Ausgabe September 1996

EU-Maßnahmen gegen die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE). Entscheidung der Kommission vom 11.Juni 1996 (Wortlaut)

Um den "Rindfleischkrieg" zwischen Großbritannien und dem großen Rest der EU-Länder ist es ruhiger geworden. Seit auf der Tagung des Europäischen Rats in Florenz (21./22. Juni 1996) eine "schrittweise Lockerung der gegenwärtigen Beschränkungen für die Ausfuhr von Rindererzeugnissen aus dem Vereinigten Königreich in die restliche Europäische Union und in Drittländer" ins Auge gefaßt wurde ("Schlußfolgerungen des Vorsitzes", Abschnitt VI), hat der britische Premier John Major seine im Gegenzug gegen diese Beschränkungen am 21. Mai d.J. verkündete Politik der "Noncooperation" beendet. Mit der britischen Blockade der EU-Gremien war der BSE-"Krieg" zur schwersten Krise der westeuropäischen Integrationspolitik seit den Alleingängen Charles de Gaulles eskaliert. - Einen guten Einblick in die Konfliktmaterie - und den Brüsseler Umgang mit der Rinderseuche - vermittelt die hier dokumentierte Entscheidung der Kommission vom 11. Juni 1996. Diese hatte im Vorfeld von Florenz, unter Bonner Unmutsbekundungen, ihre Dringlichkeitsmaßnahmen vom 27. März d.J. bereits gelockert. Daß Brüsseler Regelungen ein Ruch von Erbsenzählerei anhängt, sollte nicht von der Lektüre abschrecken. Der nachfolgende Wortlaut der Entscheidung 96/362/EG ist um die Präambel gekürzt. - Zum Thema BSE vgl. auch den Beitrag von Jeremy Leaman in Heft 8/1996, S. 903-907 ("Eingefleischter Wahnsinn"). D. Red.

[...] Auf seiner Tagung vom 1. bis 3. April 1996 kam der Rat zu der Schlußfolgerung, daß die Kommission gemäß dem Verfahren des Ständigen Veterinärausschusses eine Entscheidung erlassen sollte, nach der alle Abfälle von Säugetieren in der Gemeinschaft in einem Verfahren behandelt werden müssen, das nachweislich wirksam die Erreger der Traber-Krankheit (Scrapie) und von BSE inaktiviert. Das Vereinigte Königreich hat nach Bekanntwerden neuer Informationen über bestimmte Fälle der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit in diesem Mitgliedstaat zusätzliche Maßnahmen getroffen.

Das Vereinigte Königreich hat die Verwendung von Fleisch- und Knochenmehl von Säugetieren zur Fütterung von Nutzvieh verboten. Das Vereinigte Königreich hat die Liste der Rindergewebe erweitert, die vernichtet werden müssen (Specified Bovine Material Order). Die Kommission hat die Entscheidung 96/239/EG vom 27. März 1996 mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen 1) erlassen. Nach dieser Entscheidung ist es verboten, insbesondere Rindersperma, andere Erzeugnisse, die von im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern stammen und in die menschliche oder tierische Nahrungskette gelangen könnten, sowie Erzeugnisse, die für die Verwendung bei der Herstellung von Medizinalprodukten, Kosmetika und pharmazeutischen Erzeugnissen bestimmt sind, aus dem Vereinigten Königreich nach den anderen Mitgliedstaaten oder nach Drittländern zu versenden. Der Wissenschaftliche Veterinärausschuß wurde am 18. und am 26. April 1996 gehört. Nach Ansicht dieses Ausschusses ist Rindersperma in bezug auf BSE für die Tiergesundheit unbedenklich. Der Wissenschaftliche Ausschuß für Kosmetologie wurde am 11. April 1996 zur Frage der Unbedenklichkeit bestimmter Rindererzeugnisse gehört. Vor einigen Jahren hat der Verbindungsausschuß der Europäischen Industrie-Verbände für Parfümerie- und Körperpflegemittel (COLIPA) seinen Mitgliedern empfohlen, kein Ausgangsmaterial von Rindern aus dem Vereinigten Königreich zu verwenden. Der Verbindungsausschuß hat erklärt, daß seine Mitglieder dieser Empfehlung folgen.

