
Bild: Der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping in Peking, 17.10.2023 (IMAGO / SNA / Sergei Savostyanov / POOL Beijing China)
Noch vor zehn Jahren hielten die meisten amerikanischen und europäischen Regierungsvertreter die entstehende Partnerschaft zwischen China und Russland nicht für eine dauerhafte Angelegenheit. In den westlichen Hauptstädten war man der Meinung, dass die ostentative Annäherung des Kremls an China seit 2014 zum Scheitern verurteilt sei. Denn die Beziehungen zwischen den beiden eurasischen Giganten würden stets durch die wachsende Machtasymmetrie zugunsten Chinas, das anhaltende Misstrauen zwischen den beiden Nachbarn aufgrund einer Reihe historischer Streitigkeiten sowie die kulturelle Distanz zwischen den beiden Gesellschaften und ihren Eliten untergraben werden. Wie sehr der russische Präsident Wladimir Putin auch versuchen würde, die chinesische Führung zu umwerben, so das Argument, dürfte China seine Beziehungen zu den USA und ihren Verbündeten doch immer über seine symbolischen Beziehungen zu Russland stellen. Zugleich müsste Moskau ein aufstrebendes Peking fürchten und ein Gegengewicht im Westen suchen.
Selbst als sich China und Russland schon deutlich angenähert hatten, taten Regierungsvertreter in Washington dies ab. „Sie führen eine Vernunftehe“, sagte US-Außenminister Antony Blinken im März 2023 gegenüber US-Senatoren während des Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Moskau. „Ich bin mir nicht sicher, ob dies auf Überzeugung beruht. Russland ist in dieser Beziehung deutlich der Juniorpartner.“ Doch dies verkennt eine wichtige und düstere Realität: China und Russland sind heute so eng miteinander verbunden wie seit den 1950er Jahren nicht mehr.
Die engere Verbindung von Russland und China ist eine der wichtigsten geopolitischen Folgen von Putins Krieg gegen die Ukraine. Sie ist erheblich den bewussten Bemühungen von Xi und Putin zu verdanken, aber sie ist auch das Nebenprodukt der sich vertiefenden Spaltung zwischen beiden Ländern und dem Westen. Die westlichen Regierungen können diese Achse nicht wegwünschen und sie hoffen vergeblich darauf, dass der Kreml seine Vasallentreue gegenüber Peking aufgibt, oder dass es ihnen gelingen möge, einen Keil zwischen die beiden Mächte zu treiben. Stattdessen sollte sich der Westen auf eine längere Phase der zeitgleichen Konfrontation mit zwei riesigen, nuklear bewaffneten Mächten einstellen.
Eine »Partnerschaft ohne Grenzen« – aber doch mit Grenzen
In einer gemeinsamen Erklärung vom 4. Februar 2022 bezeichneten Putin und Xi die Beziehungen zwischen ihren Ländern als „Partnerschaft ohne Grenzen“. Dieser Satz erregte im Westen große Aufmerksamkeit, insbesondere nachdem Russland nur 20 Tage später in die Ukraine einmarschierte. Doch die sich vertiefende Partnerschaft wurde nicht erst im Februar 2022 begründet. Vielmehr haben sich Moskau und Peking nach der bitteren Entfremdung während der chinesisch-sowjetischen Spaltung in den 1960er bis 1980er Jahren aus mehreren pragmatischen Gründen angenähert: Beide Seiten wollten ihren territorialen Konflikt der Vergangenheit angehören lassen und hatten daher bis 2006 ihre 2615 Meilen lange Grenze endlich vollständig abgesteckt. Auch die wirtschaftliche Komplementarität trieb sie zusammen: Russland verfügt über eine Fülle natürlicher Ressourcen, braucht aber Technologie und Geld, während China natürliche Ressourcen benötigt, aber über Geld und Technologie verfügt, die es weitergeben kann. Und als Russland mit Putin an der Spitze seit 2000 immer autoritärer wurde, taten sich Peking und Moskau im UN-Sicherheitsrat zusammen und nutzten ihre Macht als ständige Mitglieder, um sich gegen viele der von westlichen Ländern vertretenen Positionen und Normen zu wehren. Das galt nicht zuletzt für Sanktionen gegen autoritäre Regime und den Druck, der unter Führung der USA auf Krisengebiete wie Syrien ausgeübt wurde.
