Die Instrumentalisierung des Widerstands vom 20. Juli 1944

Bild: Die Statue steht am Ort der Erschießung von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Mitverschwörer. Das Attentat vom 20. Juli 1944 war der bedeutendste Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus. (IMAGO / Winfried Rothermel)
Wenn mit Sicherheit, als wäre es nie anders gewesen, am kommenden 20. Juli zum 80. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler Kränze niedergelegt und staatstragende Reden gehalten werden, täuscht diese Gedenkroutine über die Tatsache hinweg, dass dieses Bekenntnis hart erkämpft werden musste und auch unter Politikern lange alles andere als erwünscht gewesen ist. Denn der 20. Juli 1944 war immer ein schwieriges Datum und ein Stachel im Fleisch deutscher Selbstgewissheit – weil er das Märchen vom verführten Volk entlarvte, das von nichts gewusst habe, und weil er zeigte, dass es möglich gewesen wäre, sich anders zu verhalten.
Neuesten Forschungen zufolge waren rund zweihundert Personen an der Planung des Umsturzversuchs beteiligt, zum weit verzweigten Netzwerk gehörten mehrere tausend – und doch waren die Widerstandskämpfer und -kämpferinnen unter den gut 65 Millionen Deutschen nur eine kleine Minderheit. Sie opferten sich für etwas, das die meisten ihrer Landsleute gar nicht wollten und selbst nach 1945 lange nicht zu schätzen wussten.
Es hat daher geraume Zeit gedauert, bis aus den „Landesverrätern“, zumindest offiziell, Helden geworden waren. Ab einem gewissen Zeitpunkt aber hatte das Gedenken an sie mächtige Fürsprecher, nicht zuletzt, weil sich mit seiner Hilfe konservative Gruppen und Traditionen rehabilitieren ließen, die durch ihre Rolle im Nationalsozialismus ins Zwielicht geraten waren. Man machte den 20. Juli zum Kronzeugen für jenes „andere Deutschland“ – dafür, dass nicht alle Deutschen Nazis gewesen waren. Das war nützlich für die Selbstdarstellung gegenüber dem Ausland und die Selbstvergewisserung nach innen.
Der 20. Juli 1944 eignete sich dafür besonders gut, weil er von Berufssoldaten, Politikern und hohen Verwaltungsbeamten getragen worden war. So konnten die alten Eliten rehabilitiert werden, die Hitlers Ernennung zum Reichskanzler erst ermöglicht und mehrheitlich begrüßt hatten. Dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ursprünglich von Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten gekommen war, viele Jahre bevor die Bombe in der Wolfsschanze detonierte, geriet in der jungen Bundesrepublik weitgehend in Vergessenheit: Die konservativen Regierungen unter Bundeskanzler Konrad Adenauer, denen mehrere ehemalige NSDAP-Mitglieder angehörten, hatten eine andere Agenda.
Es galt, Millionen einstiger Parteigenossen, Staatsdiener und Mitläufer in die neue Demokratie zu integrieren. Mit dem 20. Juli 1944 als Ausweis deutscher Rechtschaffenheit konnte Adenauer die Wiederbewaffnung vorantreiben und die 1955 gegründete Bundeswehr später den Bruch mit der Wehrmacht reklamieren, obwohl sich ihr Personal bis ins Offizierskorps hinein aus der alten Hitler-Armee speiste. Auch die Hinwendung zum westlichen Staatenbündnis ließ sich damit ideologisch begründen, gerade in Abgrenzung zur DDR, wo das Gedenken an den kommunistischen Widerstand zur offiziellen Parteidoktrin gehörte.
Das Märchen vom »Widerstand des Adels«
Insbesondere für den Adel wurde der 20. Juli nach dem Krieg zur willkommenen Möglichkeit, sich selbst und die bundesdeutsche Öffentlichkeit über die eigenen Versäumnisse und Verstrickungen hinwegzutäuschen. Theodor Heuss sprach 1954 in seiner großen Gedenkrede vom „christlichen Adel deutscher Nation“, der sich für die Verschwörung mit Sozialisten und Gewerkschaftern zusammengetan habe. Carl Zuckmayer betonte zum Jahrestag 1969 die „besondere Rolle“, die der Adel in der Widerstandsbewegung gespielt habe: Von „einigen trüben Ausnahmen abgesehen“, seien „fast alle Namen des deutschen Geschlechter-Adels in den Reihen der Widerstandskämpfer und Widerstandsopfer“ zu finden.
Die Zahl der Adligen unter den Verschwörern und in ihrem Umkreis war in der Tat bemerkenswert hoch: Obwohl ihr Anteil an der deutschen Bevölkerung nur 0,15 Prozent betrug, war jeder zweite der am 20. Juli 1944 Beteiligten adliger Herkunft. Das erklärt sich jedoch nicht daraus, dass der deutsche Adel per se in Opposition zum NS-Regime gestanden hätte, wie es selbst das Haus Hohenzollern nach dem Krieg gern darstellte. Das Gegenteil ist der Fall: Eben weil sich der Adel dem Nationalsozialismus nicht in den Weg stellte, sondern seine Mitglieder dessen Aufstieg mehrheitlich begrüßten, mit eigenen Hoffnungen verbanden und zum Teil erheblich davon profitierten, besaßen diese 1944 hohe Positionen in der Verwaltung und vor allem der Wehrmacht. Damit waren sie die Einzigen, die noch etwas gegen das Regime und gegen den Krieg ausrichten konnten.
