Ausgabe November 2024

Vom KZ zum Luxushotel: Die Banalisierung der Gedenkkultur

Auf der Insel Mamula wurde ein ehemaliges italienischen Konzentrationslager in ein Luxushotel umgewandelt, 6.11.2023 (IMAGO / Pond5 Images)

Bild: Auf der Insel Mamula wurde ein ehemaliges italienischen Konzentrationslager in ein Luxushotel umgewandelt, 6.11.2023 (IMAGO / Pond5 Images)

„Die Zukunft wird uns nicht für das Vergessen verurteilen, sondern dafür, dass wir uns nur allzu gut erinnern und dennoch nicht im Einklang mit diesen Erinnerungen handeln“, schrieb der deutsche Kulturkritiker Andreas Huyssen Mitte der 1990er Jahre. Dreißig Jahre später sind seine Worte immer noch aktuell, aber das Versprechen des „Nie wieder“ – eine Verpflichtung, die die Weltgemeinschaft nach dem Holocaust eingegangen ist –, droht weitgehend unerfüllt zu bleiben. Die meisten Zeitzeugen sind verstorben und das kommunikative Gedächtnis existiert nur noch in Form von Memoiren und, frei interpretiert, in der Massenkultur. Daher obliegt die Pflege dieses Versprechens nun hauptsächlich den Gedenkstätten, die aber nicht nur kollektive und gesammelte Erinnerungen widerspiegeln, sondern auch Ideale, Mythen und ideologische Bedürfnisse der Gesellschaften, von denen und für die sie entworfen wurden. Doch im Kapitalismus tritt eine weitere Dimension hinzu: das Bestreben von Einzelpersonen und Gruppen, die hinter den Erinnerungsstätten stehen, sie für kommerziellen Profit und unbeschwerte Unterhaltung zu nutzen, was natürlich die Unantastbarkeit und Bedeutung dieser historischen Orte ernsthaft in Gefahr bringt.

Historische Stätten zu erhalten, die mit menschlichem Leid verbunden sind, ist eine Verantwortung, die über das bloße Gedenken hinausgeht. Denn ehemalige Konzentrationslager und Orte von Massenerschießungen sind wichtige Orientierungspunkte unserer kollektiven Geschichte und zeugen von den Abgründen menschlicher Grausamkeit, aber auch von der Widerstandsfähigkeit derer, die sie ertragen haben. Jedoch sehen wir in verschiedenen Teilen Europas, wie die zeitlose moralische Verpflichtung, das kollektive Gedächtnis zu bewahren, missachtet wird. Das resultiert aus anhaltenden Erinnerungskämpfen, kapitalistischen Profitinteressen und zuweilen bloßer Nachlässigkeit. Doch der Preis für eine solche Gleichgültigkeit ist hoch. Neonazis beschmieren bereits überall in Europa die Wände mit hasserfüllten Graffiti und marschieren durch die Straßen von Dresden, Wien, Budapest und Warschau, während italienische Regierungspolitiker das Wort „Holocaust“ missbrauchen, um italienische Faschisten zu ehren, die 1945 in Triest von jugoslawischen Partisanen getötet wurden.

Eines der erschreckendsten Beispiele, wie das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs missachtet wird, ist die Umwandlung des ehemaligen italienischen Konzentrationslagers auf der Insel Mamula (die heute zu Montenegro gehört) in ein „einzigartiges Hotel für Liebhaber des Lebens, von Natur und Erfahrungen“[1] – ein ehrgeiziges Projekt, das von Orascom gesponsert wird. Hinter dem in der Schweiz ansässigen Bauunternehmen stehen die ägyptischen Milliardäre Sawiris, deren Hotelprojekte bereits einige unbequeme Fragen zu Umweltschäden und den Rechten von migrantischen Arbeitern aufgeworfen haben.[2] Aber dieser Ruf war dem Staat Montenegro keine Warnung. Dieses Projekt sei das kleinere Übel, so Olivera Brajovic, die Leiterin der montenegrinischen Direktion für Tourismusentwicklung. Andernfalls, so Brajovic, wäre die Stätte „dem Verfall preisgegeben“ worden.[3] Das Übel scheint jedoch auch finanziell vorteilhaft zu sein. Hingegen gelten die Erinnerungen an feuchte Gefängniszellen, die in luxuriöse Hotelzimmer umgewandelt wurden, nun als alte Geschichte.

