Ausgabe November 1990

Nachwuchs für die Nation

Das neue Ausländergesetz als Daumenschraube der Deutschmacher

Die spanische Wiedervereinigung fand am 2. Januar 1492 statt, als das katholische Heer Granada eroberte, und damit das letzte Bollwerk des Islam auf der iberischen Halbinsel gefallen war. Ein Vierteljahr später unterschrieben die Katholischen Könige ein Edikt, das die Juden vor die Alternative stellte, sich taufen zu lassen oder innerhalb von vier Monaten Spanien zu verlassen.

Oberflächlich betrachtet scheint es zufällig zu sein, daß im Jahr der deutschen Wiedervereinigung der Deutsche Bundestag ein neues Ausländergesetz verabschiedet. Bei näherem Zusehen aber gibt es eine ideologische Gemeinsamkeit von Wiedervereinigung und Ausländergesetz: Beide berufen sich auf Rechte des "deutschen Volkes". Die Zeitgleichheit mag nicht beabsichtigt sein; aber ideologische und funktionale Zusammenhänge werden sich schwerlich bestreiten lassen. Das spanische Gesetz zielte seinerzeit vorrangig nicht darauf, die Juden aus dem Lande zu treiben. Das war höchstens eine Konzession an die verbreitete antijüdische Stimmung im katholischen Bevölkerungsteil.

Eine völlige Vertreibung wäre aber den ökonomischen Interessen zuwider verlaufen. Vielmehr ging es darum, durch die Taufe der Juden das Bekenntnishafte des katholischen Glaubens herauszuarbeiten, der die Integrationsideologie des wiedervereinigten Spaniens sein sollte 1).

November 1990

Sie haben etwa 3% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 97% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.