Ausgabe September 1991

Sprachregelung Deutschland alt/neu.

Papier einer Arbeitsgruppe des Bundesinnenministeriums zur amtlich korrekten Bezeichnung der vergrößerten Bundesrepublik Deutschland nach dem 3. Oktober 1990 (Wortlaut)

Betr.: Bezeichnung der alten und neuen Gebiete der Bundesrepublik Deutschland

A. Zur Bezeichnung der Situation v o r dem 3. Oktober 1990:

I. Für den "Westen":

"Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand bis zum 3. Oktober 1990"

Erläuterung:

Allein die ausführliche Formulierung gibt den Sachverhalt präzise wieder. Von der Formulierung "Bundesrepublik Deutschland vor dem 3. Oktober 1990" sollte Abstand genommen werden, da die Bundesrepublik Deutschland vor dem 3. Oktober 1990 dieselbe ist, wie nach dem 3. Oktober 1990. Allein der Gebietsstand hat sich geändert; der Staat, das Rechtssubjekt Bundesrepublik Deutschland ist nach unbestrittener Ansicht identisch. Zur Bezeichnung des unterschiedlichen Gebietsstandes des gleichen Rechtssubjekts muß begrifflich auf den Gegenstand der Unterscheidung Bezug genommen werden. Unzutreffend ist die Bezeichnung "ehemalige Bundesrepublik", da die Bundesrepublik Deutschland nicht untergegangen ist und mit sich selbst identisch ist. Eine Bezeichnung des Gebietsstandes bis zum 3. Oktober 1990 durch die Bezeichnung "Bundesrepublik" (oder "BRD") ohne Zusatz sollte schon deshalb unbedingt vermieden werden, weil sie durch die Reklamierung des Staatsnamens für den alten Gebietsbestand die Identität und Kontinuität mit der nach dem Beitritt vergrößerten Bundesrepublik Deutschland in Frage zu ziehen geeignet ist. Auf eine gesonderte Nennung des Landes Berlin kann (entsprechend der früheren Hausanordnung Gruppe 5, Blatt 4, II 4.) verzichtet werden, da nach der Rechtsansicht der Bundesrepublik Deutschland das Land Berlin (West) Bestandteil der Bundesrepublik war und damit zum Gebietsstand bis zum 3. Oktober 1990 gehört.

II. Für den "Osten":

1. "Deutsche Demokratische Republik"

2. "DDR"

3. "ehemalige Deutsche Demokratische Republik"

4. "ehemalige DDR"

Erläuterung:

Da die Deutsche Demokratische Republik am 3. Oktober 1990 als Staat und Völkerrechtssubjekt untergegangen ist, ist sowohl die Bezeichnung mit, als auch die ohne den Zusatz "ehemalige" eindeutig auf den Gebietsbestand vor dem 3. Oktober bezogen. Dagegen sollte die Bezeichnung "frühere DDR" aus sprachlichen Gründen vermieden werden, da das Wort "früher" ein(en) Gegensatz zu einem "später" suggeriert, den es aber wegen des Untergangs der DDR nicht gibt, so daß der Zusammenhang nur durch "ehemalige" korrekt umschrieben wird. Der Ausdruck "Ex-DDR" sollte wegen seines pejorativen Anklangs im offiziellen Sprachgebrauch vermieden werden. Fraglich ist, ob entsprechend der ehemaligen Hausanordnung Gruppe 5, Blatt 4, II 7. die ausdrückliche Betonung des früheren Sonderstatus des Ostteils der Stadt Berlin durch die Bezeichnung "Deutsche Demokratische Republik und Berlin (Ost)" noch nötig erscheint.

B. Zur Bezeichnung der Situation n a c h dem 3. Oktober 1990:

I. Für den "Westen":

1. "das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand bis zum 3. Oktober 1990"

2. "das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebietes"

3. "in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Saarland und Schleswig-Holstein sowie Berlin, soweit dort schon vor dem 3. Oktober 1990 das Grundgesetz galt"

4. "die 11 Bundesländer, die bereits vor dem 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutschland angehörten"

5. "die 11 alten Bundesländer"

Erläuterung:

Der Teil der heutigen Bundesrepublik Deutschland, der schon vor dem 3. Oktober 1990 zur Bundesrepublik Deutschland gehörte, läßt sich entsprechend den Vorschlägen des BMJ im Schreiben vom 10.12.1990 (IV C 1-1200/3-8 SH 4 Z 1 1898/90) zur rechtsförmlichen Bezeichnung (dort S. 4) durch Verweis auf die Aufzählung im Einigungsvertrag (Nr. 2) oder den Gebietsbestand vor dem Beitritt (Nr. 1) präzise umschreiben. Die ebenfalls präzise Aufzählung der alten Bundesländer leidet unter der umständlichen Ausklammerung des Ostteils des Landes Berlin und wird dadurch sehr lang. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland größer geworden ist, erscheint es als verfehlt, zumindest als sprachlich unglücklich, einen gegenwärtigen Bruchteil von ihr als "Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand vor dem 3. Oktober 1990" zu benennen, da so der Name des Gesamtstaates zur Bezeichnung eines Teiles verwendet würde.