Der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuß wurde am 15. April 1996 zur Frage der Unbedenklichkeit bestimmter Rindererzeugnisse gehört. Der Ausschuß für Arzneispezialitäten wurde am 16. April 1996 gehört. Im pharmazeutischen Sektor waren schon Maßnahmen im Zusammenhang mit der Feststellung der Herkunft von Materialien und ihrer Behandlung eingeführt worden. Jedes Arzneimittel durchläuft vor dem Inverkehrbringen ein Zulassungsverfahren, in dessen Rahmen für jedes Ausgangsmaterial der Behandlungsprozeß bewertet wird. Auf Anfrage der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln haben alle Inhaber von gemeinschaftlichen Zulassungen oder Antragsteller mit befürwortender Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten oder des Ausschusses für Tierarzneimittel bestätigt, daß die betreffenden Erzeugnisse kein Gewebe von Rindern aus dem Vereinigten Königreich enthalten. In der Folge wurden weitere Informationen zur Verfügung gestellt, um eine umfassendere Risikoeinschätzung zu erleichtern. Auf dieser Grundlage kam der Wissenschaftliche Veterinärausschuß am 26. April 1996 zu dem Schluß, daß die ordnungsgemäße Ermittlung der Herkunft des verwendeten Tiermaterials in Verbindung mit der Erfüllung von Mindestkriterien bei der Verarbeitung, die den BSEErreger nachweislich wirksam inaktivieren, die Unbedenklichkeit dieser Erzeugnisse bei der Verwendung zur Herstellung von Lebensmitteln oder Kosmetika hinreichend gewähren.

Der Wissenschaftliche Veterinärausschuß hat Sicherheitskriterien für die Herstellung dieser Erzeugnisse empfohlen, die daher als sicher eingestuft werden. Außerdem sind besondere Vorschriften für die tierärztliche Überwachung der Einrichtungen vorzusehen. Die Kommission ist daher der Auffassung, daß die von dem Anhang dieser Entscheidung abgedeckten Erzeugnisse (wie Gelatine und Talg) sicher sind. Diese Erzeugnisse und Rindersperma können daher von dem Verbot gemäß der Entscheidung 96/239/EG ausgenommen werden. Das Vereinigte Königreich hat 1988 eine Vorschrift eingeführt, gemäß der BSE-infizierte Tiere unschädlich zu beseitigen sind. Der Rat kam auf seiner Tagung vom 1. bis 3. April 1996 zu der Schlußfolgerung, daß Rinder, die älter als 30 Monate sind, nicht in die menschliche oder tierische Nahrungskette gelangen oder zur Herstellung von kosmetischen oder pharmazeutischen Erzeugnissen verwendet werden dürfen. Diese Tiere dürfen nicht als Ausgangsmaterial für bestimmte, obengenannte Rindererzeugnisse verwendet werden. Außerdem dürfen bestimmte Rindergewebe nicht als Ausgangsmaterial für diese Erzeugnisse verwendet werden. Es ist notwendig, geeignete Garantien für die Versendung aus dem Vereinigten Königreich von Erzeugnissen von nicht im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern festzulegen.

Die Kommission sollte gemeinschaftliche Inspektionen im Vereinigten Königreich durchführen, um nachzuprüfen, ob die Bestimmungen dieser Entscheidung angewendet werden. Das Vereinigte Königreich hat einen Vorschlag zur Überwachung und Ausmerzung von BSE im Vereinigten Königreich vorgelegt, der insbesondere die selektive Zwangsschlachtung von Tieren und/oder Herden, die höchstwahrscheinlich mit infiziertem Fleisch- und Knochenmehl gefüttert wurden, sowie ein verbessertes System zur Feststellung einzelner Rinder zur Sicherstellung einer wirksamen Überwachung der Transporte und der Ermittelbarkeit der Tiere (Tierpaßsystem) vorsieht. Der Ständige Veterinärausschuß hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Kommission hat dem Rat am 23. Mai 1996 gemäß Artikel 17 der Richtlinie 89/662/EWG diese Maßnahmen vorgeschlagen. Es war damit Sache des Rates, innerhalb von 15 Tagen Maßnahmen zu treffen. Der Rat hat weder in der gesetzten Frist Stellung genommen, noch hat er die vorgeschlagenen Maßnahmen in derselben Fnst mit einfacher Mehrheit abgelehnt.