China und Russland hegen zudem seit langem ein ähnliches Misstrauen gegenüber den USA. In ihr sehen sie einen ideologiegesteuerten globalen Hegemon, der Peking und Moskau daran zu hindern versuche, ihren rechtmäßigen Platz an der Spitze der Weltordnung einzunehmen, und, schlimmer noch, ihre Regime stürzen wolle. Die ideologische und politische Kompatibilität zwischen Chinas Einparteienstaat und einem zunehmend autoritären Russland hat ebenfalls zugenommen. Peking und Moskau haben es wohlweislich unterlassen, einander für die Unterdrückung im jeweils anderen Land und die Behandlung nationaler Minderheiten zu kritisieren – was von westlichen Gesprächspartnern immer wieder angesprochen wird.
Die wachsende Annäherung zwischen Russland und China ist aber vor allem eines der wichtigsten Ergebnisse des Krieges in der Ukraine – und zwar bereits seit 2014. Nach der Annexion der Krim wandte sich der Kreml dem Osten zu, um die Auswirkungen der westlichen Wirtschaftssanktionen auszugleichen und die russische Wirtschaft gegenüber dem westlichen Druck widerstandsfähiger zu machen. Russland, dessen Rüstungsindustrie die mageren 1990er Jahre vor allem durch den Verkauf von Waffen an China überlebte, steigerte seine Exporte von ausgefeilteren Waffen an seinen südlichen Nachbarn, darunter S-400-Boden-Luft-Raketen und Su-35-Kampfjets, und investierte in den Ausbau von Pipelines, Eisenbahnen, Häfen und Grenzbrücken, die nun russische Bodenschätze auf den chinesischen Markt und chinesische Importe nach Russland bringen.
Infolgedessen stieg der Anteil des bilateralen Handels zwischen den beiden Ländern am Gesamthandel Russlands von zehn Prozent vor der Annexion der Krim auf 18 Prozent vor Putins Großangriff auf die Ukraine im Jahr 2022. Die EU blieb jedoch ein wichtigerer Partner für Russland, auf den 38 Prozent des russischen Handels entfielen. Bei China wiederum entfielen im Jahr 2022 nur 2,5 Prozent seines Handels auf Russland, das damit gerade noch unter den zehn wichtigsten Handelspartnern der Volksrepublik rangierte. China betrachtet seine Handels-, Finanz- und Technologiebeziehungen zu den USA und Europa als weitaus wichtiger für die Dynamik seiner Wirtschaft als die entsprechenden Beziehungen zu Russland.
Dies erklärt, warum sich China nach Putins Einmarsch in der Ukraine – mit dem Peking vielen Berichten zufolge nicht gerechnet hatte – nicht einmischen wollte. Es hielt die Beziehungen zu Russland aufrecht, nutzte die Gelegenheit, billiges russisches Öl zu kaufen und kritisierte die russische Aggression nicht direkt. Gleichzeitig lieferte es Moskau keine militärische Hilfe, abgesehen von gelegentlichen kleinen Ladungen von Schießpulver und anderem Kriegsmaterial, unterstützte offiziell die territoriale Integrität der Ukraine und verstieß nicht in grober Weise gegen westliche Sanktionen – selbst wenn mehrere chinesische Unternehmen Anfang 2024 von den USA und der EU mit Sanktionen belegt wurden, weil sie verbotene Waren nach Russland geliefert hatten.
Der Ukrainekrieg als Quantensprung
Trotz der anfänglich vorsichtigen Haltung Pekings deuten die meisten verfügbaren Daten darauf hin, dass sich die Beziehungen zwischen China und Russland in den zwei Jahren seit der Invasion deutlich verbessert haben. Im Jahr 2022 wuchs der bilaterale Handel um 36 Prozent auf 190 Mrd. Dollar und übertraf bereits im Folgejahr deutlich die 200-Mrd.-Dollar-Marke, die Xi und Putin ursprünglich bis 2025 erreicht haben wollten. China hat Energierohstoffe im Wert von 129 Mrd. Dollar importiert – vor allem Öl, Pipelinegas, Flüssigerdgas und Kohle –, die 73 Prozent der russischen Exporte nach China ausmachen, sowie Metalle, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Holz. Gleichzeitig hat China Waren im Wert von 111 Mrd. Dollar nach Russland exportiert, vor allem Industrieausrüstung (rund 23 Prozent der Exporte), Autos (20 Prozent) und Unterhaltungselektronik (15 Prozent).