Der Historiker Stephan Malinowski stellt darum die berechtigte Frage: „Wo waren sie 1933?“ Die Antwort lautet, zugespitzt gesagt: auf dem „Tag von Potsdam“, an dem die Demokratie unter großem Jubel, kaiserlichem Pomp und Preußenfahnen begraben wurde.
Die Begeisterung hatte zwar nicht den gesamten Adel erfasst und es gab, trotz der Übereinstimmung in vielen Punkten, dort durchaus auch Vorbehalte gegen die Nationalsozialisten. Diese speisten sich in der Regel jedoch aus einem gewissen Standesdünkel, nicht aus grundsätzlicher Ablehnung; in den Widerstand führten bei kaum jemandem. Noch weniger erkannten den verbrecherischen Charakter des Regimes von Anfang an, wie etwa Adam von Trott zu Solz. Allein zwischen 1933 und 1935 hat sich die Zahl der Offiziere mit adliger Herkunft fast verdreifacht; in den höchsten Rängen der SS lag der Adelsanteil durchschnittlich bei 14 Prozent. Unter den Obergruppenführern waren es 18,7 Prozent. „Der typische Adlige“, konstatierte der Historiker Heinrich August Winkler, „war in den Jahren des ‚Dritten Reiches‘ kein Widerstandskämpfer, sondern eine Stütze des Systems.“
Die Handvoll derer, die wie Tresckow, Stauffenberg oder Schulenburg schließlich in den aktiven Widerstand gingen, hatte ihre Mitschuld am Aufstieg Hitlers erkannt und sah sich wohl auch deswegen in der Pflicht, ihn zu beseitigen. In Abwandlung der oft zitierten pastoralen Formel vom „Aufstand des Gewissens“ hat Malinowski dafür die Wendung „Aufstand des schlechten Gewissens“ geprägt. Am Ende scheiterte der Putschversuch vor allem daran, dass allzu wenige das schlechte Gewissen plagte und sich insbesondere die – ebenfalls meist adligen – Generäle ihrer Verantwortung entzogen.
Wie der gesamte deutsche Widerstand ein „Widerstand ohne Volk“ gewesen ist, so stellten auch seine adligen Mitglieder innerhalb ihrer sozialen Schicht eine kleine Minderheit dar und kämpften bis zuletzt „gegen erdrückende Mehrheiten […], in denen die Arrangements mit dem NS-Staat unerschüttert blieben“. Der Vorsitzende der „Deutschen Adelsgenossenschaft“ beeilte sich, Hitler nach dem gescheiterten Staatsstreich seiner Ergebenheit zu versichern. Und selbst Schulenburgs Bruder, der Offizier Albrecht von der Schulenburg, bemühte sich in einem Brief an Himmler um größtmögliche Distanz zu jenem „Menschen, der einst mein Bruder war“. Ausführlich zählte er die Kriegsverdienste seiner Familie auf und nannte die Ereignisse des 20. Juli eine „Schande, die ein Schuft bei der größten Teufelei der deutschen Geschichte über uns und das Andenken seines Vaters und seiner toten Brüder brachte“.
»Die Gräfin« und das gute Preußentum
Doch dank der vielen „vons“ unter den ermordeten Verschwörern, nicht zuletzt der strahlenden Galionsfigur des Grafen Stauffenberg, konnte sich nach dem Krieg die Legende durchsetzen, beim 20. Juli 1944 habe es sich um einen letzten heroischen Aufstand des Adels gehandelt, der immer schon mit Hitler überquer gelegen habe.
Eine entscheidende Rolle spielte dabei die 2002 verstorbene Journalistin Marion Gräfin Dönhoff, die ihr Leben lang für jenen Mythos gekämpft und maßgeblichen Anteil an seiner Herausbildung und Tradierung hatte.
Dönhoff war mit vielen der Verschwörer befreundet, teilweise auch verwandt gewesen und hatte Kontakte zu den Kreisauern und der Gruppe um Goerdeler gepflegt. An den Umsturzplanungen war sie zwar nicht beteiligt, übermittelte aber unter anderem Nachrichten an ausländische Diplomaten und hielt die Verbindung zwischen den Verschwörern in Berlin und Ostpreußen, wo sie das Gut ihrer Familie bewirtschaftete. Nach dem Krieg fühlte sie sich dem Gedenken der ermordeten Freunde verpflichtet und stellte einen Großteil ihrer publizistischen Arbeit in den Dienst dieses Projektes – erst als Redakteurin, dann als Chefredakteurin und bis zu ihrem Tod als Mitherausgeberin der „Zeit“.
