen“, sie „umzubringen“, sie „zu vernichten“. Häufig sind die Kinder anwesend, wenn die Eltern aufeinandertreffen, so werden sie immer wieder Zeug:innen von fortgesetzter Partnerschaftsgewalt. Oft werden sie an den Umgangstagen von den Vätern unter Druck gesetzt und kommen gestresst und aggressiv zurück zu den Müttern. Kinder, die von Vätern instrumentalisiert werden, leiden unter enormen Loyalitätskonflikten und unter permanentem Stress. Viele Mütter erhoffen sich nichts sehnlicher, als bei der Betreuung ihrer Kinder entlastet zu werden, mehr Zeit für ihre Arbeit zu haben und mehr Zeit für sich selbst. Viele Frauen schauen mich in den Beratungsgesprächen verzweifelt an und sagen, dass sie sich einfach nur einen gewaltfreien Kontakt zu ihrem Expartner wünschen, um ihr Kind und sich selbst zu entlasten.
Institutionen reproduzieren Mythen
Es ist erstaunlich, dass über Jahrzehnte der Eindruck erweckt wurde, Mütter würden aus einem bloßen Besitzanspruch heraus den Kontakt der Kinder zum Vater nicht zulassen und sie würden sogar erfundene Gewaltvorwürfe einsetzen, um den Kontakt zu unterbinden. Aber welche Frau entscheidet sich ohne Not für die Flucht in ein Frauenhaus, für ein Leben ohne praktische Hilfe durch den anderen Elternteil im Alltag, ohne finanzielle Unterstützung? Viele der Mandant:innen wissen, dass sie im Fall einer Trennung von Armut und Altersarmut bedroht sind. Sie bekommen häufig keinen Unterhalt, haben also auch keine wirtschaftlichen Vorteile von einer Trennung. Sie müssen mehr arbeiten, um wirtschaftlich zu überleben, eine regelmäßige Betreuung der Kinder durch den anderen Elternteil wäre dabei eine Entlastung. Diese Frauen müssen also gute Gründe haben, den Kontakt der Kinder zum Vater dennoch nicht zuzulassen.
Die knapp 90 Prozent der Alleinerziehenden haben sehr häufig gar keine andere Wahl, als ihre Kinder allein zu betreuen. Die Väterrechtler aber nutzen diese Zahl, um daraus die Erzählung zu stricken, die weitaus meisten Alleinerziehenden seien Frauen, weil Familiengerichte und die Gesellschaft Männer von der Betreuung ausschlössen. Die Institutionen stellen solche Mythen nicht ausreichend infrage, sie reproduzieren sie zum Teil immer weiter. Zu lange wurde nicht darüber gesprochen, was Frauen und ihren Kindern, die von Gewalt in der Familie betroffen sind, in nichtöffentlichen Sitzungen der Familiengerichte in Deutschland widerfährt. Welche unerträglichen Situationen sie in den Verhandlungen erleben, wie sich die Gewalt durch die Institutionen fortsetzt. Und: wie wenig es um das Kindeswohl geht, das gerade an den Familiengerichten eine wichtige Rolle spielen müsste.
Ich erinnere mich an eines meiner ersten Verfahren am Familiengericht, in dem ich eine Mutter vertreten habe, die jahrelang massive körperliche Gewalt durch ihren Partner erlebt hatte. Auch die Kinder berichteten von Gewalt gegen die Mutter und gegen sie selbst. Sie erzählten der Verfahrensbeiständin und der Richterin, dass der Kindesvater mit dem Kinderwagen auf die Mutter eingeschlagen habe, dass sie selbst von ihm mit einem Lineal auf den Handrücken geschlagen wurden, wenn sie sich nicht schnell genug angezogen hätten. Sie zeigten im Gespräch mit der Verfahrensbeiständin einen blauen Fleck, den ein solcher Schlag mit dem Lineal auf der Hand hinterlassen hatte. Die Mutter war mit den Kindern in ein Frauenhaus geflüchtet, um sich selbst und sie vor weiterer Gewalt zu schützen. Ich war mir sicher, dass sie am Familiengericht Hilfe und Unterstützung erhalten würden. Ich war mir sicher, man würde dem Kindesvater klarmachen, dass Gewalt nicht geduldet wird, dass der Umgang des Vaters mit den Kindern zunächst eingeschränkt werden würde, dass er irgendeine Form der Täterarbeit leisten müsste.