Da der Westen Exportkontrollen erlassen hat und verstärkt auf die Durchsetzung von Sanktionen achtet, bleibt Russland langfristig keine andere Wahl, als auf den Import von chinesischen Industrie- und Konsumgütern umzusteigen. So vervierfachte sich 2023 der Absatz chinesischer Autos im Vergleich zum Vorjahr nahezu, wodurch Russland zum größten Überseemarkt für chinesische PKW mit Verbrennungsmotor avancierte. Verborgen in diesen Exportstatistiken sind aber auch chinesische Produkte, die direkt den russischen Militärapparat unterstützen, darunter zunehmend Chips, optische Geräte und Drohnen.
Deutlich näher gekommen sind sich China und Russland zudem im entscheidenden Bereich der sicherheitspolitischen und militärischen Zusammenarbeit. Selbst während des russischen Angriffskrieges hat die chinesische Volksbefreiungsarmee die gemeinsamen Aktivitäten mit dem russischen Militär erhöht. Im September 2022 beispielsweise führte Russland trotz erheblicher Probleme an den Fronten in der Ukraine eine strategische Übung in seinem Fernen Osten durch, zu der China 2000 Soldaten entsandte. Einige Monate später, im Dezember, hielten die chinesische und die russische Marine ihre jährliche Übung ab, dieses Mal im Ostchinesischen Meer. Dazu kamen 2023 drei Runden von gemeinsamen Marineübungen sowie 2022 und 2023 vier gemeinsame Patrouillen in Asien mit nuklear bewaffneten Bombern. Diesen Aktivitäten fehlt es zwar noch deutlich an jenem Umfang und jener Tiefe, die die USA und ihre Verbündeten in Europa und Asien bei ihren gemeinsamen Übungen erreichen, aber das chinesische und russische Militär vertiefen zweifelsohne ihre Interoperabilität.
Diese Annäherung spiegelt sich auch in der Diplomatie wider. Seit Beginn des Ukrainekrieges haben die persönlichen Treffen zwischen russischen und chinesischen Elitenvertretern deutlich zugenommen. Moskau und Peking haben schon früher zusammengearbeitet, aber persönliche Verbindungen waren selten, mit Ausnahme jener zwischen Putin und Xi. Jetzt haben die beiden Präsidenten ihre Spitzenleute ermutigt, zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig kennenzulernen. Seit Xis Staatsbesuch in Russland im März 2023 sind der russische Premierminister Michail Mischustin und hochrangige Mitglieder seines Teams zweimal nach China gereist, zusätzlich zu Putins eigener Reise nach Peking im Oktober des Jahres. Während des gesamten Jahres 2023 pendelten viele hochrangige russische Regierungsmitglieder und Chefs der größten staatlichen und privaten Unternehmen nach China und wieder zurück. Auch hochrangige chinesische Führungskräfte – vor allem aus dem Militär- und Sicherheitsbereich – reisten nach Russland. Im April dieses Jahres weilte der russische Außenminister Sergej Lawrow zu Gesprächen mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi in Peking. Es ist bemerkenswert, dass dieser Verkehr meist einseitig ist: Hochrangige russische Regierungsvertreter und Wirtschaftsführer reisen viel häufiger nach China als ihre chinesischen Kollegen in die Gegenrichtung – ein klares Zeichen dafür, wie dringend Russland China braucht. Die einzige Ausnahme ist der Bereich der militärischen Sicherheit, wo die Besuche hochrangiger Regierungsvertreter tendenziell symmetrisch sind und auf Gegenseitigkeit beruhen.
Für Mitglieder der russischen Eliten werden die Verbindungen zu China auch über die beruflichen Beziehungen hinaus immer wichtiger, wenn es darum geht, die Zukunft für sich und ihre Nachkommen zu gestalten. Die meisten von ihnen unterliegen westlichen Sanktionen und können daher weder ihr Vermögen im Westen behalten noch ihre Kinder zur Ausbildung in die USA oder nach Europa schicken. Zugleich haben die Spitzenuniversitäten in China und Hongkong inzwischen einen viel besseren Ruf als vergleichbare Einrichtungen in Russland. Nach allem, was man hört, lernen nun erstmals in der russischen Geschichte Mitglieder der Elite und ihre Kinder Mandarin.
Die freundlicheren Einstellungen zu China spiegeln sich auch in Meinungsumfragen wider, etwa in einer Erhebung der Carnegie-Stiftung und des Lewada-Zentrums, einem unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstitut, von Ende 2023. So sahen 85 Prozent der Russen China positiv, nur sechs Prozent hatten eine negative Meinung über das Land. Fast drei Viertel glauben nicht, dass China eine Bedrohung für sie darstellt. Und mehr als die Hälfte möchte, dass ihre Kinder Chinesisch lernen – eine erstaunliche Entwicklung. Mehr als 80 Prozent der Menschen wollen immer noch, dass ihre Kinder Englisch lernen, aber die Zahl derer, die sich für Mandarin interessieren, steigt rapide an. Diese positive Einstellung der Bevölkerung zu China hat es dem Kreml ermöglicht, enger als je zuvor auf wirtschaftlicher, technologischer und politischer Ebene mit Peking zu kooperieren.
