Ausgabe Mai 1998

Tanz um die Zapfsäulen

Fünf Mark für den Liter Benzin - ein Ruck geht durch die Nation, der Schock sitzt tief. Das 10-Jahresziel, von den Grünen Anfang März in Magdeburg beschlossen, wird flugs von CDU-Wahlkampfchef Hinze umgemünzt zum Schreckerlebnis für den Autofahrer morgen an der Tankstelle. Die Forderung nach einer Benzinpreiserhöhung ist - selbst in dieser Größenordnung - nicht neu, sie wurde vor Jahren vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, dem Beratungsgremium der Bundesregierung, und vom Umweltbundesamt erhoben. Sie stützt sich auf Berechnungen der externen Kosten des Autofahrens, das heißt der Kosten für Schäden an menschlichen Atemwegen, Bäumen und Denkmälern, die von Autoabgasen verursacht werden. Die Umweltverbände fordern diese Anhebung der Mineralölsteuer in ihrem Ökosteuerkonzept seit langem - und es blieb ruhig im Land. 1)

Schon einmal gab es zu Wahlkampfzeiten eine heftige Diskussion um eine ökologisch begründete Forderung für eine Mineralölsteuererhöhung: Als im Wahljahr 1990 die SPD eine Anhebung um 50 Pfennig vorschlug, waren die Diskussionen auch in SPD-Ortsvereinen so heftig, daß die Forderung nur noch verhalten artikuliert wurde. Solange ökologische Forderungen von Sachverständigengremien, Umweltverbänden und Instituten in die politsche Diskussion gebracht werden, nimmt die breite Öffentlichkeit sie offenbar kaum wahr, zumindest aber nicht wichtig. Bedrohlich werden sie erst in Wahlprogrammen einer Partei, wenn also ihre Realisierung möglicherweise bevorsteht. Die Aufregung um den Benzinpreis zeigt, welche Symbolkraft er inzwischen erhalten hat - wie sie einst nur dem Brotpreis zukam. Und die Reaktionen auf den Vorschlag, den Trend zur Fernreise zu bremsen, bringen an den Tag, wie sehr auch diese zum allgemeinen sozialen Besitzstand zählt.

Erschrocken über den Gegenwind aus der Bevölkerung und die platte Stimmungsmache konservativer Parteistrategen holen die Grünen nun die Kommunikationsoffensive nach, die am Anfang hätte stehen sollen: Was ist das umweltpolitische Ziel, wie soll es erreicht werden, was soll in der nächsten Wahlperiode angestrebt werden und wie wirkt es sich für den einzelnen aus, wie können soziale Härten vermieden werden? Es soll deutlich werden, daß das positive Ziel - die Stabilisierung des Klimas - Veränderungen nötig macht, die Konstruktion verbrauchsarmer Autos, die Nutzung von Autos durch Fahrgemeinschaften, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und daß diese Veränderungen für alle durchaus erträglich sind. Gelegentlich hat man allerdings den Eindruck, daß vor lauter Schreck eine derart weichgespülte Argumentation benutzt wird, als werde mit der Benzinpreiserhöhung eigentlich nur ein Innovationsschub für das 3-Liter-Auto bezweckt - mit dem dann alle unbegrenzt, umweltverträglich und glücklich weiterfahren könnten. Zurückschrecken vor der eigenen Courage und den eigenen Erkenntnissen?

Die Veränderungen, die eine nachhaltige Entwicklung erfordert, werden sich nicht nur auf den Neukauf eines 3Liter-Autos begrenzen lassen. Autos blasen nicht nur Abgase aus dem Auspuff, sie verursachen Lärm, sie verbrauchen Fläche - vom Blutzoll einer automobilen Gesellschaft ganz zu schweigen. Wenn jetzt beruhigend vorgerechnet wird, daß mit den neuen Autos das Autofahren ja nicht teurer wird, bedeutet dies zugleich, die Preissignale ihrer Wirkung zu berauben, den Anreiz zu reduzieren, die zunehmende Zersiedelung, die zunehmenden Pendlerentfernungen, die zunehmenden Freizeitfahrten zu verringern.

Die Benzinpreisdiskussion zeigt, wie abhängig wir von dem Transportmittel Auto geworden sind, psychologisch und ganz real, in unserer privaten Zeit und Geldökonomie wie in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Die Grünen mögen ungeschickt vorgegangen sein - schwierig und langwierig wird der Entwöhnungsprozeß allemal. Er wird nur gelingen, wenn das Ziel als positiv akzeptiert ist, wenn attraktive Mobilitätsmöglichkeiten ohne eigenes individuelles Auto vorhanden sind, wenn Moblitätszwänge abgebaut werden und wenn Nähe und Verortung, Zeit und Ruhe erstrebenswerte Leitbilder werden. Dies in Wahlkampfzeiten anzusprechen ist schwierig, hierfür um Stimmen zu werben mutig und ehrlich. Ob es in einer Atmosphäre der Diffamierungen ökologischer Argumente gelingt, ist fraglich, umso wichtiger aber, umweltpolitische Forderungen so einzubringen, daß sie nicht als moralischer Tadel und Bestrafung empfunden werden, sondern als notwendige Maßnahme, um längerfristig uns und unseren Kindern Lebensqualität und die natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern.

1) Vgl. Angelika Zahrnt, Steuerreform an der Umwelt vorbei, in: "Blätter", 6/1997, S. 667-671; Carsten Krebs/Danyel Reiche, Wie die Ökologische Steuerreform beerdigt wurde, in: "Blätter", 7/1997, S. 844-852; sowie: Die ökologische Steuerreform. Gemeinsames Konzept der deutschen Umweltverbände vom 18. Juni 1997, in: "Blätter" 9/1997, S. 1147-1151.

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