Täterschutz statt Opferschutz
Die Verhandlung war, milde ausgedrückt, ernüchternd. Der gewalttätige Vater und Expartner nutzte den Termin dazu, die Kindesmutter zu diskreditieren, ihr vorzuwerfen, die Gewalt sei erlogen und sie manipuliere ihre Kinder, meine Mandantin habe ihnen Worte in den Mund gelegt, die die Kinder nur wiederholen würden. Er stellte sie als schwach und psychisch krank dar, sie sei eine notorische Lügnerin. Er nahm sich den Raum im Gerichtssaal, um die Gewalt auf subtile Art und Weise fortzusetzen. Während er eine deutlich längere Redezeit bekam, wurde meine Mandantin neben mir immer ängstlicher und kleiner, bis sie irgendwann nichts mehr sagen konnte.
Das Unerträgliche für die Mutter war nicht die Tatsache, dass er sich den Raum nahm, das kannte sie ja bereits von ihm. Traumatisch war die Tatsache, dass ihm so viel Raum gegeben wurde – und das von einer Institution, von der sie sich nach vielen Jahren der Unterdrückung endlich ein Stück Gerechtigkeit erhofft hatte. Im Termin wurde ihr nahegelegt, sich therapeutische Hilfe zu suchen, während die jahrelange Gewalt durch den Vater der Kinder und die Tatsache, dass er der eigentliche Grund für ihre Destabilisierung war, zwar durch mich als ihre Anwältin zur Sprache kamen, aber keine weitere Beachtung fanden. Eigentlich hätte man ihm, dem Gewalttäter, empfehlen müssen, eine Therapie oder zumindest ein Anti-Gewalt-Training zu machen, aber im Termin wurde der gesamte Komplex der Partnerschaftsgewalt von der Richterin, der Verfahrensbeistandschaft und dem Jugendamt ausgeblendet, obwohl die Kinder in der Kindesanhörung die Gewalt gegen sie selbst und gegen die Mutter detailliert geschildert hatten und eine Therapeutin die Belastung der Mutter und der Kinder in einer Stellungnahme dargelegt hatte. Statt den Täter in Verantwortung zu nehmen, wurde dem Opfer die Verantwortung dafür übertragen, die Folgen des gewaltvollen Verhaltens des Täters zu beheben, um als Mutter wieder „gut und liebevoll“ zu funktionieren. Sie sollte ihre Blockadehaltung aufgeben und mehr Besuchszeiten zulassen.
Meine Mandantin gab nach jahrelangen Prozessen, die der Vater gegen sie führte, irgendwann endgültig auf. Sie gab ihm freiwillig die Kinder, weil sie keine Ressourcen mehr hatte, um dagegen anzukämpfen. Sie hatte die berechtigte Angst, dass weitere gerichtliche Verfahren und der permanente Stress die Gesundheit ihrer Kinder nachhaltig zerstören könnten. Die Kinder leben seitdem im Haushalt des Kindesvaters. Im Haushalt eines Menschen, über den sie in Anwesenheit des Gerichts – in der Hoffnung auf Schutz und Unterstützung – gesagt hatten, dass er ihnen und ihrer Mutter Gewalt antut. Das alles wäre womöglich nicht passiert, wenn die Mutter und ihre Kinder rechtzeitig von den Institutionen ernst genommen worden wären, wenn der Umgang des Vaters mit den Kindern vom Familiengericht ausgeschlossen worden wäre und die Mutter mit den Kindern dadurch erst einmal zur Ruhe hätte kommen können, wenn der Täter an sich hätte arbeiten müssen und Konsequenzen erfahren hätte.
