Ausgabe Juli 2025

Ein Srebrenica-Moment im Sudan

Sudanes:innen warten stundenlang an von Generatoren betriebenen Brunnen, um Trinkwasser zu erhalten, 18.1.2025 (IMAGO / Xinhua / Mohamed Khidir)

Bild: Sudanes:innen warten stundenlang an von Generatoren betriebenen Brunnen, um Trinkwasser zu erhalten, 18.1.2025 (IMAGO / Xinhua / Mohamed Khidir)

Srebrenica. Ruanda. Aleppo. Jeder dieser Namen steht für unaussprechliches Grauen – für Orte, die zum Synonym für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geworden sind. Und nun, da Orte überall im Sudan zu Schauplätzen schrecklicher Gräueltaten werden, wiederholt sich die Geschichte mit erschreckender Vertrautheit.

Man denke etwa an Zamzam, ein Lager für Binnenvertriebene in der Nähe von El Fasher in Nord-Darfur. Im April griff eine mächtige paramilitärische Gruppe – die Rapid Support Forces (RSF) – das Lager brutal mit Granaten an und erschoss und vergewaltigte Zivilisten. Mehr als 400 Menschen wurden ermordet, darunter das gesamte Personal von Zamzams einziger noch funktionsfähiger Klinik. Die RSF zerstörten auch den Markt von Zamzam und setzte große Teile des Lagers in Brand. Mindestens 400 000 Überlebende flohen, doch könnte die tatsächliche Zahl weit höher sein. Mehr als 100 000 Menschen blieben ohne selbst die grundlegendste Versorgung im Lager gefangen. Sie sind weiterhin tödlichen Angriffen und anderen Misshandlungen durch die RSF ausgesetzt. Es wird befürchtet, dass viele von ihnen inzwischen tot sind. 

Zeitgleich mit dem Angriff auf Zam-zam griffen RSF-Kämpfer außerdem das nahe gelegene Lager Abu Shouk an; dabei wurden Dutzende Menschen getötet und viele weitere vertrieben. Für diejenigen, die aus Zamzam flohen, war das Grauen damit noch nicht vorbei, denn die RSF griffen auch die flüchtenden Zivilisten an. Durch Hungersnot und die extreme Hitze geschwächt, brachen einige von ihnen vor Hunger und Wassermangel zusammen, noch bevor sie das etwa 50 Kilometer entfernte Tawila erreichten, wo selbst grundlegendste Hilfsgüter knapp waren. Insgesamt starben wahrscheinlich tausende Menschen.

Fortgesetzter Völkermord in Dafur

Dieses Massaker ist eine der dunkelsten Episoden des fortdauernden Bürgerkriegs im Sudan. Während sich die Zahl der Todesopfer im Land nicht genau beziffern lässt, schätzen unsere Kontaktpersonen vor Ort, dass hunderttausende Menschen getötet wurden oder kriegsbedingt Hunger, Unterernährung und Krankheiten zum Opfer fielen. 

Der Krieg im Sudan begann vor zwei Jahren mit einem Machtkampf zwischen den RSF und den sudanesischen Streitkräften. Schon bald jedoch richteten die RSF ihre Waffen gegen die Zivilbevölkerung im Zentralsudan und in Darfur – insbesondere gegen Angehörige der Masalit, Fur, Zaghawa und anderer nicht-arabischer Bevölkerungsgruppen – und nahm damit den Völkermord ihrer Vorgängerorganisation, der vom ehemaligen Diktator Omar al-Bashir unterstützten Janjaweed-Miliz, wieder auf. So gesehen handelt es sich bei dem, was sich in Teilen des Sudan abspielt, nicht um einen neuen Konflikt, sondern um eine Fortsetzung des Völkermords in Darfur, der 2003 begann und nie umfassend bekämpft oder gestoppt wurde.

Die Frage, die sich der Welt heute stellt, ist, ob Zamzam zum sudanesischen Srebrenica-Moment werden wird – als ein Massaker, das die internationale Gemeinschaft endlich zum Handeln zwingt –, oder ob es sich in eine Reihe mit Ruanda, Gaza und so vielen anderen Schauplätzen von Gräueltaten einfügt, die zwar weltweite Empörung, aber kein sinnvolles Eingreifen ausgelöst haben.

Vertraut der sudanesischen Zivilgesellschaft!

Das Massaker von Zamzam ist nur das jüngste in einer wachsenden Reihe von Massengräueltaten überall im Sudan, darunter in El Geneina in West-Darfur und in Al Hilaliya und Wad al-Noura im Zentralstaat Gezira. Zamzam kann – und muss – die letzte davon sein. Doch dafür muss die internationale Gemeinschaft endlich eingreifen. Wir, die Verfasser, verfügen gemeinsam durch unsere juristische und politische Arbeit, unser Eintreten für die Menschenrechte und unser direktes Engagement für die betroffenen Gemeinschaften über umfangreiche persönliche und berufliche Erfahrungen mit der Krise im Sudan.