Diese Maßnahmen sollten daher nunmehr durch die Kommission erlassen werden.

[Die Kommission der europäischen Gemeinschaften] hat folgende Entscheidung erlassen: Artikel 1 Entscheidung 96/239/EG wird wie folgt geändert:

1. Artikel 1 erhält folgende Fassung: "Artikel 1 (1) Bis zur umfassenden Überprüfung der Lage und unbeschadet der zum Schutz gegen die spongiforme Rinderenzephalopathie erlassenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften versendet das Vereinigte Königreich aus seinem Hoheitsgebiet weder nach den anderen Mitgliedstaaten noch nach Drittländern - lebende Rinder und Rinderembryonen, - Fleisch von im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern, - Erzeugnisse, die von im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern stammen und in die menschliche Nahrungskette gelangen können, mit Ausnahme der im Anhang aufgeführten Erzeugnisse, - Erzeugnisse, die von im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern stammen und in die tierische Nahrungskette gelangen können, mit Ausnahme der im Anhang aufgeführten Erzeugnisse, - Rindermaterialien, die von im Vereinigten Königreich geschlachteten Tieren stammen und für die Verwendung in kosmetischen Erzeugnissen bestimmt sind, mit Ausnahme der im Anhang aufgeführten, - Rindermaterial, das von im Vereinigten Königreich geschlachteten Tieren stammt und für die Verwendung in medizinischen oder pharmazeutischen Erzeugnissen bestimmt ist, mit Ausnahme der im Anhang aufgeführten, - Fleischmehl, Knochenmehl sowie Fleisch- und Knochenmehl, das von Säugettieren stammt. (2) Das Vereinigte Königreich läßt die Herstellung der in Absatz 1 dritter, vierter, fünfter und sechster Gedankenstrich und im Anhang aufgeführten Erzeugnisse nur in Einrichtungen zu, die unter amtstierärztlicher Überwachung stehen und die nachweislich gemäß den im Anhang aufgeführten Bedingungen arbeiten. (3) Das Vereinigte Königreich stellt sicher, daß Art und Einrichtung der Herstellung der im Anhang aufgeführten Erzeugnisse aus deren Kennzeichnung hervorgeht oder anderweitig festzustellen ist. (4) Das Vereinigte Königreich teilt der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten vor dem Beginn von Versendungen aufgrund der vorliegenden Entscheidung das Verzeichnis der in Absatz 2 genannten Einrichtungen mit, die den genannten Bedingungen entsprechen."