Ein Freund in der Not
Nach der umfassenden Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 ist der Krieg zum bestimmenden Prinzip der russischen Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik geworden. Der Kreml bewertet nun jede Beziehung zu einer ausländischen Macht durch die Linse dreier wesentlicher Überlegungen: ob diese Beziehung Russland auf dem Schlachtfeld in der Ukraine helfen kann, ob sie dazu beitragen kann, die russische Wirtschaft zu stützen und Sanktionen zu umgehen, und ob sie es Moskau ermöglicht, gegen den Westen zurückzuschlagen und die USA und ihre Verbündeten für die Unterstützung Kiews zu bestrafen.
Die Beziehung zu China erfüllt eindeutig alle drei Kriterien. Sie hat es Putin in einem hohen Maße ermöglicht, seine Aggression gegen die Ukraine fortzusetzen. Peking leistet Moskau zwar keine direkte militärische Hilfe, aber Chinas indirekte Unterstützung für die russischen Kriegsanstrengungen ist unverzichtbar. Sie umfasst die Lieferung kommerzieller Überwachungsdrohnen, chinesischer Computerchips und anderer wichtiger Komponenten, die von der russischen Rüstungsindustrie verwendet werden. Auf wirtschaftlicher Ebene ist Putins Kriegskasse in hohem Maße von den Einnahmen aus russischen Exporten nach China abhängig. Der Zahlungsverkehr mit dem chinesischen Yuan hält das russische Finanzsystem am Laufen, und importierte Autos, Elektronik und andere Konsumgüter sorgen in Russland für gut gefüllte Geschäfte und Ruhe in der Bevölkerung.
Noch aufschlussreicher ist jedoch die Entscheidung Russlands, sich fest an die Seite Chinas in dessen geopolitischem Wettstreit mit den USA zu stellen. Vor dem Krieg mahnten einige Stimmen im Kreml insgeheim zur Vorsicht und rieten davon ab, China blindlings in die Arme zu laufen. Die Zersplitterung der globalen Ordnung, so warnten Skeptiker, könnte dazu führen, dass China zum Hegemon in seiner Nachbarschaft und zur mächtigsten Macht in Eurasien aufsteigt – und Russland noch viele Jahre lang die Rolle eines unterwürfigen Vasallen spielt. Daher versuchte Russland vor dem 24. Februar, seine Autonomie zu bewahren, indem es zumindest ein gewisses Gleichgewicht in seinen Beziehungen zum US-geführten Westen und zu China aufrechterhielt, obwohl der antiwestliche Schwenk in Moskaus Politik nach Putins formeller Rückkehr ins Präsidentenamt im Jahr 2012 immer deutlicher wurde.
Der vollumfassende Einmarsch in die Ukraine hat dieses prekäre Gleichgewicht ein für alle Mal zerstört. Da der Westen dabei hilft, russische Soldaten zu töten, und einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führt, vermag der Kreml die Beziehungen zu den USA und ihren Partnern in Europa und Asien nicht länger aufrechtzuerhalten. Während des gesamten Krieges hat Putin immer wieder betont, der wahre Feind Moskaus sei nicht die Ukraine, sondern der Westen, der Russland seiner Meinung nach schwächen und zerstückeln wolle. Also unterstützt Russland China dabei, die globale Vorherrschaft der USA zu untergraben, weil das den Sieg im Krieg gegen den Westen, den der Kreml zu führen glaubt, schneller herbeiführen kann. Dieser Gesinnungswandel erklärt Moskaus Wunsch, die militärische und technologische Zusammenarbeit mit Peking zu intensivieren, ebenso wie Chinas wachsende Einflussnahme in den bilateralen Beziehungen – Russland kann die chinesischen Ersuchen um die Weitergabe sensibler Technologie kaum noch ablehnen. Die Einbindung seiner Wirtschaft, Kompetenzen und Militärtechnologie in eine Pax Sinica – eine von China geführte Ordnung, in deren geografischem Zentrum Eurasien steht – ist für Russland die einzige Möglichkeit, die Konfrontation mit dem Westen aufrechtzuerhalten.