Einer von uns, Ibrahim Alduma, ist ein sudanesischer Menschenrechtsaktivist aus Darfur, der die Gräueltaten der RSF dokumentiert hat – darunter schreckliche Angriffe, bei denen masalitische Zivilisten in der Nähe von El Geneina bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Unsere Botschaft ist einfach: Die weltweiten Regierungen müssen der sudanesischen Zivilgesellschaft vertrauen und sie mit den Mitteln und der politischen Unterstützung ausstatten, die sie dringend benötigt. 

Der Sudan ist voll von erfahrenen Organisatoren und Fronthelfern, die, sofern sie denn die Mittel dazu erhalten, zum Handeln bereit sind. Man denke an die 20 Frauen vom Team Zamzam, die Überlebende sexueller Gewalt berieten und sich um die am stärksten gefährdeten Bewohner des Lagers kümmerten. Obwohl nun selbst Vertriebene, sind sie entschlossen, ihre Arbeit fortzuführen. Oder man denke an die örtlichen Widerstandskomitees, die zum Sturz von al-Bashir beitrugen, und an die kürzlich für den Friedensnobelpreis nominierten Emergency Response Rooms. 

Diese Freiwilligen-Netzwerke betreiben Gemeinschaftsküchen, evakuieren Zivilisten, reparieren die Infrastruktur und bauen Notunterkünfte – oft unter hohem persönlichen Risiko. Doch trotz ihrer Effizienz und ihres Engagements erhalten sie nicht einmal ein Prozent der internationalen humanitären Mittel. Das muss sich ändern. Um alle Bedürftigen zu erreichen, muss die humanitäre Hilfe aufgestockt und über vertrauenswürdige lokale Organisationen abgewickelt werden. Die Hilfsorganisationen sollten ohne Einmischung bewaffneter Gruppen arbeiten können. Wo die Unsicherheit Lieferungen auf dem Landweg verhindert – insbesondere in El Fasher und in ganz Darfur – sollten die Vereinten Nationen und andere internationale Akteure unverzüglich regelmäßige humanitäre Hilfslieferungen aus der Luft einleiten. 

Die Vereinigten Arabischen Emirate ermöglichen die Gräueltaten

Eine dringende Priorität ist die Auseinandersetzung mit den externen Mächten, die diesen Krieg anheizen. Dazu gehören vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate, die mehr als jedes andere Land zu den Gräueltaten der RSF beigetragen haben und die Gruppe nach wie vor bewaffnen und unterstützen. Die internationale Gemeinschaft und die Privatwirtschaft müssen die Vereinigten Arabischen Emirate wie einen Pariastaat behandeln: alle Waffenverkäufe stoppen, die Sicherheitsbeziehungen abbrechen und Geschäftspartnerschaften wie die zwischen Abu Dhabi und der amerikanischen National Basketball Association beenden. Künstler sollten sich weigern, dort aufzutreten, und Investoren sollten ein Regime meiden, das den Völkermord unterstützt. Regierungen und Gerichte müssen alle Verantwortlichen für die enormen Verbrechen dieses Krieges sowohl rechtlich als auch politisch zur Rechenschaft ziehen. 

Die Folgen der Straflosigkeit

Die Janjaweed und die sudanesische Militärführung wurden für den ursprünglichen Völkermord in Darfur nie zur Rechenschaft gezogen – und jetzt sehen wir die Folgen. Auch die Diplomatie muss ihren Kurs ändern. Bei den Friedensgesprächen stehen bisher die Urheber des Krieges im Mittelpunkt und nicht die sudanesische Zivilgesellschaft und die Führer örtlicher Gemeinschaftsorganisationen, deren Vision von Frieden auf Würde, Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht beruht. 

Auch wenn im Sudan ungeheuerliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, sind dort auch einige der bewundernswertesten Menschen unserer Welt zu Hause. Man denke an die Widerstandskomitees, die Emergency Response Rooms und das Team Zamzam. An die Helfer, die sich weigern, das sudanesische Volk inmitten der weltweit schlimmsten humanitären Krise im Stich zu lassen. An Organisationen wie die Mutual Aid Sudan Coalition, die Sudanese American Physicians Association, die Darfur Women Action Group und das Sudan Solidarity Collective. An die Mitglieder der sudanesischen Diaspora, die alles geben, was sie können, und sich weigern, zuzulassen, dass die Welt wegschaut. Und an die Mütter, die ohne etwas zu essen tagelange Fußmärsche auf sich nehmen und dabei den Tod oder sexuelle Gewalt riskieren, um ihre Kinder zu retten. 

Ihre Bemühungen haben unzählige Leben gerettet, aber ihre Widerstandskraft ist nicht grenzenlos. Werden wir ihnen beistehen? Wenn wir tatenlos zusehen, wie sie sterben, stirbt ein Stück unserer Menschlichkeit mit ihnen.

© Project Syndicate

Übersetzung: Jan Doolan

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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