Ausgabe Juli 2024

Die große Entfremdung

Ika Sperling, Der große Rest, Cover: Reprodukt

Bild: Ika Sperling, Der große Rest, Cover: Reprodukt

Was bedeutet es, einen geliebten Menschen an Verschwörungsideologien zu verlieren? Dieser Frage – und explizit nicht den Ideologien selbst – widmet sich Ika Sperling in ihrem autofiktionalen Comic „Der Große Reset“. Dazu nutzt sie zwei Kunstgriffe: Erstens komprimiert sie die Handlung auf einen dreitägigen Kurzbesuch der Protagonistin – erkennbar die Künstlerin selbst – in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat. Die dargestellte Familie ist fiktional, aber an Sperlings eigene angelehnt, und hat offensichtlich schon lange über das Abdriften des Vaters im Zuge der Coronapandemie gestritten, die inhaltliche Auseinandersetzung aber längst entnervt aufgegeben. Nun wird das Thema peinlichst vermieden.

Sperlings zweiter Kunstgriff ist grafischer Natur: Sie zeichnet die Vaterfigur konsequent nur schemenhaft als eine Art Wasserwesen, das diffus ausläuft. Es gibt also nicht das eine „Leck“, das man stopfen könnte, um dieses Auslaufen zu verhindern –, die Vaterfigur entzieht sich symbolisch dem direkten „rettenden“ Zugriff durch die Familie. Zugleich verkörpert diese unscharf konturierte Figur die Elastizität von Verschwörungsmythen und ihren Vertretern, die auf jegliche gegen sie vorgebrachten Argumente und Fakten mit immer weiteren Wendungen und Ergänzungen reagieren, wie Wasser, das bekanntlich immer seinen Weg findet.

»Blätter«-Ausgabe 7/2024

Sie haben etwa 16% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 84% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (11.00€)
Druckausgabe kaufen (11.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Kultur