Putins Russland als Chinas Vasall
Es überrascht nicht, dass diese Verschiebung die charakteristische Asymmetrie in den chinesisch-russischen Beziehungen nur noch verschärft hat. Als größere und technologisch fortschrittlichere Volkswirtschaft, die pragmatische Beziehungen zum Westen unterhält, verfügt China über eine stärkere Verhandlungsposition und viel mehr Möglichkeiten als Russland, und sein Einfluss auf seinen nördlichen Nachbarn wird immer größer. Russland ist dabei, sich China gegenüber in eine Vasallenrolle zu begeben. Wenn es so weitergeht, wird China in ein paar Jahren die Bedingungen der wirtschaftlichen, technologischen und regionalen Zusammenarbeit mit Moskau diktieren. Der Kreml ist nicht blind für diese Aussicht, aber er hat keine andere Wahl, solange Putin chinesische Unterstützung für seinen Krieg in der Ukraine braucht, der zu einer Obsession geworden ist.
Allerdings bedeutet der Vasallenstatus gegenüber China nicht unbedingt eine vollständige und bedingungslose Unterordnung. Selbst Nordkorea, das in fast allen Aspekten seiner Sicherheit und Wirtschaft von Peking abhängig ist, verfügt über einen gewissen Handlungsspielraum, wenn es um seinen riesigen Nachbarn geht. Pjöngjang unternimmt sogar manchmal Schritte, die Peking verärgern – beispielsweise, als der nordkoreanische Führer Kim Jong Un 2017 die Ermordung seines Halbbruders Kim Jong Nam anordnete, der de facto unter chinesischem Schutz stand. Russland ist aber viel mächtiger als Nordkorea. So sehr es die chinesische Unterstützung auch braucht, wird es nicht einfach zu Chinas ruhigem und gehorsamem Diener werden.
Putin rationalisiert seine verhängnisvollen Entscheidungen gerne mit historischen Analogien. Ende vergangenen Jahres verwies er etwa auf den Fürsten Alexander Newski, der im 13. Jahrhundert mehrere Fürstentümer, die heute in Russland, Belarus und der Ukraine liegen, als Vasall des Mongolenreichs regierte, zu dem damals ironischerweise auch China gehörte. Newski wird in der russischen Geschichte als Führer verehrt, der mehrere Angriffe aus dem Westen zurückschlug und insbesondere 1242 dem Livländischen Orden eine Niederlage beibrachte, als dieser den westlichen Katholizismus in Regionen verbreiten wollte, in denen die östliche Orthodoxie vorherrschte. Putin sieht sich in den Fußstapfen Newskis, der dem Westen die Stirn bot, während er dem Osten die Treue hielt. „Fürst Alexander Newski reiste zur Horde, verbeugte sich vor dem Khan und erwirkte ein Edikt des Khans für seine Herrschaft, vor allem um der Invasion des Westens wirksam widerstehen zu können“, sagte Putin im November 2023. „Weil die Horde, so arrogant und grausam sie auch war, nie unseren größten Schatz bedroht hat – unsere Sprache, unsere Traditionen und unsere Kultur, etwas, das die westlichen Eroberer unbedingt unterdrücken wollten.“ Die Parallelen sind eindeutig: Auch der heutige russische Herrscher ist bereit, den Vasallenstatus gegenüber einer Macht zu tolerieren, die die russische Identität nicht bedroht und sich nicht zu sehr in die inneren Angelegenheiten einmischt, um sich gegen den Westen zu wehren, den Putin und seine Ideologen als dekadent und als tödliche Bedrohung für die traditionellen russischen Werte präsentieren.
Biden wie Trump: Pekings enttäuschte Hoffnungen
Auch China sieht Russland inzwischen als Teil einer grundlegenden geopolitischen Neuausrichtung. Noch Anfang 2021 hatte Peking Grund zur Hoffnung, dass seine Beziehungen zu den USA – die wichtigsten bilateralen Beziehungen des 21. Jahrhunderts – nach der disruptiven Präsidentschaft von Donald Trump wieder auf einen vorhersehbaren Kurs einschwenken würden. Obwohl China keine umfassende Entspannung erwarten konnte, hoffte es auf eine gesündere Mischung aus Wettbewerb und Zusammenarbeit zwischen den beiden mächtigsten Ländern der Welt. Chinesische Entscheidungsträger kannten nicht nur das Team erfahrener Außenpolitiker im neuen Weißen Haus, sondern Xi hatte auch eine persönliche Beziehung zu Biden, die auf den Besuch des damaligen Vizepräsidenten in China im Jahr 2011 zurückging.