Mich schockierten solche Erfahrungen in familiengerichtlichen Verfahren anfangs sehr, und ich ging zunächst davon aus, dass es Einzelfälle seien. Doch nach ein paar Jahren Berufserfahrung stellte ich frustriert fest, dass es System hatte. Familiengerichte wollen eine „tragfähige Lösung für die Zukunft“ im Sinne der Kinder und des Kindeswohls finden, deswegen sei es nicht förderlich, in die Vergangenheit zu schauen, so wurde häufig argumentiert. Es soll eine einvernehmliche Lösung zwischen den Eltern hergestellt werden, denn nur so seien die Kinder nicht mehr durch den „Elternkonflikt“ belastet. Aber wie soll eine tragfähige einvernehmliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten möglich sein, wenn eine Seite jahrelang unterdrückt und erniedrigt wurde? Wie kann es bei einem derartigen Machtgefälle zu einer „einvernehmlichen Lösung“ kommen, wenn eine Seite Gewalt ausübt und für dieses Verhalten keine Konsequenz erfährt? Und wie soll es möglich sein, Wunden zu heilen und eine bessere Zukunft für die Kinder von Gewaltbetroffenen zu schaffen, wenn es keinen Blick in die Vergangenheit gibt und die Wunden nicht angeschaut und verarztet werden?
Keine Fahrlässigkeit: Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung
Frauen, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, erleben Verletzungen ihrer elementaren Grundrechte, wie etwa die Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit bis hin zur Verletzung ihres Rechts auf Leben. Grund- und Menschenrechtsverletzungen können zwar aus juristischer Sicht nicht durch Einzelpersonen, sondern nur durch den Staat erfolgen. Doch die Gewalt der (Ex-)Partner wird in dem Moment zur Verletzung von Grund- und Menschenrechten, wenn der Staat es nicht schafft, die Grundrechte vor diesen Beeinträchtigungen zu schützen. So kann der Staat Menschenrechte verletzen, auch wenn die verletzende Handlung nicht direkt von ihm ausgeht: Beispielsweise wenn der Staat keinen effektiven Gewaltschutz bietet und nicht vor weiterer Gewalt schützt, obwohl es bereits Gewaltvorfälle gab und eine permanente Bedrohungssituation vorliegt.
Eine immer wiederkehrende Bedrohungssituation ist die Übergabe von Kindern bei Umgangsbesuchen. Hier gelingt es dem Staat sehr häufig nicht, die gewaltbetroffenen Frauen vor weiterer Gewalt zu bewahren, und er zwingt sie sogar dazu, sich immer wieder in eine für sie akut gefährliche Situation zu begeben und sich den Drohungen, Beleidigungen und im schlimmsten Fall körperlichen Angriffen des Expartners auszusetzen.
Wie gefährlich es ist, bei Umgangsbeschlüssen vorangegangene Gewalt zu ignorieren, mussten 2003 Angela González Carreño und ihre sechsjährige Tochter Andrea in Spanien erfahren. González Carreño hatte 1999 ihren Ehemann nach langjähriger häuslicher Gewalt verlassen und die damals dreijährige Andrea in ihren Haushalt mitgenommen. Im Anschluss startete sie eine Vielzahl familiengerichtlicher Verfahren: Sie beantragte die Scheidung, das alleinige Sorgerecht und die Beschränkung oder Begleitung von Umgangskontakten ihres Exmanns. Nachdem es bei der Kindesübergabe zu gewalttätigen Übergriffen des Expartners kam, dieser Angela González Carreño vor ihrer gemeinsamen Tochter bedrohte und sogar versuchte, Andrea gegen ihren Willen mitzunehmen, beantragte González Carreño außerdem Näherungsverbote für sich und die Tochter – nach eigenen Angaben wandte sie sich über dreißigmal an Behörden und Gerichte.
Die spanischen Gerichte ordneten dennoch einen Umgang an, und die zwischenzeitliche Umgangsbegleitung wurde 2002 wieder aufgehoben, sodass es zu unbegleiteten Kontakten kam. Diese sollten der Stärkung der Vater-Tochter-Beziehung dienen und wurden von den Sozialdiensten empfohlen – obwohl Andrea ihnen gegenüber angab, nicht mehr Zeit mit ihrem Vater verbringen zu wollen, auch wegen seiner abfälligen Bemerkungen über ihre Mutter. Der Kindesvater äußerte schließlich 2003 in einer Anhörung gegenüber González Carreño, er werde sich nehmen, was sie am meisten liebe. Einen Tag später stand ein unbegleiteter Umgangskontakt an – der Expartner tötete seine sechsjährige Tochter und im Anschluss sich selbst.