Mit unzähligen Artikeln, Büchern und öffentlichen Vorträgen setzte sie sich für die Würdigung des 20. Juli und die Rehabilitierung der Beteiligten ein. Das taten zwar auch andere Freunde, Überlebende und Hinterbliebene, durch ihre einflussreiche Position als angesehene Publizistin entfaltete die Gräfin aber eine ungleich größere Wirkung als etwa Annedore Leber, die Witwe Julius Lebers. Auch sie hatte gleich nach dem Krieg damit begonnen, gegen die feindliche Stimmung in der Bevölkerung anzuschreiben. In den Räumen der ehemaligen Kohlenhandlung ihres Mannes gründete sie 1947 den Mosaik-Verlag, in dem politische und pädagogische Titel erschienen. In den 1950er Jahren gab sie zusammen mit Willy Brandt und dem Historiker Karl Dietrich Bracher zwei Bände heraus, in denen mit Fotos und biografischen Skizzen Widerständler aus allen gesellschaftlichen Bereichen vorgestellt wurden. Im Gegensatz zu Dönhoff, die stets den 20. Juli 1944 hervorhob, ging es Annedore Leber mit den beiden Porträtbänden um die Würdigung sämtlicher Formen und Gruppierungen der Opposition gegen Hitler. „Das Gewissen steht auf“ und „Das Gewissen entscheidet“ waren durchaus erfolgreich, doch Leber starb schon 1968 – zu einer Zeit also, als westdeutsche Historiker gerade erst begannen, sich mit den Regimegegnerinnen und -gegnern jenseits der „Kommandohöhen“ (Mommsen) zu beschäftigen. Gräfin Dönhoff starb erst 34 Jahre später. Parallel zur offiziellen Heroisierung konnte sie dabei mithelfen, den 20. Juli zum Inbegriff des Widerstands zu stilisieren, der bald alle anderen überstrahlte. In keinem anderen Land der Welt, schrieb sie noch 1997, hätten „führende Vertreter der Nation um der Moral, des Rechts und der Freiheit willen so große Opfer gebracht“.
Das Comeback Preußens und ...
Über fast sechs Jahrzehnte hinweg zog sich dabei ein roter Faden durch ihre Argumente und die Art ihrer Darstellung. Die Namen der Verschwörer, schrieb Dönhoff beispielsweise 1974, würden sich wie das „Mitgliederverzeichnis eines hohen Ordens“ lesen, das „in allen Schichten die Elite“ repräsentiere. Es lag in der Natur der Sache, nicht zuletzt aber in Dönhoffs eigener Herkunft, dass sie den Adel stets besonders betonte – vor allem den preußischen: „Es ist, als wäre der Geist des Preußischen […] von allen Pervertierungen gereinigt, noch einmal Gestalt geworden.“ Yorck, Lehndorff, Schulenburg, Schwerin: Alle „großen Namen der preußischen Geschichte“ seien in jenem letzten Kapitel verzeichnet, bevor Preußen gänzlich aus der Geschichte gestrichen worden sei.
Das wurde es mitnichten. Gerade in den 70er Jahren gab es ein regelrechtes Preußen-Revival, das 1981 von einer großen Ausstellung in Berlin gekrönt wurde. Ganz im Sinne Dönhoffs wurde dabei vor allem jenes romantisierte „alte Preußen“ aus der Zeit vor der Reichsgründung 1871 gefeiert, in dem, so die Linie zahlreicher Publikationen, keinesfalls die Gründe für den Aufstieg des Nationalsozialismus zu suchen seien. Unter „den zehn obersten Führern jener Verbrecherbande“ an der Spitze des „Dritten Reiches“ sei kein einziger Preuße gewesen. Die Männer des 20. Juli, argumentierte Dönhoff in einem Zeit-Gespräch 1994, seien „die echten Preußen“ gewesen. Hitler hingegen, jener „Zyniker aus Österreich“, habe „wahrlich nichts mit Preußen zu tun“.
Unter den Verschwörern waren allerdings keineswegs nur Preußen gewesen. Stauffenberg und Hofacker etwa waren Württemberger, Oster und Olbricht Sachsen, Mertz kam aus Bayern. Dönhoff löste das Dilemma, indem sie Tugenden wie Toleranz, Ehrgefühl oder Zivilcourage zu typisch preußischen Charakteristika erklärte und sie allen Akteuren des 20. Juli zusprach. So machte sie, wie der Historiker Eckart Conze treffend anmerkt, das „andere Deutschland“ zum „anderen Preußen-Deutschland“.
Dass ihre Brüder schon früh in die NSDAP eingetreten waren, erwähnte sie in keinem ihrer Bücher oder Beiträge. Die unrühmliche Rolle, die konservative, häufig adlige Eliten als Totengräber der Republik und Kollaborateure des NS-Regimes gespielt hatten, war für sie ebenfalls kein Thema. Mit dem „Aufstand des Gewissens“ vom 20. Juli, wie sie ihn darstellte, war die Ehre des Adels wiederhergestellt. Indem sie den preußischen Adel dabei wieder und wieder als den eigentlichen Träger des Umsturzversuchs darstellte, schlug sie zugleich eine Brücke in die vermeintlich unbelastete deutsche Geschichte vor 1933.