Pekings Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht, als Biden im Wesentlichen an Trumps aggressiver China-Politik festhielt, die eine Stärkung der militärischen Partnerschaften im indopazifischen Raum und eine möglichst weitgehende Einschränkung des chinesischen Zugangs zu US-Spitzentechnologien vorsah. Unvorhergesehene Entwicklungen wie der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan im Jahr 2022 haben Peking außerdem davon überzeugt, dass sich die Konfrontation zwischen China und den USA verschärfen wird, unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt.
Diese Erkenntnis prägt Chinas Haltung zu Russland. Nach Putins Einmarsch in der Ukraine vergewisserte sich Peking über die roten Linien der USA und versuchte, diese möglichst nicht zu überschreiten. Doch nachdem Biden im Oktober 2022 weitreichende US-Exportkontrollen gegen China genehmigt hatte, stellte Xi fest, dass ein solch vorsichtiger Ansatz Washington nicht von Versuchen abhalten wird, Peking unter Druck zu setzen. Putin fallenzulassen, war für China nie eine Option, da es eine mögliche Instabilität in Russland und die Aussicht auf ein prowestliches Regime im Kreml fürchtet, sollte Putin die politische Bühne abrupt verlassen. Und wenn eine anhaltende Konfrontation zwischen China und den USA schon unvermeidlich ist, braucht Peking alle Partner, die es bekommen kann, da Washington mit seinem großen Netzwerk an einfallsreichen Verbündeten einen enormen Vorteil genießt.
China und Russland – Rücken an Rücken in Eurasien
Keine andere Macht kann China so viel bieten wie Russland, vor allem gerade jetzt. Russlands Reichtum an natürlichen Ressourcen – nicht nur Öl und Gas, sondern auch Metalle, Uran, Düngemittel, Holz, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Wasser – kann die chinesische Wirtschaft am Laufen halten. Das Problem für Russland ist natürlich, dass dieser Handel mit China zunehmend zu Preisen stattfinden wird, die von Peking diktiert und in Yuan bezahlt werden müssen. Unterdessen erhöht dieser Strom russischer Ressourcen Chinas Energie- und Nahrungsmittelsicherheit und verringert gleichzeitig seine Abhängigkeit von gefährdeten Seewegen wie der Straße von Malakka, in der die US-Marine patrouilliert. Außerdem wird die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Industrie durch die Senkung der Energiekosten verbessert. Der russische Markt ist zwar viel kleiner als der der USA oder der EU, aber immer noch von beträchtlicher Größe und zunehmend hungrig nach chinesischen Produkten. Angesichts der instabilen Inlandsnachfrage in China und des Rückgangs der Exporte in die traditionellen Märkte des Westens wird der Absatz in Russland für chinesische Hersteller immer wichtiger. Da zudem 70 Prozent des chinesischen Handels mit Russland in Yuan abgewickelt werden, kann Peking die Handelsbeziehungen als Vorzeigeprojekt für die Internationalisierung seiner Währung betrachten. Tatsächlich erreichte der Anteil des Yuan am Welthandel laut SWIFT-Daten im November 2023 mit 4,61 Prozent seinen bisher höchsten Stand.
Russland verfügt auch über einige fortschrittliche Militärtechnologien, die China trotz der insgesamt höher entwickelten chinesischen Rüstungsproduktion noch benötigt. Dazu gehören S-500-Boden-Luft-Raketen, Triebwerke für moderne Kampfflugzeuge, Instrumente zur nuklearen Abschreckung wie Frühwarnsysteme, getarnte U-Boote und Technologien für die Unterwasserkriegsführung. Trotz eines Exodus an fähigen Köpfen nach der Invasion der Ukraine verfügt Russland immer noch über Kompetenz, vor allem in der Informationstechnologie, die China gerne anzapfen möchte.
Die militärische Zusammenarbeit mit Russland ist ein wichtiger Vorteil für China. Beide Länder können ihren Austausch von Geheimdienstinformationen noch intensivieren, gemeinsame Cyberoperationen durchführen, um sensible westliche Regierungs- oder Geschäftsdaten zu stehlen, und ihre Einflussnahme koordinieren, einschließlich bei Desinformationskampagnen. Bislang haben Russland und China an der Desinformationsfront nicht wirklich zusammengearbeitet und stattdessen parallel ähnliche Narrative verbreitet – doch mit der zunehmenden Annäherung könnte ein gemeinsamer Ansatz durchaus Gestalt annehmen.