Dieser Fall ist zu trauriger Bekanntheit gelangt, weil der UN-Frauenrechtsausschuss 2014 darüber entschied. Nachdem Angela González Carreño sich in Spanien erfolglos durch sämtliche Instanzen geklagt hatte, um zumindest eine Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens von Behörden und Gerichten zu erreichen und Schadensersatz zu erhalten, wandte sie sich an die UN. Der Ausschuss stellte eine Verletzung der Frauenrechtskonvention durch den spanischen Staat fest: Indem die Gerichte trotz des bekannten Kontexts häuslicher Gewalt einen unbegleiteten Umgang anordneten, verletzten sie die Menschenrechte von Angela González Carreño. Auf dramatische Weise zeigt sich hier, dass der Schutz von Frauen und der von Kindern im Kontext häuslicher Gewalt eng zusammenhängen. Spätestens durch diese Entscheidung sollte klar sein: Die Gewährung unbegleiteten Umgangs im Kontext häuslicher Gewalt ist eine Menschenrechtsverletzung.
Leider erfahre ich immer wieder, wie wenig dies an deutschen Familiengerichten berücksichtigt wird. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem die Mandantin mit ihrer Tochter in ein Frauenhaus flüchtete und nach nur wenigen Wochen eine Ladung zum Familiengericht bekam, weil der Vater den Umgang mit dem Kind beantragt hatte. Das Gericht und das Jugendamt kamen im Termin zu dem Ergebnis, dass, unabhängig von der Gewalt gegen die Mutter, der Umgang von Vater und Kind in jedem Fall zum Wohle des Kindes sei und möglichst zeitnah eingeleitet werden müsse. Vier Wochen nach der Flucht ins Frauenhaus musste meine Mandantin ihren Expartner auf offener Straße treffen, um das gemeinsame Kind zu übergeben. Sie brachte das Kind nicht zu ihm nach Hause, weil ihr das zu gefährlich schien. Sie wusste, wozu ihr Expartner in der Lage war. Bei der ersten Übergabe lief alles gut, bei der zweiten Umgangsübergabe brach der Kindesvater ihr vor dem Kind, unbeeindruckt von den Passant:innen, das Nasenbein. Erst danach wurde der Umgang mit der gemeinsamen Tochter für ein paar Monate ausgeschlossen. Der Vater verlor daraufhin das Interesse an dem Kontakt mit dem Kind und bemühte sich später nicht mehr um den Umgang.
Umgangsverfahren sind nach der Trennung für gewalttätige Väter häufig die einzige Möglichkeit, wieder Kontakt zur Expartnerin herzustellen, insbesondere wenn diese an einen ihnen unbekannten Ort geflüchtet ist. Durch die Trennung erleben die Expartner oft einen so enormen Macht- und Kontrollverlust, dass alle Mittel genutzt werden, um die Kontrolle und das Machtverhältnis wiederherzustellen. Und das auch mit Hilfe der staatlichen Institutionen. Das Umgangsverfahren ist dabei ein sehr dankbares Instrument: Aufgrund des gesetzlichen Beschleunigungsgebots muss das Familiengericht innerhalb weniger Wochen nach der Antragstellung durch den Expartner einen Gerichtstermin anberaumen, und der Expartner kann innerhalb kürzester Zeit nach der Trennung wieder persönlich auf seine Expartnerin treffen.
Es findet keine Täterarbeit statt
Immer wieder offenbart sich die perfide Logik des Gerichts. Ich habe mehrmals erlebt, dass vom Familiengericht Saalschutz für eine Mandantin gefordert wurde. Beim Gerichtstermin sitzen dann drei Wachtmeister mit im Saal, weil auch die zuständigen Richter:innen sich vor dem gewalttätigen Expartner nicht sicher fühlen. Gleichzeitig wird im Verfahren darüber entschieden, dass Umgangskontakte zwischen Kind und Vater ganz normal weiterlaufen sollen und die Mutter dem Expartner dadurch ungeschützt begegnen muss. Bei einem begleiteten Umgang begleitet dagegen ein:e vom Jugendamt beauftragte:r Sozialarbeiter:in den Vater und das Kind beim Umgang, sodass die Mutter bei der Übergabe des Kindes nicht auf den Vater treffen muss. Der begleitete Umgang sorgt aber allenfalls für einen Aufschub, denn er ist zeitlich immer auf ein paar Monate begrenzt, und parallel müssen die Kindeseltern in der Regel zusammenkommen und bei gemeinsamen Elterngesprächen mit einer dritten Person Lösungen entwickeln. Das ist kurz nach der Trennung aus einer Gewaltbeziehung für die betroffenen Frauen häufig eine kaum zumutbare Belastung. Man mag zwar hoffen, dass sich die Situation zwischen den Beteiligten in diesem Zeitraum beruhigt, aber davon kann nicht mit Sicherheit ausgegangen werden. Denn: Es findet in diesem Zeitraum keine Täterarbeit statt. Warum sollte sich nach ein paar Monaten des begleiteten Umgangs das Problem in Luft auflösen, wenn der gewalttätige Expartner nicht an sich arbeiten muss?