... der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche
Wie gut ihr – und anderen, die ähnlich argumentierten –, das gelungen ist, lässt sich am Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche ablesen, die 1933 beim „Tag von Potsdam“ eine zentrale Rolle gespielt hatte. Sie war im Krieg stark beschädigt und 1968 auf Geheiß von DDR-Staatschef Walter Ulbricht gesprengt worden. 1984 gründete Oberstleutnant Max Klaar, Bataillonskommandant im nordrhein-westfälischen Iserlohn, die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V. (TPG). Der Verein sammelte Spenden, ließ die Glocken nachbauen und gab das fertige Spiel am 17. Juni 1987 im Rahmen einer tagfüllenden Feier auf dem Iserlohner Kasernenhof in die Obhut des Fallschirmjägerbataillons 271. Am Schluss der Zeremonie sagte Bataillonskommandeur Klaar, bei der Wiederherstellung des Glockenspiels habe nicht zuletzt die Erinnerung an die Männer des 20. Juli 1944 eine Rolle gespielt, die „zumeist Preußen waren“. Weil viele Wehrmachtsveteranen gespendet hatten, waren in einen Teil der 40 Glocken die Namen ehemaliger Einheiten und Truppenteile eingegossen worden. Prinz Louis Ferdinand zu Preußen, Oberhaupt der Familie Hohenzollern, bekam eine eigene Glocke. Sieben weitere Glocken waren den „verlorenen Ostgebieten“ gewidmet; auf einer von ihnen war Deutschland in den Grenzen von 1937 abgebildet.
Nach der Wiedervereinigung trat TPG-Gründer Klaar zusammen mit dem Preußeninstitut an Brandenburger Lokalpolitiker heran, um den Neubau der Garnisonkirche voranzutreiben. Trotz der offensichtlichen Rechtslastigkeit beider Vereine, seiner Mitglieder und Sympathisanten ließ sich die SPD-regierte Stadt Potsdam auf die Zusammenarbeit ein und nahm das nachgebaute Glockenspiel an. Am 14. April 1991, dem Jahrestag der Zerstörung der Kirche durch alliierte Bomber, wurde es feierlich eingeweiht. Während des Festakts sprach „Seine Kaiserliche Hoheit“ ein Grußwort, das Polizeiorchester Brandenburg spielte ein von ihm komponiertes Lied, und im Publikum schwenkten zwei junge Männer preußische Reichsflaggen, ohne dass jemand daran Anstoß nahm.
Ein paar Monate später wurden die sterblichen Überreste der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und seines Sohnes Friedrich II., deren Gräber sich einst in der Garnisonkirche befunden hatten, mit großem Pomp und unter Anwesenheit Bundeskanzler Kohls in eine Gruft am Schloss Sanssouci umgebettet. Hochrangige CDU/CSU-Männer wie Richard von Weizsäcker, Eberhard Diepgen, Manfred Wörner oder Friedrich Zimmermann befürworteten die Rekonstruktion der Garnisonkirche und spendeten dafür – Preußen, so schien es, ließ sich problemlos in die Berliner Republik integrieren. Kürzlich wurde der wiedererrichtete Turm eingeweiht, die vollständige Fertigstellung der Kirche ist bis Ende 2025 geplant.
Der »Jungbrunnen der Hohenzollern«
Im Windschatten dieser Legende des sauber gebliebenen preußischen Adels gelang es auch der Familie Hohenzollern, sich eine angebliche Nähe zum Widerstand anzudichten. Dabei hatten ihre Mitglieder die Republik von Anfang an bekämpft und sich als Unterstützer der nationalsozialistischen Bewegung hervorgetan – insbesondere Kronprinz Wilhelm von Preußen, der schon 1932 zur Wahl Hitlers aufrief, beim „Tag von Potsdam“ in Husarenuniform die Paraden von Reichswehr, SA, SS und Stahlhelm abnahm und dessen Bruder Prinz August Wilhelm in die SA eingetreten war.
Auf der Suche nach einer charismatischen Führungsfigur, die nach einem erfolgreichen Regimesturz in der Lage gewesen wäre, Deutschland interimsmäßig zu regieren, hatten einige nationalkonservativ und zum Teil monarchistisch ausgerichtete Verschwörer wie Carl Goerdeler oder Johannes Popitz kurzzeitig erwogen, beim Sohn des ehemaligen Kronprinzen, Louis Ferdinand von Preußen, anzufragen. Mehr als ein paar vorsichtige Gespräche hat es dazu jedoch nicht gegeben, und im Juli 1944 war die Idee längst vom Tisch, zumal sie von den meisten Beteiligten rigoros abgelehnt worden war. Von sich aus zeigte keiner der Hohenzollern das Bemühen, die Opposition zu unterstützen.