„Unser Ziel war es, ein ganzheitliches Resort zu schaffen, in dem alles wie aus einem Guss aussieht – die öffentlichen Räume, die Gästezimmer, das Alte und das Neue – unter Verwendung der gleichen Materialien, der gleichen Formen und der gleichen Farbpalette“, erklärt Piotr Wisniewski, Mitbegründer von We Studio, der von Orascom beauftragt wurde, „die Ruinen“ in sexy Innenräume zu verwandeln, die „ein Gefühl der Gelassenheit“ versprechen.[4] Wisniewski hatte seine Kunden mit seiner Arbeit am Hotel im österreichischen Bad Gastein beeindruckt, das in den 1940er Jahren ein Vertriebenenlager war. Freimütig sagt er, dass er „eine große Chance in den Knochen“ sehe – eine Metapher, die mit Blick auf Mamula mehr als gruselig klingt.

Doch das neue, glatte Aussehen des ehemaligen Konzentrationslagers lässt seine „Knochen“ kaum erkennen. Die Festung, in der zwischen 1942 und 1943 über 2300 Häftlinge leiden mussten, von denen etwa 130 entweder ermordet wurden oder verhungerten, ist heute ein 5-Sterne-Paradies mit Swimmingpools, Sonnendecks, Fitnessstudio und Yogakursen. Wer würde heute noch daran denken, dass Historiker vor zwölf Jahren von „einem italienischen Auschwitz, von dem wir nichts wissen“ sprachen?[5] Geld, professionell hergerichtete Innenräume und die geschäftstüchtige Fähigkeit, „Chancen in Knochen“ zu wittern, hätten die beunruhigende Vergangenheit des berüchtigten Forts wahrscheinlich vollständig ausgelöscht, wäre da nicht der serbische Regisseur Aleksandar Reljić gewesen. Sein Dokumentarfilm „Mamula All Inclusive“, entstanden zwischen 2017 und 2023, hält die Aufzeichnungen der letzten Überlebenden des Lagers fest. Einer von ihnen ist Ivo Markovic. 1943 wurde der Junge zusammen mit seiner Großmutter, seiner Mutter, fünf Brüdern im Alter von zwei bis zehn Jahren, seiner Schwester und einem Neffen nach Campo Mamula gebracht. Ivo war neun Jahre alt, sein Neffe erst sechs Tage.

Weitere Augenzeugenberichte hat der italienische Historiker Federico Goddi gesammelt: „Die Ernährungssituation war sehr hart. In Prevlaka und Mamula bestand die Verpflegung aus 100 Gramm Brot, einer Suppe mit 30 Gramm Nudeln oder Reis und 30 Gramm Käse. Morgens wurde eine Tasse bitterer Kaffee gereicht. Das Überleben der Internierten wurde durch Familienpakete gesichert, die jedoch strenge Gewichtsgrenzen einhalten mussten [und oft mit ruiniertem Inhalt ankamen]“, schreibt er in seiner Untersuchung über die faschistische Geschichte von Mamula.[6] Im Gegensatz dazu bleibt Mamulas neue Geschichte, die in der ungefähren Sprache des Kapitalismus umgeschrieben wurde, stumm. Die faschistischen Jahre werden da milde als „ein dunkleres Kapitel“ beschrieben und das Wort „Konzentrationslager“ wird durch das immer noch kommerziell vermarktbare „Gefängnis“ ersetzt. „Entgegen der landläufigen Meinung wurde kein Dokument gefunden, das beweist, dass hier Hinrichtungen stattgefunden haben“, heißt es auf der Website des Hotels.[7] Damit werden die Berichte der Zeugen und die historischen Beweise, die offen von Folterungen, unmenschlichen Haftbedingungen und Hunger sprechen, abgewertet. Es gab also keine Hinrichtungen, aber 100 Menschen starben. Verdienen sie keinen Respekt?