Ein weiteres Problem ist, dass das Jugendamt dem begleiteten Umgang zustimmen muss, da hierfür Gelder aus dem Kinder- und Jugendhilfebereich zur Verfügung gestellt werden müssen. Manchmal ist das Jugendamt der Meinung, dass der begleitete Umgang nicht nötig ist, manchmal gibt es kaum Gelder und Personal. Die Sicherheit von Frauen und Kindern hängt erneut am fehlenden Geld, an dem chronisch unterfinanzierten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Das ist kein Versagen, das ist eine klare politische Entscheidung.
Familiengerichtliche Verfahren sind ein außer Kontrolle geratenes Krisengebiet. Im ersten Bericht des Expertenausschusses des Europarats (GREVIO) zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland, der im Oktober 2022 veröffentlicht wurde, wird explizit gerügt, dass gewalttätige Väter in Deutschland Sorge- und Umgangsrechte erhielten, ohne dass dabei Sicherheitsbedenken der Frauen oder Kinder ausreichend berücksichtigt würden.
Ein außer Kontrolle geratenes Krisengebiet
Obwohl die Trennungssituation ein Hochrisikofaktor für Femizide ist, setzen staatliche Institutionen die Frauen wissentlich einer großen Gefährdung aus. Ein gewaltfreies Leben für die Frauen scheint der Justiz und der Verwaltung nicht wichtig genug zu sein, wenn sie Frauen immer wieder in die für sie gefährliche Übergabesituation beim Umgang drängen. In Umgangsverfahren wird die gewaltbetroffene Frau zu einer stummen Teilnehmerin und Trägerin der Rechte des Kindes. Es gehört zu ihrem Lebensrisiko, so die verbreitete Ansicht, wenn sie beim Umgang auf ihren Expartner trifft – „sie hätte sich ja einen anderen Partner suchen können“. Sie selbst und ihre körperliche Integrität spielen in dem Moment keine Rolle. Es geht nicht um ihre Selbstbestimmung und ihre Rolle als ein mit Rechten ausgestattetes Subjekt. Sie wird zu einem Objekt, das nur für die Verwirklichung der Rechte anderer da ist. Sie soll für die Erfüllung der Umgangsrechte des Vaters und des Kindes sorgen, ob sie bei den Übergaben leidet, bedroht oder körperlich verletzt wird, ist nicht entscheidend.