Moskau und Peking wollen kein formelles Militärbündnis unterzeichnen, wie hochrangige Vertreter beider Seiten mehrfach bekräftigt haben. Keiner von beiden möchte rechtlich verpflichtet sein, für den anderen zu kämpfen, und in einen unnötigen Konflikt hineingezogen werden. Dennoch bereitet es Washington großes Kopfzerbrechen, dass nun zwei große, freundschaftlich verbundene Atommächte Rücken an Rücken auf der riesigen eurasischen Landmasse stehen. Angesichts des Zusammenbruchs globaler nuklearer Rüstungskontrollsysteme und der raschen nuklearen Aufrüstung Chinas stehen die US-Strategen vor schwierigen Entscheidungen über die Ressourcenverteilung: Die USA müssen eine strategische Nuklearstreitmacht entwickeln, die zwei verpartnerte Rivalen mit riesigen Atomwaffenarsenalen zur gleichen Zeit abschrecken kann. Ein faktischer Nichtangriffspakt zwischen China und Russland und die gemeinsame Wahrnehmung der USA als Feind könnten zu einer verstärkten Koordinierung zwischen dem europäischen und dem asiatischen Kriegsschauplatz führen, was die Ressourcen und die Aufmerksamkeit Washingtons weiter beanspruchen würde. Wenn China beispielsweise beschließt, in der Straße von Taiwan vorzurücken, könnte Russland gleichzeitig eine provokative militärische Großübung in Europa veranstalten und damit China helfen, indem es die Reaktionsfähigkeit der USA belastet.
Zynismus allerorten
„Es vollziehen sich Veränderungen, wie wir sie seit hundert Jahren nicht mehr erlebt haben. Lassen Sie uns diese Veränderungen gemeinsam vorantreiben“, sagte Xi zu Putin beim Abschied am Ende seines Staatsbesuchs im März 2023. Der russische Staatschef stimmte eifrig zu. Pekings und Moskaus Handlungen treiben in der Tat einige tiefgreifende Veränderungen in der globalen Ordnung voran, aber diese beruhen nicht unbedingt auf sorgfältigen strategischen Plänen und gut formulierten Visionen. Putins antiwestliche Rhetorik, mit der er den Einmarsch in die Ukraine sowohl als Rebellion gegen die US-Hegemonie und „neokoloniale Praktiken“ erklärt als auch als Versuch, eine „gerechtere multipolare Weltordnung“ zu schaffen, überzeugt die Länder des vielfältigen Globalen Südens – eine Gruppe, die Putin großspurig zu vertreten vorgibt – nicht. Viele von ihnen betrachten Russlands eklatante Missachtung der Souveränität der Ukraine und des Völkerrechts mit Argwohn. Das Problem für den Westen besteht darin, dass viele Länder dessen Führungsmacht, die USA, für ebenso zynisch halten wie Russland – und zwar aufgrund von Washingtons bewegtem Erbe des Interventionismus und seiner selektiven Achtung des Völkerrechts. Die jüngste Unterstützung der USA und Europas für Israel in seinem Krieg im Gazastreifen, der als Verstoß gegen internationale Normen angesehen wird, hat diese Wahrnehmung nur noch verstärkt.
Pekings Heuchelei und die Kluft zwischen seiner Rhetorik und seinen Taten sind ebenfalls unübersehbar. Chinas energische Durchsetzung seiner maritimen Ansprüche im Südchinesischen Meer gegenüber den Philippinen beispielsweise steht im Widerspruch zu seinen Behauptungen, es respektiere das Völkerrecht, einschließlich des UN-Seerechtsübereinkommens, und wolle Territorialstreitigkeiten mit seinen Nachbarn mit friedlichen Mitteln lösen. Xi und Putin berufen sich gern auf die „Unteilbarkeit der Sicherheit“, wie sie es in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 4. Februar 2022 taten, um die USA aufzufordern, die Sicherheitsbedenken anderer ernst zu nehmen. Aber dieses scheinbar prinzipielle Beharren wird durch Russlands völlige Missachtung der Sicherheitsbedenken der Ukraine und Chinas Schikanen gegenüber seinen Nachbarn Lügen gestraft.