2. Folgende Artikel 1a, 1b und 1c werden eingefügt: "Artikel 1a (1) Das Vereinigte Königreich versendet weder - Fleisch für den menschlichen Verzehr noch - Fleischerzeugnisse für den menschlichen Verzehr noch - Fleischzubereitungen für den menschlichen Verzehr noch - Futter für fleischfressende Haustiere von nicht im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern, wenn diese Erzeugnisse nicht aus Einrichtungen unter amtstierärztlicher Überwachung kommen, die ein System zur Ermittlung der Herkunft des Ausgangsmaterials eingeführt haben, das den Ursprung des Materials über die gesamte Produktionskette hinweg sicherstellt. (2) Das Vereinigte Königreich teilt der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten das Verzeichnis der Einrichtungen mit, die die Bedingungen des Absatzes 1 erfüllen. (3) Das Vereinigte Königreich stellt sicher, daß die in Absatz 1 genannten Erzeugnisse, die in andere Mitgliedstaaten versandt werden, von einer von einem Amtstierarzt ausgestellten Gesundheitsbescheinigung begleitet werden, aus der hervorgeht, daß sie die Bedingungen von Absatz 1 erfüllen. Artikel 1b Das Vereinigte Königreich stellt sicher, daß die im Anhang genannten und gemäß dieser Entscheidung in andere Mitgliedstaaten versandten Erzeugnisse von einer von einem Amtstierarzt ausgestellten Gesundheitsbescheinigung begleitet werden, aus der hervorgeht, daß sie die Bedingungen dieser Entscheidung erfüllen, und in der die Häufigkeit der durchgeführten amtlichen Kontrollen bescheinigt wird. Artikel 1c (1) Die Kommission führt gemeinschaftliche Vor-Ort-Kontrollen im Vereinigten Königreich durch, um die Anwendung der Bestimmungen dieser Entscheidung zu überprüfen, insbesondere hinsichtlich der Durchführung der amtlichen Kontrollen. (2) Die in Absatz 1 genannten Inspektionen hinsichtlich der im Anhang genannten Erzeugnisse müssen vor einer erneuten Aufnahme der Versendung durchgeführt werden. (3) Die Kommission setzt nach Anhörung der Mitgliedstaaten im Rahmen des Ständigen Veterinärausschusses den Zeitpunkt fest, ab welchem die Versendung wieder aufgenommen werden kann."

3. Der Anhang zu dieser Entscheidung wird angefügt. Artikel 2 Die Mitgliedstaaten passen die von ihnen getroffenen Maßnahmen gemäß der vorliegenden Entscheidung an und setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. Artikel 3 Diese Entscheidung ist an alle Mitgliedstaaten gerichtet.

Brüssel, den 11. Juni 1996 Für die Kommission Der Präsident Jacques Santer

Anhang

1. Gelatine und Dikalziumphosphat, die in einem Verfahren hergestellt wurden, das sicherstellt, daß - das gesamte Knochenmaterial entfettet und danach mindestens 4 Tage lang einer Säurebehandlung bei < 1,5 pH und dann einer alkalischen Behandlung, bei der entweder mindestens 45 Tage lang Kalk bei > 12,5 pH oder 10 bis 14 Tage lang 0,3 N Natronlauge benutzt wird, unterzogen sowie anschließend für 4 Sekunden auf 138 øC bis 140 øC erhitzt wurde, - das übrige Rindermaterial (Häute und Felle, Sehnen, Bänder) einer alkalischen Behandlung gemäß dem ersten Gedankenstrich unterzogen und anschließend für 4 Sekunden auf 138 øC bis 140 øC erhitzt wurde. 2. Aminosäuren und Peptide, die aus Häuten und Fellen durch ein Verfahren gewonnen wurden, bei dem das Material zunächst einem pH-Wert von 1 bis 2, sodann einem pH-Wert von > 11 und anschließend für 30 Minuten einer Hitzebehandlung bei 140 øC und 3 bar Druck ausgesetzt wurde. 3. Talg und Talgerzeugnisse, die aus für den menschlichen Verzehr geeignetem Material von Tieren hergestellt wurden, das seinerseits einem der in Artikel 2 der Entscheidung 94/382/EG beschriebenen Verfahren unterzogen worden ist. 4. Aus Talg hergestellte Erzeugnisse, die durch Hydrolyse bei mindestens 250 øC gewonnen wurden. 5. Die unter den Nummern 1, 2, 3 und 4 genannten Erzeugnisse, außer Dikalziumphosphat, müssen nach der Erzeugung gefiltert werden. 6. In den Fällen gemäß den Nummern 1, 2, 3 und 4 dürfen Rinder mit Anzeichen von BSE und Tiere, die älter als 30 Monate sind (gemäß der Verordnung (EG) Nr. 716/96 der Kommission 2), nicht als Ausgangsmaterial verwendet werden. Außerdem dürfen folgende Gewebe nicht verwendet werden: Schädel, Wirbelsäule, Gehirn, Rückenmark, Augen, Mandeln, Thymusdrüse, Gedärme und Milz.

1) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl.) Nr. L 78 vom 28.3.1996, S. 47. 2) ABl. Nr. L 99 vom 20.4.1996, S. 14.

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