Manchmal muss ich meinen Mandant:innen dazu raten, nicht jede furchtbare Erfahrung, die sie mit dem Kindesvater gemacht haben, im Verfahren vorzutragen, weil das im schlimmsten Fall zu einem Sorgerechtsentzug führt. Für mich ist das eine kaum auszuhaltende Beratungssituation. Und dabei liegt das Problem ausnahmsweise nicht darin, dass das Gericht den gewaltbetroffenen Frauen nicht glaubt. Wolfgang Hammer stellt in seiner oben genannten Untersuchung fest: „In 38 Fällen amtlich bestätigter häuslicher Gewalt der Expartner gegenüber ihren Expartnerinnen vertraten Jugendamt und Familiengericht die Auffassung, dass diese Väter besonderes Verantwortungsbewusstsein dadurch gezeigt hätten, dass sie nur ihre Frauen, aber nicht ihre Kinder geschlagen hätten. Auf dieser Basis wurde dann den Anträgen der Väter auf eine Ausweitung der Besuchsregelungen oder eine Übertragung des Sorgerechts entsprochen.“
Der Sorgerechtsentzug hängt wie ein Damoklesschwert über allen meinen gewaltbetroffenen Mandant:innen. Die Ungerechtigkeit ist unerträglich. Eine Mutter erfährt jahrelang massive Gewalt durch ihren Partner. Das gemeinsame Kind muss diese Gewalt miterleben. Die Mutter schafft es, sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien. Nun will sie sich und das gemeinsame Kind vor weiterer Gewalt schützen, kann aber nicht alles beweisen, was der Expartner ihr angetan hat. Beweise fehlen häufig. In der Regel suchen sich die Frauen nicht aus der akuten Gewaltsituation heraus Hilfe. Es gibt selten Zeug:innen. Die Täter sind meist klug genug, die Gewalt nur dann auszuüben, wenn sie sich sicher fühlen. In der Regel haben sie ihre Partner: innen bereits seit Jahren so sehr isoliert, dass die Betroffenen kaum noch Kontakt mit Außenstehenden haben. Wenn die Gewalt von den Betroffenen nicht nachgewiesen werden kann, entscheiden Gerichte üblicherweise, dass ein Umgang zwischen dem gewalttätigen Expartner und dem gemeinsamen Kind stattfinden darf. Wenn sich die Gewaltbetroffenen nicht auf den Umgang des Kindes mit dem Vater einlassen, wird ihnen häufig vorgeworfen, dass sie die Partnerebene nicht von der Elternebene trennen könnten und damit dem Kind schaden würden.
Fataler Vorwurf: »Bindungsintoleranz« und »Entfremdung«
Verhält sich das Kind ablehnend gegenüber dem Vater, wird ihm gerne der Stempel des Parental Alienation Syndrome (PAS) aufgedrückt. Dieses „Syndrom“ ist wissenschaftlich nicht haltbar, es ist weder im Klassifikationssystem für Krankheiten der WHO, dem ICD, noch im amerikanischen Klassifikationssystem DSM anerkannt und wurde heftig kritisiert.
In Ländern wie England und Kanada darf es mittlerweile nicht mehr in Gerichtsverfahren als Beweismittel eingeführt werden. Dennoch spielt es an Familiengerichten in Deutschland immer wieder eine Rolle, es wird von Männerrechtlern gepusht und selten infrage gestellt. Beim PAS wird davon ausgegangen, dass ein Elternteil die Bindung zum anderen Elternteil nicht zulasse, diesen vor dem Kind abwerte und damit das Kind von ihm entfremde – mit dem Ergebnis, dass es diesen Elternteil ablehne. Über den Vorwurf der „Bindungsintoleranz“ findet diese Idee täglich Eingang in familiengerichtliche Verfahren und Urteile und erschwert den gewaltbetroffenen Frauen, sich zu schützen und alle Vorwürfe vorzubringen, ohne dass ihnen eine „Blockadehaltung“ unterstellt wird. Auf der 53. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf stellte Reem Alsalem, Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen, ihren Bericht „Custody, violence against women and violence against children” vor. In ihrer eindrucksvollen Rede im Juni 2023 benannte sie klar die Gefährdung von gewaltbetroffenen Müttern und Kindern vor Familiengerichten durch „Parental Alienation“ bzw. „Eltern-Kind-Entfremdung“. „Wie, Herr Vizepräsident, können solche Praktiken Tag für Tag direkt vor unserer Nase stattfinden? Wie können Familiengerichte Schauplatz solch ungeheuerlicher Formen der Gewalt gegen Mütter und Kinder sein und dabei völlig ungestraft bleiben?“, fragte sie dort.