Nach dem Krieg aber wurde der 20. Juli zum „Jungbrunnen“ (Malinowski) für ein neues, prodemokratisches Image der Hohenzollern: Schon Anfang der 50er Jahre stellte sich Louis Ferdinand als Eingeweihter dar, der Hitler sofort durchschaut und regelmäßig an konspirativen Treffen teilgenommen habe. Die Widerstandskämpfer hätten seinen Namen selbst unter der Folter nicht preisgegeben – ihrer „Freundestreue bis in den Tod“ verdanke er sein Leben.
Während der Auseinandersetzung um die Forderung der Hohenzollern nach Rückgabe ihrer Schlösser und Kunstschätze sagte ein Anwalt der Familie 2019, in der Debatte werde „leider“ oft vergessen, dass die Familie „Kontakt zum Widerstand“ gehabt habe. Kronprinz Wilhelm sei sogar „als Staatsoberhaupt auserkoren“ gewesen. Der Kronprinz und sein Sohn Louis Ferdinand hätten von Beginn an „eine enge Verbindung zum politischen Widerstand“ gehalten, erklärte 2001 auch das jetzige Oberhaupt der Familie, Georg Friedrich Prinz von Preußen. Sein Großvater habe sich in die Opposition eingebracht und damit sein Leben und das seiner Familie riskiert. Belege dafür gibt es nicht, wohl aber Dutzende Fotos, Dokumente und Aussagen von Zeitzeugen, welche die Nähe der damaligen Hoheiten zum NS-Regime beweisen. Das scheint inzwischen auch beim jetzigen Chef des Hauses angekommen zu sein, der zuvor juristisch gegen Forschende, Journalistinnen und Journalisten vorgegangen war, die sich kritisch zur Vergangenheit der Hohenzollern geäußert hatten. Im März 2023 kündigte er an, er werde alle Klagen und Entschädigungsforderungen zurückziehen, um den Weg für „eine unbelastete Debatte“ freizumachen. Kronprinz Wilhelm habe „ganz klar die Nähe zum NS-Regime gesucht“ und könne darum für das Haus Hohenzollern „nicht traditionsstiftend“ sein.
Kein Schwarz oder Weiß: Wider den Wunsch nach Eindeutigkeit
Bei alledem zeigt sich: Die Rezeption des 20. Juli 1944 war immer schon vom Wunsch nach Eindeutigkeit geprägt. Für die einen waren ausschließlich Patrioten am Werk, deren Gesinnung über jeden Zweifel erhaben ist; die anderen halten eine Würdigung für völlig unangemessen, weil die Offiziere der Militäropposition lange selbst begeisterte Nationalsozialisten gewesen sind. Je nach Perspektive werden darum historische Fakten mal ausgeblendet und mal überbetont, wobei das Motto häufig „ganz oder gar nicht“ zu lauten scheint. Wir wollen makellose Helden, Ritter ohne Furcht und Tadel. Weil Stauffenberg, Tresckow, Schulenburg oder Gersdorff das nicht waren, werden sie entweder als Nazis verdammt oder zu Schutzheiligen der Demokratie und der Bundesrepublik erklärt.
Im kritischen Urteil der Nachgeborenen bleibt dabei oft unberücksichtigt, dass diese Männer aufgrund ihrer Sozialisation eine Vielzahl innerer Hürden überwinden mussten, bevor sie sich die verbrecherische Natur des NS-Regimes und ihre eigene Verstrickung darin eingestehen konnten und den Mut aufbrachten, einen Eid zu brechen, dessen Wirkmacht wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Ihre Überhöhung zum Sinnbild des Widerstands wiederum übergeht die Tatsache, dass sie zu jener Gesellschaftsschicht gehörten, die Hitler „in den Sattel gehoben“ und lange institutionell gestützt hatte, wie der Gewerkschaftsführer Wilhelm Leuschner es 1943 ausdrückte.
Andererseits ist es ihnen tatsächlich gelungen, sich aus den Vorstellungen ihrer Zeit und ihrer Sozialisation zu lösen. Sie haben es gewagt, sich gegen ihre Landsleute, ihre Vorgesetzten und Kollegen, oft sogar gegen ihre Herkunftsfamilien zu stellen – das verdient auch 80 Jahre danach noch allen Respekt. Eine Einteilung in Schwarz oder Weiß aber ist unmöglich. Versucht wurde sie trotzdem immer wieder: Während die DDR-Propaganda die Beteiligten des 20. Juli 1944 als reaktionär abtat, bekamen sie in der Bundesrepublik den Status unantastbarer Lichtgestalten. Der einigende Gründungsmythos sollte die Kollaboration der Konservativen mit dem Nationalsozialismus vergessen machen, die von der DDR so gern als Munition gegen den Westen verwendet wurde. Nach dem Krieg förderten einflussreiche Gruppen und Einzelpersonen diese Exkulpation aus ureigenem Interesse. 14 Jahre CDU-Regierung unter Adenauer schafften die strukturellen und ideellen Voraussetzungen für die Verankerung dieser Erzählung im öffentlichen Bewusstsein; zahllose Unionspolitiker und -politikerinnen führten sie fort.
