Ausgabe November 1994

Die Niederlage der Sieger

Wie man mit einer Stimme Mehrheit regieren kann, hat niemand der Republik besser demonstriert als Gründervater Adenauer persönlich. Und Willy Brandts sozial liberale Koalition wagte mit wenigen Mandaten Vorsprung, unter dem Sperrfeuer einer noch durch und durch hausherrlichen CDU/CSU, den Ausbruch aus der Hallsteinzeit. Wenn also Gerhard Schröder einer Koalition, der die Hochrechnungen gerade die Kanzlermehrheit bescheinigen (nämlich jene eine, auch für die niedersächsischen Sozialdemokraten bekanntlich machtentscheidende Stimme mehr) am Wahlabend vorhält, mit einer derart lächerlichen Mehrheit könne man doch nicht regieren wollen, ist das so durchsichtig wie politisch kulturlos. Mag die Gier nach dem Zipfel Macht, dem Mitregieren in Kohls Koalition, als "Realpolitik" durchgehen - der unterschwellige Appell an volksgemeinschaftliche Mehrheit=Einheit-Ideale wirkt angesichts der Differenzierungen im deutschen Parteiensystem ärgerlich regressiv.

November 1994

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