Es scheint so, als seien die Menschenrechte in der familiengerichtlichen Realität vor allem Männerrechte. Es ist doch mindestens erstaunlich, dass Gerichte und Jugendämter sich offenbar nicht vorstellen können, dass Kinder möglicherweise aus guten Gründen den anderen Elternteil ablehnen, vielleicht weil ihnen wirklich Gewalt angetan wurde oder sie die Gewalt des Vaters gegen die Mutter miterleben mussten. Interessanterweise wird die tatsächliche Vernachlässigung des einen Elternteils durch Gewaltausübung, die zu der Ablehnung des Kindes geführt hat, nicht als Entfremdung bezeichnet. Eine Studie aus den USA über den Einfluss von Eltern-Entfremdungsvorwürfen auf Entscheidungen des Familiengerichts aus dem Jahr 2000 ergab sogar, dass der Vorwurf der Entfremdung gegen Väter sich nicht zulasten ihres Sorgerechts auswirkte. Wurde er gegen Mütter erhoben, verloren diese nicht nur in der Hälfte der Fälle das Sorgerecht – auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht den von ihrer Seite geäußerten Gewalt- oder Missbrauchsvorwürfen glaubte, nahm um etwa die Hälfte ab.
Ich höre so oft von getrennt lebenden Müttern, dass sie lieber auf Kindesunterhalt verzichten und keine Anträge stellen, weil sie Angst vor der Reaktion des Partners haben. Sie berichten, dass sie keine Kraft mehr für Konflikte haben, dass sie froh sind, wenn endlich Ruhe einkehrt, und sie den „Frieden“ nicht gefährden wollen. Manchmal drohen Expartner damit, den Müttern das Kind „wegzunehmen“, sollten sie Unterhalt einfordern. Einige Frauen wissen, dass ihr Partner das Wechselmodell einfordern wird. Die Betroffenen wollen möglichst wenig Kontakt zum gewalttätigen, drohenden Partner und wissen, dass Unterhaltskonflikte diesen Kontakt intensivieren würden. All das geht am Ende zulasten der Kinder, die ohne Kindesunterhalt noch stärker von Armut bedroht sind, als sie es ohnehin schon sind.
Rechtsanwält:innen in Deutschland ist es erlaubt, Tipps zu vermitteln, mit deren Hilfe man weniger oder gar keinen Kindesunterhalt zahlen muss. Dabei geht es beim Kindesunterhalt ja um eine Zahlung für das Kind und nicht um eine Zahlung für die Mutter, was viele Väter jedoch gern falsch verstehen. Sie greifen das misogyne Narrativ auf, dass es der Frau nur um mehr Geld für sich selbst gehe. Viel zu oft ist das Zurückhalten des Kindesunterhalts ein Machtmittel. Sabine Walper, Diplompsychologin und Professorin an der Universität München für Allgemeine Pädagogik, erklärt in einem Interview einen nicht überraschenden, aber dennoch von der Rechtsprechung wenig beachteten Umstand: „Getrennt lebende Väter können für ihre Kinder eine wichtige Ressource sein. Dabei spielt aber die Häufigkeit der Kontakte eine sehr nachrangige Rolle. Vor ein paar Jahren ging man noch davon aus, dass das Kindeswohl leidet, wenn der Kontakt zum Vater stark abnimmt oder gar abbricht. Mittlerweile zeigen aber viele Studien, dass die zuverlässige Zahlung des Unterhalts und die Qualität des väterlichen Erziehungsverhaltens deutlich ausschlaggebender sind. Entscheidend ist, dass den Kindern Sicherheit, Zuwendung und Orientierung vermittelt wird, damit sie die Unsicherheiten nicht in die spätere eigene Partnerschaft hineintragen.“
Der Staat lässt dem Vater fast immer die Tür für den Umgang mit seinen Kindern offen. Selbst wenn Väter jahrelang untertauchen, keinen Unterhalt zahlen und plötzlich nach Jahren wieder bei der alleinerziehenden Mutter vor der Tür stehen, haben sie die Möglichkeit, Umgang mit dem Kind zu beantragen. Wenn die Mutter in solch einem Fall eine Einigung ablehnt, besteht die Gefahr, dass ihr der Vorwurf gemacht wird, zu blockieren. Obwohl der Vater jahrelang keine Verantwortung übernommen hat und untergetaucht ist, weder Kindesunterhalt gezahlt noch tatsächliche Betreuung geleistet hat, liegt der Schwerpunkt der Betrachtung und Beurteilung wieder einmal auf ihrem Verhalten. Höchste Zeit, dass sich daran etwas ändert.
Der Beitrag basiert auf dem Buch der Autorin „Die stille Gewalt. Wie der Staat Frauen alleinlässt“, das jüngst im Rowohlt-Verlag erschienen ist. Dort finden sich auch die Nachweise.