„Es wird alles getan, um die Geschichte des Zweiten Weltkriegs auszulöschen“, sagt einer der verzweifelten Aktivisten in Reljićs Film. „Es ist eine Schande und sie wird nicht vergehen! Denn Hunderttausende von Menschen haben ihr Leben für die Freiheit gegeben. Junge Menschen, die ihr Leben gaben und ihr Blut vergossen haben, sind jetzt vergessen. All das steht auch zum Verkauf.“ Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit, der Opfer zu gedenken, scheint die traumatische Vergangenheit des Landes tatsächlich käuflich zu sein – für 693 bis 1100 Euro pro Nacht, je nach Zimmergröße.

Erster Halt Auschwitz, zehn Minuten Teepause

Die Gedenkstätten für die Opfer des Zweiten Weltkriegs spiegeln nicht nur die Ereignisse selbst wider, sondern auch nationale Mythen, religiöse Archetypen und ideologische Paradigmen, die das Gedenken geprägt haben. Ihre architektonische Gestaltung, ihre Bildsprache und ihre Texte verkörpern ein spezifisches politisches und kulturelles Wissen und spielen eine entscheidende Rolle für das Verständnis, das kommende Generationen von dieser Zeit haben werden. Oder wie James E. Young es zusammenfasst: „Gedenkstätten und Museen, die zur Erinnerung an den Holocaust errichtet wurden, erinnern an die Ereignisse gemäß der Färbung nationaler Ideale, der Form politischer Dikta.“[8]

Im Erinnerungstourismus hat Auschwitz immer eine besondere Rolle gespielt. Obwohl es weder das erste noch das größte der von den Nationalsozialisten errichtete Lager war, hat es dennoch weltweite Aufmerksamkeit als eine der wichtigsten Gedenkstätten in Europa gefunden. Im vergangenen Jahr besuchten mehr als anderthalb Millionen Menschen die in Polen gelegene Gedenkstätte, im Jahr 2019 wurde der Spitzenwert von 2,32 Millionen Besuchern erreicht.[9]

Den verfügbaren Statistiken zufolge kommen die meisten Touristen aus den englischsprachigen Ländern – pro Jahr etwa 200 000 aus Großbritannien und 120 000 aus den USA.

Wenn man jedoch zu verstehen versucht, was diese Gedächtnistouristen von ihren Besuchen in der Gedenkstätte mitnehmen, wird man unangenehm überrascht. Zahlreiche polnische Tourismusagenturen bewerben Auschwitz nicht als Ort des Gedenkens und der lebensverändernden Reflexion, sondern als Ergänzung zu einer Tour durch das Salzbergwerk Wieliczka – einer rein unterhaltsamen Aktivität, bei der man Schächte und labyrinthische Gänge kennenlernt und sich mit Salzabbautechnologien und Salzskulpturen vertraut macht. Die Kombination scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen und aus Marketingsicht erfolgreich zu sein, denn die Bewertungen auf Websites wie Tripadvisor[10] oder Booking.com sind mehr als überschwänglich. Hier sind nur einige der jüngsten Kommentare:

„Tolle Reise!!! Wir reisten mit zwei älteren Damen, die beide schlecht laufen können und von denen eine als behindert eingestuft ist! Aber wir wollten es wirklich versuchen und wir haben jeden Moment genossen! [...] Unser erster Halt war Auschwitz, wir bekamen 10 Minuten Zeit für einen Toilettenstopp und um im Laden eine Tasse Tee zu trinken, man brauchte einen Reisepass, um hineinzukommen, und sobald wir drin waren, bekamen wir Kopfhörer, damit wir den Guide hören konnten. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie lange wir dort waren, aber es waren ein paar gute Stunden.“ Bewertung zu „Tagesausflug nach Auschwitz-Birkenau und Salzbergwerk Wieliczka ab Krakau inklusive Mittagessen“ von Natasha D., 29. März 2023.

„Ganz reibungslos und professionell organisiert, bequem abgeholt vor unserer Wohnung ... bereitet euch darauf vor, viel zu Fuß zu gehen! Das Lunchpaket war wirklich gut, sehr bewegend in den Gefangenenlagern, unser Guide in den Salzminen war sehr unterhaltsam und die Minen waren faszinierend ... empfehlenswert.“ Bewertung von Stuart F., 2. August 2024.