Die Grenzen westlicher Zwangsgewalt
Hohle Worte ändern nichts daran, wie die reale Welt funktioniert. Auch die viel gepriesene Ausweitung von Organisationen wie der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit oder der BRICS-Gruppe ändert die internationale Ordnung nicht von selbst. Was die Ordnung wirklich und dauerhaft beeinflusst hat, ist der Umstand, dass Pekings und Moskaus Handeln in den vergangenen zwei Jahren deutlich die Grenzen westlicher Zwangsgewalt aufgezeigt hat – und Ländern, die sich gegen die Abhängigkeit von westlicher Technologie und dem US-dominierten Finanzsystem absichern wollen, eine realistische Alternative bietet.
Russland ist auf dem Weg, die fast vollständige Abhängigkeit vom Westen durch eine Abhängigkeit von China zu ersetzen; es hat sich über Wasser gehalten und konnte einen ausgedehnten Krieg gegen ein großes Land führen, das von der Nato unterstützt wird. Andere Länder, die vor der Abhängigkeit vom Westen zurückschreckten, sehen nun, wie Peking als Quelle für Technologie und Zahlungsausgleichsmechanismen sowie als riesiger Markt für Rohstoffproduzenten dienen kann. Darin besteht der wichtigste Beitrag der chinesisch-russischen Annäherung zur Neugestaltung der globalen Ordnung. Die Vertiefung dieser Partnerschaft ist in der Tat eine der folgenreichsten Konsequenzen aus der ukrainischen Tragödie. Moskau und Peking werden vielleicht nie ein formelles Bündnis unterzeichnen, aber die Entwicklung ihrer Beziehungen in den kommenden Jahren wird die Welt zunehmend beeinflussen und den Westen herausfordern.
Um sich dieser Entwicklung zu stellen, sollten westliche Politiker die Vorstellung aufgeben, einen Keil zwischen Peking und Moskau treiben zu können. Unter Trump erwog der Nationale Sicherheitsrat die Idee eines „Umgekehrten-Kissinger“-Ansatzes zur Einbindung Russlands, des schwächeren Partners, jedoch ohne Erfolg. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hatte im Kalten Krieg das kommunistische China umworben, indem er Peking eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA anbot. Doch können US-Vertreter derzeit weder Moskau noch Peking ein solches Angebot machen. Jegliche Hoffnung, die beiden Länder voneinander zu lösen, ist daher nicht mehr als Wunschdenken. Sicherlich sind die chinesisch-russischen Beziehungen nicht unbelastet und die bestehenden Spannungen könnten sich noch verschärfen, wenn China selbstbewusster wird und Russland herumzukommandieren beginnt – was kein Herrscher in Moskau so leicht hinnehmen würde. Bislang haben Peking und Moskau jedoch eine bemerkenswerte Fähigkeit bewiesen, ihre Differenzen zu bewältigen.
Gleichgewicht zwischen Abschreckung und Beruhigung
Wenn aber das Tandem China-Russland von Dauer sein wird, müssen die westlichen Staats- und Regierungschefs eine langfristige Strategie entwickeln: Sie müssen zur Friedenssicherung beitragen, indem sie alle Konsequenzen eines gleichzeitigen Wettbewerbs mit China und Russland berücksichtigen.
Zunächst einmal muss der Westen gegenüber Moskau und Peking das richtige Gleichgewicht zwischen Abschreckung und Beruhigung finden, um gefährliche, eskalierende Situationen zu vermeiden, die durch Unfälle, Fehleinschätzungen und Missverständnisse entstehen könnten. Die westlichen Regierungen sollten die Auswirkungen der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen, die sie gegenüber Russland und China ergriffen haben, bedenken und sich vor Augen führen, wie Vergeltungsmaßnahmen das Gefüge der Globalisierung weiter aushöhlen können. Und obschon sie russische und chinesische Desinformation und Versuche, das Funktionieren internationaler Institutionen zu untergraben, nicht dulden dürfen, sollten die westlichen Länder versuchen, einige Institutionen, wie die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen, wieder funktionsfähig zu machen, auch wenn Peking und Moskau mit an Bord sind. Denn eines steht fest: Wenn es künftig darum geht, die Sicherheit Europas und Asiens zu schützen, den Klimawandel einzudämmen, neue disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz zu beherrschen und die Herausforderungen der globalen Finanzarchitektur zu bewältigen, werden westliche Entscheidungsträger mit einer immer entschlosseneren chinesisch-russischen Achse rechnen müssen.
Deutsche Erstveröffentlichung eines Textes des Autors, der unter dem Titel „Putin and Xi’s Unholy Alliance. Why the West Won’t Be Able to Drive a Wedge Between Russia and China“ zuerst am 9.4.2024 auf foreignaffairs.com erschienen ist. Die Übersetzung stammt von Steffen Vogel.