Weitgehend unbekannt: Der zivile und linke Widerstand
Dass speziell der zivile Teil der Verschwörung so wenig bekannt ist, insbesondere der politisch links stehende, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis zahlloser Vereinnahmungsversuche vonseiten der Konservativen – und nicht nachvollziehbarer Versäumnisse speziell der SPD. Obwohl diese stolz auf Paul Löbe, Adolf Reichwein, Wilhelm Leuschner, Julius Leber oder Carlo Mierendorff hätte verweisen können und es in ihren Reihen auch nach 1945 noch viele überlebende NS-Gegnerinnen und -Gegner gab, hielt die SPD sich zurück und war ängstlich darauf bedacht, sich nur ja nicht zu exponieren. Als Karl Ibach, der im Widerstand und schon 1933 im KZ inhaftiert gewesen war, sich 1957 für die SPD um ein Bundestagsmandat bewarb, durfte er im Wahlkampf nicht erwähnen, dass er als Geschäftsführer beim Bund der Verfolgten des Naziregimes arbeitete. Bei der SPD habe man mit der Aufarbeitung der eigenen Widerstandsgeschichte gewartet, „bis alle tot waren“, brachte es Ruth Daft, die Tochter eines sozialdemokratischen Widerstandskämpfers, einmal auf den Punkt. So überließen die Linken der CDU die Deutungshoheit, und die wusste sie von Anfang zu nutzen – ganz im Sinne des konservativen Historikers Michael Stürmer, der 1986 schrieb, dass derjenige die Zukunft gewinne, der „die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet“. Da die Linke es versäumte, dem eine eigene Darstellung entgegenzusetzen, verdichtet sich im Gedenken an den 20. Juli 1944 bis heute die konservative Deutung der Ereignisse: Es war eben die Gewissenstat eines adligen Offiziers, dem andere adlige Offiziere zur Seite standen. Sie allein hatten den Mut, dem Regime die Stirn zu bieten, im verzweifelten Versuch, die Deutschen von jener Verbrecherbande zu befreien, die das Land ins Unglück geführt hatte.
Mit der Monumentalisierung des „Aufstands des Gewissens“ geriet in Vergessenheit, dass es sich gerade nicht um die Tat eines Einzelnen oder einer kleinen konservativen Gruppe gehandelt hatte, vor allem: dass die Opposition vor und nach 1933 von ganz anderer Seite gekommen war. Der linke Widerstand, zumal der kommunistische, wurde an den Rand gedrängt oder offen diffamiert, was sich indirekt auf die politische Kultur der Bundesrepublik auswirkte – mit weitreichenden Folgen bis heute.
Der verdrängte Widerstand der Frauen und der »kleinen Leute«
Auf der Strecke blieb dabei auch die Erinnerung an den Widerstand von Frauen. Die meisten Deutschen kennen höchstens Sophie Scholl, deren Schwester Inge Aicher-Scholl ihr ganzes Leben für das Andenken ihrer ermordeten Geschwister gekämpft hat. Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 gilt nicht ganz zu Unrecht als die Sache von Männern, weil Frauen das Militär und in der Regel auch höhere Positionen in staatlichen Institutionen, der Verwaltung oder dem Auswärtigen Amt verschlossen waren. Das heißt jedoch nicht, dass Frauen an der Verschwörung überhaupt nicht beteiligt waren: Viele sind von ihren Männern eingeweiht worden und waren ihnen als Gesprächspartnerinnen und Vertraute eine unverzichtbare Hilfe. Etliche hatten als Botinnen oder Schreibkräfte unmittelbar mit der Vorbereitung des Staatsstreichs zu tun wie Margarethe von Oven, Erika von Tresckow oder Nina von Stauffenberg. Die Juristinnen Freya von Moltke und Marion Yorck von Wartenburg arbeiteten im Kreisauer Kreis an den Plänen für eine neue Ordnung nach Hitler; die Nationalökonomin Elfriede Nebgen hielt Kontakt zu den Gewerkschaftern, versteckte nach dem gescheiterten Attentat Jakob Kaiser bei sich und rettete dem späteren Bundesminister damit das Leben.
Warum keine der Frauen des 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, ist ein Rätsel, das die Geschichtswissenschaft bisher nicht lösen konnte – als Beteiligte und Mitwisserinnen gingen sie alle dasselbe Risiko ein wie ihre Männer. Die Frauen der bereits 1942 enttarnten „Roten Kapelle“ waren fast alle zum Tode verurteilt worden, Mildred Harnack zum Beispiel, Libertas Schulze-Boysen oder Maria Terwiel. Sie sind ebenso unbekannt wie viele andere Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, insbesondere aus den Reihen der Kommunisten, deren Andenken in der Bundesrepublik nicht erwünscht war.