„Sehr guter Ausflug. Ich empfehle dies vor allem mit den Salzminen. Überraschenderweise waren die Salzminen faszinierend. Du gehst hinunter in diese tiefe Mine mit Gängen, da gibt es eine massive Kirche, die in die Mine gehauen wurde. Es gibt einen riesigen Kronleuchter. Die Konzentrationslager waren auch sehr sehenswert. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit dort verbracht.“ Bewertung von Pascale L., 5. August 2024.

Anlässlich der Welttournee der US-Sängerin Taylor Swift, deren Auftritte Millionen von Fans auf der ganzen Welt anziehen, wurden einige Blogger noch erfinderischer und erwähnten beiläufig einen Besuch in Auschwitz-Birkenau als To-Do-Thing – irgendwo zwischen Panoramablick und Unterhaltungsmuseum: „Schlendert durch die kopfsteingepflasterten Straßen der Altstadt, erklimmt die Stufen des Kultur- und Wissenschaftspalastes, um einen Panoramablick auf die Stadt zu erhalten, denkt bei einem Besuch in Auschwitz-Birkenau über die Vergangenheit nach und entdeckt die Freude (wieder) im Be Happy Museum.“[11]

Die Kommerzialisierung des Gedenkens

Zu jenen kritisch denkenden Menschen, die über die Kommerzialisierung des Gedenkens entsetzt sind, gehört der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa. Er dokumentierte seine Eindrücke in „Austerlitz“, einem Film von 2016, der das Verhalten von Guides und Besuchern in den Gedenkstätten Dachau, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Sachsenhausen und Dora-Mittelbau zeigt. Seine Kamera hat genau das eingefangen, was ich 2023 in Auschwitz erlebt habe: Menschenmassen, die an der Hinrichtungsstätte für Selfies posieren, gelangweilte Touristen, die Routinegespräche führen, gleichgültige Teenager oder glücklich spielende Kinder.

Auf die Frage eines Reporters nach dem Ziel dieses Films antwortete Loznitsa: „Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was genau ich zeigen wollte. Die Einstellung zu den Schrecken der Vergangenheit scheint sich völlig verändert zu haben. Vor 30 bis 40 Jahren hätten wir so etwas in einer Gedenkstätte kaum erlebt. Die Menschen haben einen anderen Blick darauf. Sie kommen nicht, um zu erfahren, wie die Leichen aufgestapelt wurden, wo die Knochen lagen, was mit der Haut der Menschen gemacht wurde, wie die Zähne gezogen wurden und wo die Leichen verbrannt wurden. Wozu wurde die Gedenkstätte geschaffen? Dieser Ort kann nur der Erinnerung dienen, dem Weinen, der Reue und dem Gebet. Man kann nur mit der Erinnerung an dieses Grauen dorthin kommen – mit tiefem Mitgefühl, mit der Frage, wie das überhaupt möglich war. Wenn man sich die Touristenmassen anschaut, die diese Orte besuchen, kommt einem unwillkürlich der Gedanke: Vielleicht ist nicht allen bewusst, wo sie sind. [...] Der Philosoph Rene Girard hat über die Gewalt in der Gesellschaft nachgedacht, wie sie irgendwann aufhört, beängstigend zu sein und Neugierde hervorruft, sogar attraktiv wird – manchmal unweigerlich...“ Loznitsa hat mehr als recht, wenn er feststellt, dass es bei den Gedenkstätten selbst manchmal nicht um die Bewahrung der Erinnerung geht. „Leider gerät die Erfahrung im Laufe der Generationen in Vergessenheit, und manchmal hilft auch ein Mahnmal nicht, sich zu erinnern. Dennoch ist dies einer der Orte, die uns schützen und an etwas erinnern sollen, das zur Erhaltung des Friedens beitragen könnte.“[12]