II. Für den "Osten":

a) ohne die Ostbezirke Berlins:

1. "das in Artikel 1 Abs. 1 des Einigungsvertrages bezeichnete Gebiet"

2. "die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen"

3. "die fünf neuen Länder"

4. "die neuen Bundesländer"

Erläuterung:

Der Vorschlag Nr. 1 entspricht der Bezeichnungsweise im Regelungswerk des Einigungsvertrages. Er ist juristisch präzise und im Alltag unverständlich. Der Vorschlag Nr. 2 ist ebenso präzise, dürfte allerdings durch seine Länge als allseits gebräuchliche Formulierung ausscheiden. Die Vorschläge 3 und 4 nehmen einen in der Öffentlichkeit bereits weit verbreiteten Sprachgebrauch auf, der das bezeichnete Gebiet hinreichend deutlich macht.

b) mit den Ostbezirken Berlins:

1. "das in Artikel 3 des Einigungsvertrages bezeichnete Gebiet"

2. "die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie der Teil des Landes Berlin in dem das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bis zum 3. Oktober 1990 nicht galt"

3. "die fünf neuen Bundesländer zuzüglich des Gebiets des früheren Berlin (Ost)"

4. "beigetretener Teil Deutschlands"

5. "Beitrittsgebiet"

Erläuterung:

In der Regelungstechnik des Einigungsvertrages wird das Gebiet der beigetretenen DDR mit Berlin (Ost) durch Verweisung auf die Aufzählung in Artikel 3 EV bezeichnet. Außerhalb der Gesetzessprache sprechen hiergegen die gleichen Gründe der Allgemeinverständlichkeit wie gegen II a) 1. Die Aufzählung bzw. Nennung der neuen Länder mit dem Hinweis auf Berlin (Ost) im Vorschlag Nr. 2 und Nr. 3 ist ebenso präzise, dürfte aber zumindest bei Vorschlag Nr. 2 als zu lang empfunden werden. Vorschlag Nr. 4 ( "beigetretener Teil Deutschlands") lehnt sich in der Bezugnahme auf den Akt des Beitritts an den Wortlaut des alten Artikel 23 Satz 2 GG an, indem er die darin offengehaltene Möglichkeit auf die historisch vorgenommene Entscheidung konkretisiert. Demgegenüber wäre es unrichtig, von den "beigetretenen Ländern" zu sprechen, da die neuen Länder erst seit dem 3. Oktober 1990 existieren und darum nicht sie, sondern die untergegangene DDR beigetreten ist. (Zudem würde diese Formulierung die Ostbezirke Berlins nicht umfassen.) Akzeptabel erscheint auch die Kurzform "Beitrittsgebiet" (Vorschlag Nr. 5), die sich zum Teil in der Praxis eingebürgert hat, denn darin wird das Gebiet, auf das sich der Rechtsakt des Beitritts bezog, bezeichnet. Vermieden werden sollte dagegen aus sprachlichen Gründen die Bezeichnung "beigetretenes Gebiet", denn Gebiete treten nicht bei. Gebiete sind keine Rechtssubjekte und nicht handlungsfähig, sondern auf Gebiete beziehen sich von Rechtssubjekten vorgenommene Rechtsakte.

III. Für den Gesamtstaat:

1. "Bundesrepublik Deutschland"

2. "Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand seit dem 3. Oktober 1990"

3. "Deutschland"

4. "D", "BRD"

Erläuterung:

Den Staatsnamen der Bundesrepublik Deutschland legt die Überschrift des Grundgesetzes fest. Die abgekürzte Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland als "Deutschland" erscheint als natürlich und unbedenklich, zumal die Bundesrepublik Deutschland der Staat aller Deutschen ist und eine verbale Ausgrenzung der Deutschen in der ehemaligen DDR damit nach Herstellung der Einheit Deutschlands gerade nicht verbunden ist. Demgegenüber ist die Kurzbezeichnung als "Bundesrepublik" ungenau und mißverständlich, da sie nur eine in Mitteleuropa häufige Staatsformbezeichnung, nicht aber eine Individualisierung eines konkreten Staates darstellt. Als Abkürzung des Staatsnamens bietet sich die einbuchstabige Kürzel "D" an. Bezüglich der für bestimmte Texte erforderlichen dreibuchstabigen Abkürzungen besteht kein Anlaß mehr, ein Kürzel wie BRD (FRG, RFA) abzulehnen, da sie nach dem Untergang der DDR als Staat und der Herstellung der Einheit Deutschlands ideologische Gehalte nicht mehr transportieren und den Fortbestand Deutschlands in Frage zu stellen nicht mehr geeignet sind. Der Nichtgebrauch des Kürzels BRD ist damit nur noch eine Frage des guten Geschmacks angesichts der jahrelangen ideologischen Behaftetheit im separatistischen Sinne. Deshalb ist die Abkürzung "D" vorzuziehen.

IV. Geographische Begriffe:

Geographische Begriffe wie "Ostdeutschland" und "Mitteldeutschland" sollten im offiziellen Sprachgebrauch vermieden werden.

Erläuterung:

Sie sind jeweils relativ auf die im Laufe der Geschichte mehrfach geänderte Ausdehnung des bzw. der deutschen Staaten und können daher ein bestimmtes Gebiet nicht hinreichend präzise umschreiben. Fragwürdig und fehldeutbar wäre z.B. die Bezeichnung Mecklenburgs oder Thüringens als "Ostdeutschland" oder die Bezeichnung Vorpommerns als "Mitteldeutschland". Die Gefahr, daß der Gebrauch des Begriffs Ostdeutschland für den beigetretenen Teil Deutschlands als Negation der ehemaligen Zugehörigkeit der deutschen Ostgebiete zu Deutschland, bzw. der Gebrauch des Begriffs "Mitteldeutschland" als Anspruch auf Angliederung der östlich davon gelegenen Gebiete gedeutet wird, läßt es ratsam erscheinen, zur Vermeidung von Mißverständnissen auf diese geographischen Begriffe im offiziellen Sprachgebrauch zu verzichten.

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