„Geschichte ist eben nicht einfach Geschichte“, sagt die Historikerin Frauke Geyken, die ein Buch über Frauen im Widerstand geschrieben hat. „Geschichte wird gemacht.“ So ist denn auch meist ein Porträt Stauffenbergs zu sehen, wenn es um die Opposition gegen Hitler geht, nicht etwa das des jüdischen Kommunisten Herbert Baum aus Berlin: Kurz vor Kriegsbeginn baute er zusammen mit seiner Frau Marianne eine Widerstandsgruppe auf, zu der später auch Zwangsarbeiter der Siemens-Werke hinzustießen. Mit Untergrundzeitungen und Flugblättern protestierten sie gegen den Krieg und machten auf das Unrecht und die Verbrechen aufmerksam. Im Mai 1942 verübte die Gruppe einen Brandanschlag auf die antisowjetische Propagandaausstellung „Das Sowjet-Paradies“ im Berliner Lustgarten und wurde aufgedeckt.
Und dann sind da noch die vielen – und doch viel zu wenigen – Frauen und Männer, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten und unter Lebensgefahr für sich selbst versucht haben, Jüdinnen und Juden zu retten. Seit Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ von 1993 ist einem größeren Publikum zumindest bekannt, dass es solche Menschen gegeben hat. In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist ihnen seit 2018 eine eigene Etage gewidmet.
Als erster Politiker erinnerte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in seiner Ansprache zum 20. Juli 2022 an eine solche Heldin: Hedwig Porschütz aus Berlin versteckte während des Krieges vier jüdische Frauen in ihrer winzigen Wohnung, von denen drei überlebten. Um sich und ihre Schützlinge finanziell über Wasser zu halten, arbeitete sie als Prostituierte und verkaufte Fleischmarken auf dem Schwarzmarkt. Im Oktober 1944 wurde sie wegen „Kriegswirtschaftsverbrechen und Hehlerei“ zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt, die sie bis zum Ende des Krieges verbüßte.
Die zuständige Berliner Behörde sah keinen Grund dafür, sie als Verfolgte des NS-Regimes anzuerkennen und ihren Einsatz für die Jüdinnen als rechtmäßigen Widerstand zu werten, „da solche Taten nicht geeignet sind, ein Regime zu unterhöhlen“, wie es in der Begründung hieß. Zudem lasse ihre Verurteilung von 1944 auf ein „niedriges sittliches und moralisches Niveau schließen“. Das Urteil des NS-Sondergerichts von 1944 blieb rechtsgültig – die Berliner Staatsanwaltschaft hob es erst im Juni 2011 auf. Da war Hedwig Porschütz schon lange tot: Sie starb 1977 verarmt in einem Altersheim.
»Gegen den Geist der Enge, der Gewalt und der Intoleranz«
Der Widerstand der sogenannten „kleinen Leute“ – der Arbeiterinnen und Arbeiter, Deserteure, Kriegsdienstverweigerer oder Judenhelfer – konnte das System nicht unterhöhlen. Selbst wenn sie es gewollt hätten, wären sie gar nicht in der Position gewesen, ein Attentat auf Hitler zu verüben oder dem Regime ernstlich zu schaden. Die Definitionen für Widerstand, die in der Bundesrepublik im Rahmen der Entschädigungsgesetze entwickelt worden waren, trafen darum auf die meisten von ihnen nicht zu. Und wer die Nazis als Kommunist bekämpft hatte, konnte sich im Westen ohnehin keine Hoffnungen machen, dafür gewürdigt oder wenigstens anerkannt zu werden.
Doch auch der 20. Juli 1944, der heute angeblich für den gesamten deutschen Widerstand steht, ist im Laufe der Zeit zurechtgebogen, beschnitten und geplündert worden: als Gründungslegende der Bundesrepublik und ihrer Armee; als kollektives Alibi für eine Vergangenheit, die wir uns lieber nicht so genau anschauen wollten; als Eintrittskarte in die Nato und Abgrenzung zur DDR; zur Verteufelung des Kommunismus und zur Legitimierung konservativer Politik. Übrig geblieben ist ein Mythos, dem die Botschaft abhandengekommen ist – das „Stauffenberg-Attentat“. Das selbstgerechte Narrativ der Konservativen, über alle Brüche, Irrwege und Katastrophen der vergangenen rund hundert Jahre hinweg stets auf der richtigen Seite gewesen zu sein, hat gesiegt, und die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 mussten als Kronzeugen dafür herhalten.
Dabei war gerade das Gegenteil, nämlich die Überwindung ideologischer Grenzen, das Besondere an dieser Verschwörung. Keiner der Beteiligten hätte den Plan für sich in Anspruch genommen, auch Stauffenberg nicht. Jeder wusste, dass sie nur vereint eine Chance haben würden. In der Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel gelang es diesen Menschen, aufeinander zuzugehen, obwohl sie politisch, menschlich und sozial vieles trennte. Von Julius Leber ist der Satz überliefert, er würde „auch mit dem Teufel“ paktieren, um das Naziregime zu stürzen. Am Ende verband ihn mit Stauffenberg eine enge Freundschaft, und der wiederum wünschte sich Leber als Reichskanzler statt den nationalkonservativen Carl Goerdeler.