Alle Gedenkstätten werden jedoch von Menschen geschaffen und kuratiert und sie sind für die Emotionen und Gedanken der Besucher verantwortlich. Wenn diese nichts als Schock, Langeweile oder Gleichgültigkeit empfinden, liegt das dann vielleicht teilweise an der Art und Weise, wie die Gedenkstätten textlich, visuell und/oder räumlich organisiert sind? Ohne die ganze Verantwortung allein auf die Gedenkstätten abwälzen zu wollen, können wir dennoch nicht ignorieren, dass es auf das Fachwissen und die Sensibilität ihrer Mitarbeiter ankommt. Wie James E. Young es richtig formuliert: „Wenn der Grund für diese Erinnerungen darin besteht, ‚nie zu vergessen‘, dann fragen wir hier genau, was nicht vergessen wird. [...] Denn was hier erinnert wird, hängt davon ab, wie es erinnert wird; und wie Ereignisse erinnert werden, hängt wiederum von der Form ab, die Erinnerungssymbole ihnen verleihen.“[13] Wie werden die Geschichten der Opfer dargestellt? Wessen Stimmen werden gehört und wessen unterdrückt? Welcher Schwerpunkt wird auf die Emotionen in Texten und Bildern gelegt? Wenn es einen Guide gibt, der sich um die Touristengruppe kümmert, wie ist dann die Führung in Bezug auf Inhalt, Raum, Bewegung und Zeit organisiert?

Die Antworten auf diese Fragen können einen nachdenklich stimmen. Wenn man sich beispielsweise in erster Linie auf die Absicht konzentriert, die krasse und brutale Realität des Holocausts zu vermitteln und die schrecklichen Auswirkungen der Lager visuell zu veranschaulichen, um die Gräueltaten für die Besucher greifbarer und realer zu machen, droht man die Opfer auf diese Erfahrung zu reduzieren – und sie zu Symbolen zu machen, statt ihre Menschlichkeit zu respektieren. So werden in einem der emotional aufwühlendsten Räume von Auschwitz, in dem an beiden Seiten Fotos von Häftlingen hängen, in den Bildunterschriften die Lagernummern der Menschen genannt sowie die Daten ihrer Ankunft und ihres Todes. Statt die Geschichten von „gewöhnlichen Menschen, die außergewöhnlicher Gewalt ausgesetzt waren“ (so die Definition von Judith Nisse Shklar in „Ganz gewöhnliche Laster“) respektvoll zu erzählen, reduziert die Ausstellung das Leben der Opfer auf die Daten ihrer Inhaftierung, mit zusätzlicher (und absolut unnötiger) Wiederholung der demütigenden tätowierten Nummern. Auf diese Weise reproduzieren die Kuratoren die entmenschlichende Optik der Täter und bieten uns an, denselben Blick zu übernehmen.

Ein weiteres, in ethischer Hinsicht schwieriges Beispiel ist die interaktive digitale Installation „Reflection. I am like you, surely“, die dieses Jahr im Museum des Warschauer Aufstands gezeigt wurde.[14] Ihre Absicht bestand wohl darin, Empathie und ein Bewusstsein für den polnischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg zu schaffen, indem sie Verbindungen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellt: den Museumsbesuchern und den Helden des Aufstands („Suche nach einem historischen Zwilling“). Doch das entwertet die mutigen Taten der Widerstandskämpfer. Warum sollte ein wohlhabender und sicherer Pole des 21. Jahrhunderts mit einem Widerstandskämpfer verglichen werden? Welche Handlungen oder Haltungen unserer Zeitgenossen könnten diese Parallele angemessen erscheinen lassen oder die Aussage beweisen „Ich bin doch wie du“?

Die Urheber der originellen Idee, leichtfertig mit den Fotos der Toten zu spielen – natürlich zu pädagogischen Zwecken – machen keinen Hehl aus dem Ziel, die Museumsbesucher zu unterhalten. „Jedes Jahr versucht das Museum, die Besucher zu überraschen, wenn es sie an die Geschichte erinnert und die Helden auf eine neue Weise ehrt. Es ist wichtig, dass das Museum die Besucher, die jedes Jahr wiederkommen, mit einer neuen Perspektive empfängt und die jungen Generationen anzieht, die die Geschichte oft nicht kennen“, heißt es auf der Seite, die die preisgekrönte Installation erklärt. Aber ist das Gefühl der Überraschung wirklich etwas, das ein historisches Museum oder eine Gedenkstätte bei den Menschen hervorrufen sollte? Oder hängt die Antwort auf diese Frage von den zugrunde liegenden Werten ab? Wenn der finanzielle Gewinn im Vordergrund steht, kann dann auch die Erinnerung zum Verkauf angeboten werden? Es scheint so. Und das überrascht nicht.

Es ist klar, dass solche Methoden in Gedenkausstellungen nicht zur Ehrung der Opfer des Holocaust beitragen. Gedenkstätten, die auf die Gefühlsebene abzielen, können zwar emotionale Reaktionen hervorrufen – Schock oder Betroffenheit –, aber beim Verlassen der Museen bleiben die wichtigsten Schlussfolgerungen aus und das Versprechen „Nie wieder“ rückt weit in den Hintergrund. Souvenirshops, die Magnete mit dem berüchtigten „Arbeit macht frei“-Schriftzug anbieten, tragen zusätzlich zur Trivialisierung bei. Eingebettet in die touristische Routine zwischen Toilettenpause und Teetrinken werden die Zeugnisse von etwas, das „nicht hätte passieren dürfen“ zu etwas erschreckend Normalem. Die Erinnerung an das Leid verkommt zu einer schocktouristischen Ware oder zu einer leichten Unterhaltungsüberraschung, die bei einer „Lunch-inclusive-Tour“ verkauft wird.

Das Siebte Fort in Kaunas: »Wir sehen uns im Lager!«

„Bildungs-“ und „Freizeit“-Aktivitäten, die Entwicklung „vielseitiger Schülerkompetenzen und die Stärkung der Gesundheit durch die Anwendung nichtformaler Bildungsmethoden und -praktiken“, „Klassenzimmer, Labors, Freizeitbereiche, Museumsräume, die den Komfort und die Sicherheit der Kinder gewährleisten.“[15] „Eine großartige Gelegenheit für Ihre Kinder, in die Welt der wissenschaftlichen Experimente, technologischen Entdeckungen, technischen Herausforderungen, künstlerisch-kreativen Prozesse und mathematischen Magie einzutauchen. [...] Anmeldung bei XXX. Preis: 165 Euro. Wir sehen uns im Lager!“[16]

Das in diesen Anzeigen erwähnte „Lager“ ist das berüchtigte Siebte Fort, das erste Konzentrationslager in Litauen. An diesem Ort wurden am 4. Juli 1941 416 jüdische Männer und 47 Frauen vom litauischen Nationalen Arbeitsschutz (TDA) hingerichtet und zwei Tage später weitere 2514 Menschen. Alle zusammen wurden in eine Grube gestoßen und ihnen wurde in den Rücken geschossen. Der Mord wird im berüchtigten Bericht des SS-Mannes Karl Jäger als eine „beispielhafte Massenmordoperation“ beschrieben.[17] Die Morde blieben von den Litauern nicht unbemerkt. „Da sich viele Wohnhäuser in der Nähe des Forts befanden, versammelten sich viele Anwohner, um die Erschießungen zu beobachten. Als Wachmann musste ich sie auseinandertreiben“, zitiert die Journalistin Ruta Vanagaite neben vielen anderen Zeugen einen Mann namens Jurgis Vosylius.[18] Sie wussten alles – sie wissen es auch jetzt noch. Aber wie gehen sie mit dieser Vergangenheit um?

Heute ist der Ort des Massenmords ruhig und dicht mit Gras bewachsen. Leere Bierflaschen stapeln sich in schmutzigen Tunneln, die mit Graffiti in litauischer Sprache übersät sind. Der allgemeine Eindruck der Verlassenheit wird durch die Wachtürme am Rande des Geländes verstärkt, die leicht als typisches visuelles Element eines jeden in den 1930er bis 1940er Jahren errichteten Nazilagers zu erkennen sind. Und der letzte Gedanke, der Ihnen wahrscheinlich in den Sinn kommen dürfte, ist ein Kindersommerlager, das „das Wohlbefinden und die Sicherheit der Kinder“ gewährleisten und „vielseitige Schülerkompetenzen“ entwickeln soll. Was man beim Betrachten dieser halbverfallenen Gedenkstätte „entwickeln“ könnte, sind Gefühllosigkeit, Gedächtnisschwund und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer – etwas, das Hannah Arendt einmal als das Gegenteil des Guten bezeichnet hat. Die mangelnde Fähigkeit zu denken, der Mangel an Selbsterkenntnis als Ursprung der „Banalität des Bösen“. Aber wie konnte es dazu kommen, dass dieses Konzentrationslager – eine Gedenkstätte, die wichtige historische Lektionen vermitteln sollte –, nun ein „Bildungs“-Ort ist, auf dessen offiziellem Auftritt in den sozialen Netzwerken ein sexualisiertes junges Mädchen zu sehen ist, das eine Panzerfaust umarmt?