Die Kreisauer um Helmuth von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg schließlich repräsentierten schon für sich eine Vielfalt unterschiedlicher Haltungen. Durch die Vernetzung mit Sozialisten und Sozialdemokraten, oppositionellen Militärs und der Goerdeler-Gruppe öffneten sie sich aber auch anderen Ansichten – und umgekehrt. Viele Punkte blieben strittig, im Grundsatz aber waren sich die Verschwörer einig, wie die vorbereitete Regierungserklärung zeigt, die der als Staatsoberhaupt vorgesehene Ludwig Beck nach geglücktem Putsch im Rundfunk verlesen hätte. Im Staatsstreichversuch vom 20. Juli 1944 kommt darum eine demokratische Qualität zum Ausdruck, die so etwas wie das unausgesprochene Vermächtnis der Menschen im Widerstand ist. Es könnte heute ein leuchtendes Beispiel sein, wäre es nicht von ungezählten politischen Vereinnahmungsversuchen verschüttet worden: die Bereitschaft zu Toleranz und Kompromiss.
Ein ganzes Leben lang, schrieb Helmuth James von Moltke kurz vor seiner Hinrichtung, habe er „gegen den Geist der Enge und der Gewalt, der Unfreiheit, der Überheblichkeit, […] der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft“, der in den Deutschen stecke und „seinen Ausdruck im nationalsozialistischen Staat gefunden hat“. Wie seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter starb er in der Hoffnung, dieser Geist werde eines Tages durch heilsamere Kräfte ersetzt oder zumindest gebannt.
Die Vereinnahmung des 20. Juli durch die Neue Rechte
Umso infamer ist es, dass inzwischen Rechte und Ultrarechte das Gedenken an den Widerstand gekapert haben und versuchen, ihn durch Umdeutung für ihre Zwecke zu vereinnahmen. So legte beispielsweise die Landtagsfraktion der AfD in Sachsen-Anhalt am 20. Juli 2016 einen Kranz am Denkmal für Henning von Tresckow in Magdeburg nieder. „Es lebe das heilige Deutschland“, stand auf der Schleife. In Hessen startete die AfD ihren Landtagswahlkampf 2018 ausgerechnet am 20. Juli mit einer Veranstaltung zum Thema „Widerstand heute? Von Graf Stauffenberg zum Grundgesetz Artikel 20 IV“. Und der AfD-Bundesvorstand erklärte zum 75. Jahrestag des Attentats 2019 in einer Pressemitteilung, die Partei gedenke der „mutigen Patrioten“, die unter Einsatz ihres Lebens „die Ehre unserer Nation zu retten versuchten“ und uns auch heute noch mahnten, „gegen jede Form von Extremismus und Diktatur aufzustehen“.
In Teilen der Neuen Rechten macht man sich nicht einmal mehr die Mühe, die demokratiefeindliche Haltung verbal zu verbergen, sondern beansprucht den 20. Juli 1944 gleich ganz direkt – wie die Identitäre Bewegung, die sich nach eigenen Angaben „im historischen Erbe eines Claus von Stauffenberg“ sieht: Die „Helden dieses Datums“ seien das leuchtende Beispiel, „sich nicht abfinden zu können, wenn die Not das Eigene bedroht“.
Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird umgedeutet in Widerstand gegen das als „Diktatur“ bezeichnete demokratische System. 2019 kursierte ein Sticker mit der Aufschrift „Merkel länger an der Macht als Hitler – und kein Stauffenberg in Sicht“. Auf Protestmärschen der Rechten ist inzwischen außerdem häufig die Fahne zu sehen, die der Widerstandskämpfer Josef Wirmer 1944 für ein Deutschland nach Hitler entworfen hatte. Bei Amazon wird sie unter der Bezeichnung „Deutscher Widerstand Stauffenberg“ angeboten. Die Umdeutung von Symbolen und die krude Verzerrung historischer Fakten gehören zum rhetorischen Standardrepertoire der Rechten, das mit wachsendem Selbstbewusstsein vorgetragen wird, weil sich der gesellschaftliche Diskurs insgesamt deutlich nach rechts verschoben hat. Die aktuelle „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung hat gezeigt, dass rechte und demokratiefeindliche Ansichten inzwischen auch in bürgerlichen Kreisen salonfähig sind – und die jüngsten Videos zu den Nazigesängen auf Sylt und im Internat Louisenlund haben dies eindrucksvoll bestätigt.
„Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann jederzeit wieder Zukunft werden“, hat Fritz Bauer einmal gesagt. Der politische Trend gibt ihm auf bedrückende Weise Recht – als eine Mahnung an alle, die das demokratische Erbe des 20. Juli wirklich verteidigen wollen.
Der Beitrag basiert auf „Das deutsche Alibi“, dem neuen Buch der Autorin, das soeben im Goldmann Verlag erschienen ist.