Die Geschichte des Siebten Forts ist lang und kurz zugleich – und leider symptomatisch für die litauische Gedenkkultur. Da die Stadt Kaunas nicht in der Lage oder nicht willens war, das ehemalige Lager mit eigenen Mitteln instand zu setzen und zu bewahren, übergab sie es dem Staat, der seinerseits die Privatisierung des Geländes gestattete („mit all seinen fünftausend begrabenen Juden, die von TDA-Soldaten ermordet wurden“[19]). Auf diese Weise gelangte der Ort der Massenerschießungen, an dem noch immer die Leichen Tausender unschuldiger Menschen liegen – einst ermordet von litauischen Freiwilligenbataillonen und nun vom Staat aufgegeben –, im Jahr 2009 in die Hände des Militärgeschichtsenthusiasten Vladimiras Orlovas. Im Onlineforum von Kaunas listete Orlovas alle Schwierigkeiten auf, die er zu bewältigen hätte, um „das Fort an die aktuellen Anforderungen des öffentlichen Raums anzupassen“: beschädigte Innenlandschaften, dysfunktionale Entwässerung, Probleme mit der Belüftung und Heizung. Ethische Probleme schienen keine Rolle zu spielen. Jubelnde Nutzer gaben großzügig Ratschläge, was aus dem Lager werden könnte, und waren sich einig über die „wirklich großartigen Aussichten, die einen großen Erfolg erwarten lassen“.[20] Jemand erwähnte sogar die Möglichkeit, „Lofts“ zu bauen – ähnlich dem, was später auf Mamula gemacht wurde.

Ursprünglich wollte er das Lager in ein „interaktives Museum zur Militärgeschichte Litauens“ umwandeln (ein mehr als ironisches Ziel), doch drei Jahre später meldete sich Orlovas erneut im Forum und kündigte die Eröffnung des Forts als „Touristenattraktion“ mit vier „Bildungsprogrammen“ und der Bereitschaft an, „viele interessante Veranstaltungen“ anzubieten – „einschließlich der Geburtstage Ihrer Kinder und Enkelkinder“.

Das Gewicht der Geschichte und die Anforderungen des Kapitalismus

Die Idee, am Ort der Massenerschießung zu feiern, stieß bei den Einheimischen auf positive Reaktionen. Die jüdische Gemeinde hingegen war über diese zynische Haltung schockiert und angewidert. Jonny Daniels, Gründer der polnischen Stiftung „From the Depths“, die sich dem Holocaustgedenken widmet, sagte nach seinem Besuch in der Gedenkstätte 2016, diese lasse „jedes Maß an Anstand und Respekt“ vermissen. Litauens Regierung solle „sich schämen und international dafür verurteilt werden, dass eine so wichtige und heilige Stätte privatisiert wird“.[21] Orlovas, der buchstäblich auf frischer Tat ertappt wurde, wie er die Nutzung des Lagers als Hochzeitsort zuließ, erklärte, auf den Begräbnisstätten halte er keine Unterhaltungsveranstaltungen ab. Er versuchte sich zu rechtfertigen, indem er sagte, dass „jeder Ort, den man in Litauen sieht, eine tragische Geschichte hat – dieser Ort ist nicht anders“. Wenn ich diese Ausreden lese, frage ich mich, was er im Gegenzug zu hören erwartet. Danke, dass Sie nicht auf den Gräbern getanzt haben, sondern drei Meter entfernt? Entschuldigen Sie die Störung?

Eine der wenigen in Litauen, die nicht nur tiefe Besorgnis zeigen, sondern sich auch zu den Folgen der kulturellen Amnesie äußern, ist die Journalistin Ruta Vanagaite aus Vilnius. In Zusammenarbeit mit dem amerikanisch-israelischen Historiker und Nazi-Jäger Efraim Zuroff veröffentlichte sie 2020 das Buch „Our People“ – die wahrscheinlich einzige umfassende Analyse der unbequemen Geschichte ihrer Heimat. „In den ersten zwanzig Jahren der litauischen Unabhängigkeit“, schreibt sie dort, „wurde nichts getan, um die Verbrechen zu erforschen oder der Opfer zu gedenken.“ Im Jahr 2012, so erinnert sie, entdeckte Orlovas bei der Müllbeseitigung „eine endlose Zahl von Knochen“. Und da seine Fragen an die Abteilung für den Schutz des kulturellen Erbes und die jüdische Gemeinde unbeantwortet blieben, „packte er die Knochen in drei Müllsäcke und ließ sie irgendwo in einem Lagerraum liegen“.[22] Nur wenige Jahre später wurde das ehemalige Konzentrationslager zu einem informellen Kindererziehungszentrum mit Geburtstagsfeiern, Schatzsuchespielen und Mittsommernachtsfeuern.[23]

Die Kommerzialisierung ehemaliger Konzentrationslager und Orte von Massenhinrichtungen unterstreicht die erschreckende Diskrepanz zwischen dem Gewicht der Geschichte, den Anforderungen des Kapitalismus und der menschlichen Ignoranz. Unkritisch oder – was noch schlimmer ist – offenkundig unterhaltsam gestaltete öffentliche Räume, die an den Stätten des Leidens eröffnet werden, verwässern die Unantastbarkeit dieser Orte der Trauer und des Gedenkens. So werden die Erinnerungen an das Ausmaß der Katastrophen ausgelöscht – die ihrerseits nicht zuletzt auch durch so „banale“ Übel wie Gleichgültigkeit und fehlende Selbstreflexion verursacht wurden, wie Arendt schrieb. Unter den gegenwärtigen kapitalistischen Bedingungen ließe sich diese Liste noch erweitern – um das Streben nach Macht, Status und Geld, koste es, was es wolle.

Aus dem Englischen von Steffen Vogel.

[1] mamulaisland.com/en.

[2] Enforcing the lessons from the damage done to El Gouna, ecocoast.com, 23.8.2021; Business &
Human Rights Resource Centre, A Wall of Silence: The Construction Sector’s Response to Migrant Rights in Qatar and the UAE, business-humanrights.org.

[3] Montenegro defends decision to turn ex-concentration camp into resort, theguardian.com, 17.1.2016.

[4] Catherine Martin, Mamula Island, westudio.berlin, September 2023.

[5] Alessandro Marzo Magno, Ecco le Auschwitz italiane di cui non sappiamo nulla, linkiesta.it, 15.7.2012.

[6] Federico Goddi, Un’isola di internamento: il campo fascista di Forte Mamula (1942-1943), in: „Annali, Museo Storico Italiano della Guerra“, 27/2019, S. 63-93.

[7] mamulaisland.com.

[8] James E. Young, The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning, New Haven and London, 1993, S. VIII.

[9] Vgl. 2 million 320 thousand visitors at the Auschwitz Memorial in 2019, auschwitz.org, 7.1.2020.

[10] Day Trip to Auschwitz-Birkenau and Wieliczka Salt Mine from Krakow including Lunch, tripadvisor.com.

[11] Taylor Swift Eras Tour: Dates and destinations to bookmark!, headout.com, 22.6.2024.

[12] Ирина Чевтаева, Туризм в бывших концлагерях - это абсолютный Кафка, dw.com/ru, 6.10.2016.

[13] Young, The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning, a.a.O.

[14] „Reflection. I am like you, surely“ interactive installation, superskrypt.pl.

[15] STEAM vasaros stovykla moksleiviams Kauno tvirtov˙es VII forte REGISTRACIJA, google.com.

[16] Kauno Tvirtoves VII Fortas, facebook.com.

[17] Ruta Vanagaite und Efraim Zuroff, Our People. Discovering Lithuania’s Hidden Holocaust, Lanham 2020, S. 69.

[18] Ebd., S. 64.

[19] Ebd., S. 68.

[20] miestai.net/forumas.

[21] Cnaan Liphshiz This Lithuanian Concentration Camp is Now a Wedding Venue, jta.org, 24.7.2016.

[22] Vanagaite und Zuroff, Our People, a.a.O., S. 68.

[23] Diana Krapavickaite, Joniniu lauzas silde susalusius kauniecius, kauno.diena.lt, 23.6.2014.

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